Drastische Darstellungen in "Sancta"-Oper

Holzinger-Performance sorgt für zahlreiche Erste-Hilfe-Einsätze in Stuttgart

Übelkeit und Ohnmacht: Für einige Zuschauer war Florentina Holzingers Performance "Sancta" zu viel. Das Stück sorgte bei den ersten beiden Vorstellungen für 18 Erste-Hilfe-Einsätze an der Staatsoper Stuttgart

In der ersten Oper der Choreografin Florentina Holzinger seien sexuelle Handlungen, Nacktheit, Selbstverletzungen und andere Darstellungen und Beschreibungen von Gewalt zu sehen, heißt es in einer Triggerliste, mit der die Staatsoper Stuttgart ihr Publikum vorab warnt. Außerdem ist die Performance erst ab einem Alter von 18 Jahren freigegeben. Dennoch sei es zu Übelkeit und Ohnmacht bei Zuschauern gekommen. "Am Samstag hatten wir acht und am Sonntag zehn Personen, um die sich unser Besucherservice kümmern musste", sagte Pressesprecher Sebastian Ebling der "Stuttgarter Zeitung". In drei Fällen sei der Zustand der Betroffenen so beeinträchtigt gewesen, dass ein Arzt dazugeholt werden musste. Eine Unpässlichkeit hätte sich bereits bei der Einführung zu dem Stück ereignet.

Spiritualität, Sexualität, aber auch Religionskritik und ein kritischer Blick auf religiöse und gesellschaftliche Gewalt ständen im Mittelpunkt der Aufführungen, informiert auch die Staatsoper. "Grenzen auszuloten und lustvoll zu überschreiten war von jeher eine zentrale Aufgabe der Kunst", zitiert die Oper ihren Intendanten Viktor Schoner.

Die Oper empfiehlt die Performance Zuschauern, die "wagemutig auf der Suche nach neuen Theatererfahrungen sind", wie es auf der Website heißt. Allerdings sei Performancekunst, neben dem Einsatz einiger Theatermittel, eben "kein Fake, sondern echt", sagte Ebling. Im Fall der in "Sancta" gezeigten, auch sexuellen Gewalt warnt das Haus daher auch explizit vor Retraumatisierungen.

"Zustände, um Grenzbereiche, in denen die Sprache versagt"

Die Inszenierung ist eine Koproduktion des Mecklenburgischen Staatstheaters, der Staatsoper Stuttgart, der Wiener Festwochen, Holzingers Firma Neon Lobster und der Berliner Volksbühne. Bei der Aufführung auf den Wiener Festwochen beschwerten sich im Sommer Vertreter der katholischen Kirche über angeblich anstößige Inhalte. Die Opernperformance ergänzt den 1922 uraufgeführten Einakter "Sancta Susanna" von Paul Hindemith mit einer "feministischen Messe" aus Neukompositionen und geistlicher Musik. 

Holzinger ist bekannt für spektakuläre Performance-Inszenierungen. Für die 38-Jährige ist der Schritt zur Oper folgerichtig: "Meine Shows haben viel mit Oper gemeinsam", sagte sie. Die Form der Messe führte die Österreicherin auf ihr katholisches Aufwachsen zurück. "Was die Zuschauer bei Holzinger existenziell bewegt", schrieb Helene Hegemann in ihrem Monopol-Porträt der Künstlerin, "ist nicht die Explizitheit, die Nacktheit, die teilweise religiös zelebrierte Vulgarität, die, ja, Brutalität – all das ist nur Mittel zum Zweck. Smarte Tools zur Herstellung eines Zustands, in dem derjenige, der sich das anguckt, durchlässig genug wird für die Inhalte, die jenseits dessen transportiert werden sollen. Das sind nicht Inhalte im Sinne von Themenüberschriften, da geht es um Zustände, um Grenzbereiche, in denen die Sprache versagt."

Trotz - oder gerade wegen - der Alterseinschränkung, fettgedruckter Warnhinweise und den Berichten über Notarzteinsätze gibt es für die verbliebenen fünf Vorstellungen von "Sancta" in Stuttgart keine Karten mehr. "Nachdem die Nachrichten gestern explodiert sind, sind von gestern auf heute sämtliche verbleibenden Vorstellungen ausverkauft worden", sagte der Sprecher der Staatsoper, Sebastian Ebling, der Deutschen Presse-Agentur. Die Nachfrage sei aber auch schon zuvor gut gewesen. Nach Stuttgart ist das Stück Ende November an zwei bereits ausverkauften Abenden an der Volksbühne in Berlin zu sehen.