Björk im Interview

"Ich wäre gern ein Tiefseefisch"

Im Frühjahr 2015 wurde die isländische Musikerin Björk mit einer Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art geehrt. Anlässlich der Schau sprach Kurator Klaus Biesenbach für Monopol mit der Universalkünstlerin

Björk, gibt es Elfen?
Gesehen habe ich noch keine, aber der Animismus ist in Island sehr ausgeprägt. Irgendwie ist es schön, zu dieser Welt eine Verbindung zu haben, zu dieser natürlichen Kraft. Man muss Elfen zu würdigen wissen, höflich zu ihnen sein und ihre Magie verstehen. Aber mir ist noch keine begegnet.

Warum ist Island der einzige Ort auf der Welt, an dem die Menschen an Mystik glauben?
Ich war auch an einigen anderen sehr magischen Orten, die eine ähnliche Atmosphäre hatten. Den Río Dulce in Guatemala zum Beispiel fand ich sehr mystisch. Und diese schaurigen Momente gab es auch in dem einen oder anderen Club, in dem ich zum Tanzen war (lacht).

Wo fühlen Sie sich zu Hause?
Das Meer ist für mich immer ein guter Ort, es hat diese unmittelbare Energie. Ganz zu Hause fühle ich mich in Island. Das Meer unterstützt dieses Gefühl, es ist so gewaltig und hat eine enorme Anziehungskraft. Am Meer sieht man in einem Radius von 180 Grad nur unendliche Weite. Diese Weite des Raums mag ich sehr gerne, sie beruhigt mich und ist mir vertraut, vielleicht weil ich mit ihr aufgewachsen bin.

Was ist Schönheit?
Vielleicht eine Art von Energie zwischen einer Person und einem Objekt oder einer anderen Person. Immer ist dann etwas Drittes beteiligt, ein bisschen wie: Eins plus eins ist drei. Die Bedeutung von Schönheit ist aber sicherlich für jeden eine andere.

Welches Tier wären Sie gerne?
Ein Tiefseefisch. Er wurde im Marianengraben östlich der Philippinen am tiefsten Punkt des Ozeans entdeckt, er sieht ziemlich nach Techno aus mit seinen Neonfarben. Ich mag diese Tiefseekreaturen, aber morgen würde ich vielleicht ein anderes Tier wählen.

Und welches Objekt?
Ich wäre lieber etwas, was sich bewegt. Ich fände es klaustrophobisch, in einer festen Form gefangen zu sein. Also etwas Flüssiges. Vielleicht ein Ferrofluid, eine magnetische, flüssige Metalllegierung.

Wer hat Sie in Ihren Kinderjahren am meisten beeinflusst?
Je älter ich werde, desto mehr erkenne ich den großen Einfluss meiner Mutter. Sie war eine Träumerin. Dass sie mich aus einem Patriarchat herausnahm und wir in den outskirts lebten, hat mich geprägt. Ich wollte sehr männlich sein. Und nicht isoliert. Also ging ich mit fünf auf eine Musikschule.

Wer brachte Sie dorthin?
Meine Mutter, sie wollte, dass ich das mache. Ich habe für den ganzen Bus gesungen, "The Sound of Music". Darauf bin ich nicht gerade stolz. Das ist mein Charakter, ich will immer, dass sich alle gut fühlen.

Wieso das Broadway-Musical "The Sound of Music"? Das ist nicht sehr isländisch …
Ich hatte all diese Musicals gesehen, eigentlich waren es Musikfilme im Kino. Den über Oliver Twist bestimmt 5000-mal, "The Sound of Music" und natürlich das "Dschungelbuch". Und meine Mutter hat mir immer viele Platten vorgespielt, Ella Fitzgerald, Édith Piaf oder Billie Holiday. Und ich habe diese Sängerinnen geradezu physisch in mich aufgenommen.

Wann haben Sie begonnen, eigene Songs zu schreiben?
Das geschah unbewusst. Als Kind bist du sehr introvertiert. Ich bin viel gelaufen und spazieren gegangen und habe dabei gesungen, improvisiert, manchmal Songs, die ich mochte. So bin ich mit dem Alleinsein umgegangen, ich habe mir meine eigene Welt geschaffen. Das war mein Paradies, mein Zufluchtsort.

Welche Verbindungen hatten Sie als junge Musikerin zur bildenden Kunst?
Ich war in Bands, seit ich 12 war. Als meine Freunde und ich so 16, 17 waren, arbeiteten wir als Freiwillige für ein Indie-Label. Und es gab einen Buchladen, in dem man die besten Platten und Gedichtbände bekam. Das war ein Treffpunkt für Dichter, Bildhauer, Musiker, einfach alle Künstler. 1986 ging er pleite, also fusionierten wir das Indie-Label mit den Künstlern, vor allem einer Künstlergruppe, die Medusa hieß und die man surrealistisch nennen könnte. Sie organisierten Ausstellungen, malten, fotografierten, schrieben, während die Bands, in denen ich war, Musik machten. Wir vereinigten uns also und starteten eine neue Firma namens Bad Taste. Und als ich 20 war, hatte ich ein Kind, und wir gründeten die Sugarcubes.

Und das alles auf einmal?
Ich kaufte eine Wohnung, mit der Hilfe meines Vaters, weil ich keinen Penny besaß. Er hatte mir geraten, niemals zu mieten, immer zu kaufen, und diesen Rat habe ich auch immer befolgt. Ich zog ein, es war magisch, und dann bekam ich das Kind, ein Fruchtbarkeitswunder, es war fast wie in einem Disney-Film. Ich kam vom Krankenhaus nach Hause, die Sonne schien, und ein Vogel lag draußen auf dem Boden, und er sang, sang, sang. Er schien krank zu sein, also half ich ihm, er schaffte es in unsere Küche. Ich stand da mit meinem frisch geborenen Kind und zog ihm immer neue Sachen an, und der Vogel kam in unsere Küche und sang, ganz laut, eine Stunde lang, und dann legte er sich hin und starb. Dann kam mein Freund aus Barcelona, mit gefärbtem schwarzem Haar und einer schwarzen Sonnenbrille, er hatte monatelang Absinth getrunken und schenkte dem Kind eine astrologische Karte aus Mexiko, mit aztekischen Symbolen. Und er sagte: "Wow, die Seele des Vogels ist jetzt ins Kind übergegangen!" Und über mir lebte ein anderes Mädchen, es war etwa sechs, das kam immer zum Spielen herunter, wir hörten das ganze Jahr lang Weihnachtsmusik, und ein Jahr später fragte sie mich: "Wann kommen deine Eltern nach Hause?" Wir lebten in einer glücklichen, verrückten, magischen Welt. Und dann produzierten wir "Birthday" mit den Sugarcubes, der Song beruht auf diesem Universum und natürlich auf der Geburt, und auf einmal war er Single der Woche im "Melody Maker" (britische Musikzeitschrift, Anm. d. Red.), der damals so etwas war wie die Website Pitchfork heute. Etwa ein Jahr später kamen die großen Plattenfirmen an, Sony und so weiter, und wir lehnten alle Angebote ab …

 

Wann haben Sie den australischen Performancekünstler Leigh Bowery kennengelernt?
Wir hingen in London mit einer Gruppe von Leuten in Bars oder in Clubs ab, ich kannte Katy England besser, die seine Kuratorin oder Stylistin war. Aber es gibt diese Momente, wenn man lange getanzt hat, es ist so vier, fünf Uhr morgens, und dann beichtet man sich Dinge und sagt: "Okay, wir sollten zusammenarbeiten …" Leigh und ich hatten gemeinsame Ideen, solche Dinge passierten.

Sie haben mit Alexander McQueen zusammengearbeitet, der das Artwork zu Ihrem Album "Homogenic" gestaltete. Und mit anderen Modedesignern haben Sie ebenfalls kooperiert …
… ich besuchte den Shop, den Marjan Pejoski, der meinen Schwanendress entworfen hat, schon zehn Jahre vor seiner Karriere als Designer führte. Er zeigte mir wiederum die ersten Stücke von Alexander McQueen. Aber mein bester Freund in der Modeszene ist Hussein Chalayan. Wir waren beide Immigranten in England, und Hussein hätte ein Bandmitglied sein können. Er stammt auch von einer Insel, Zypern, und ist sehr belesen und steht auf dieselbe Musik. Wir denken ähnlich, er ist ein erstaunlicher Mensch!

Was verbindet Sie mit der 14 Jahre alten Punksängerin, die Sie einmal waren?
Das ist ganz einfach, ich mache eigentlich immer noch das Gleiche wie früher.

Sie haben fast Ihr ganzes Leben Tagebuch geführt. Wann haben Sie damit angefangen?
Als Teenager.

Und durchgehend weitergemacht?
Ja. Aber es gibt starke Unterschiede, wie viel ich schreibe. Im Tagebuch halte ich Versuche, Vorstufen von Songs fest. Ich habe allerdings sehr früh gelernt, dass für mich etwas, was ich fertig aufschreibe, abgeschlossen ist. Dann kann ich es nicht mehr aufnehmen oder live spielen. Deshalb achte ich darauf, dass die Dinge das Tagebuch verlassen, sobald sie eine Form haben, die mir gefällt. Meine Tagebücher sind der Ort, an dem ich mich ausprobiere.

Schreiben Sie täglich?
Ganz und gar nicht. Manchmal schreibe ich mehrere Tage hintereinander, meistens jedoch ein- bis zweimal im Monat.

Haben sich die Tagebücher im Laufe der Zeit verändert?
In einem gewissen Sinne schon, denn ich bin wohl etwas reifer geworden. Wenn ich die Tagebücher aus meinen 20ern lese, werde ich rot. Vielleicht bin ich eine Spätentwicklerin. In meinen 20ern war ich wie ein Teenager, und jetzt bin ich 50 und wie ein Twen. Das ist der einzige Unterschied. Ich habe sie allerdings nie wirklich alle wiedergelesen, um ehrlich zu sein. Manchmal muss ich etwas nachschauen, aber eigentlich lese ich sie nicht.

Wo entsteht Ihre Musik?
Meistens gehe ich spazieren und folge Melodien. Manchmal fällt mir auch spontan gleich der Text dazu ein, meistens kommt er jedoch danach. Mit Melodien bin ich schnell, mit den Worten langsamer. Es ist auch ein Unterschied, ob ein Text gesungen wird oder ob er für sich alleine steht. Der Text hilft, die Idee des Songs auszudrücken, aber es ist wichtig, dass er der Musik nicht in die Quere kommt. Außerdem gibt es bestimmte Vokale, die sich gut singen lassen, und andere weniger gut, es ist auch eine Frage des Klangs. Es ist so, als löste ich ein Rätsel.

Und wo komponieren Sie?
Die Arrangements mache ich in einem Zimmer in meiner Wohnung. Dafür brauche ich einen Laptop und einen Lautsprecher. Ich finde es anregend, während eines Projekts den Ort zu wechseln, drei Wochen in einem Land und dann vier Wochen woanders. Auf diese Weise erhalte ich verschiedene Perspektiven auf dieselbe Musik. Ich war so glücklich, als der Laptop erfunden wurde, seitdem kann ich überall arbeiten. Schreiben und singen geht schnell, aber die Arrangements und das Editing brauchen manchmal Monate.

Sind Ihre Texte autobiografisch?
Ja und nein. Ich suche immer nach einer Erfahrung, die universell ist, aber das kann man nicht planen. Und es gibt diesen blinden Fleck, wenn etwas zugleich universell und persönlich ist und man nicht genau weiß, wo man sich befindet. Es gibt einige wenige glückliche Momente, in denen ich denke, dass mir das gelingt. Wenn man eine Idee hat, die die eigene Biografie übersteigt, dann ist das wie eine Art Energie, die alles umfasst.

Ihr neues Album heißt "Vulnicura". Was bedeutet das?
Es bedeutet, eine Wunde zu versorgen oder zu heilen.

In jedem Ihrer acht Studioalben, die bislang entstanden, nahmen Sie eine andere Maske an. Im Album "Debut" waren Sie der Neuling, der aus Island in die große Stadt kam, und in "Biophilia" eine Art Lehrerin für Musik und Naturwissenschaften. Wer sind Sie in "Vulnicura"?
Eine Frau am Ende einer Beziehung. Es geht um die Wunde und das Heilen der Wunde.

Ist das auch ein neuer Anfang?
Ja natürlich. Aber es geht in erster Linie um das Abschließen des Heilungsprozesses.