Fluxus-Schau in Berlin

(Un)heilige Allianzen

Eigentlich haderte die Fluxus-Bewegung mit der Kunst als Heiligtum. In der Berliner Matthäus-Kirche zeigt die Ausstellung "Holy Fluxus" jedoch ihre sakralen Tendenzen - und ruft ihre politische Dimension in Erinnerung

"Holy Fluxus" – das klingt fast schon paradox. Ausgerechnet die künstlerische Bewegung, die vor allem in den 1960er- und 1970er-Jahren so vehement wie spielerisch gegen bürgerliche Kunstbegriffe wie Werk, Aura und geniale Autorenschaft gekämpft hat, wird als "heilig" tituliert? So einfach aber ist es nicht. Denn eine bemerkenswerte Berliner Ausstellung mit der Heiligkeit im Titel stellt klug die kritische Auseinandersetzung in den Fokus, die die Fluxus-Künstler mit dem Transzendenten, mit Religion und Kirche geführt haben. 

So steht da mitten in der St.-Matthäus-Kirche am Kulturforum eine lange Tafel, die gleichsam zum Abendmahl einlädt. Auf diesem Tisch sind gut 120 Editionen versammelt, unter anderem von großen Namen George Maciunas und Dorothy Iannone, Joseph Beuys und Yoko Ono. Alle thematisieren den Moment des gemeinsamen Speisens auf unterschiedliche Weise. 

Die "Six Variations upon a Spoerri Landscape" von 1973, die Daniel Spoerri mit seinem Künstlerkollegen Robert Filliou inszeniert hat, stellen zum Beispiel anhand der Reste eines gemeinsamen Dinners den sozialen Aspekt des Mahls vor. Ein Aspekt, der bekanntlich in der christlichen Lehre bis heute von weitreichender Bedeutung ist, in der "Anti-Kunst" (Heinz Ohff) des Fluxus aber konsequent säkularisiert und bar jeder heiligen Aura genutzt wird.   

Eine Fluxus-Kathedrale fehlt noch

Auch die Glasarbeiten "Stained Glass Windows for the Fluxus Cathedral" (1988) von Emmett Williams, die jetzt in Fenstern der Matthäus-Kirche hängen, setzen sich mit sakralen Gestaltungstraditionen auseinander. Der US-amerikanische Künstler hat hier die in seiner Kunst immer wieder auftauchenden "funny little people", comichaft herumwuselnde Männchen, in ornamentale Strukturen mit den Farben Gelb, Rot, Blau und Grün eingebettet. 

Diese Gestalren repräsentieren für Emmett Williams den Menschen als spielerisch-naives Wesen jenseits jedweder ethnischer, geschlechtlicher, religiöser oder sozialer Zuschreibung. Sie stehen laut dem Fluxus-Künstler für ein (utopisch-)humanistisches Menschenbild. Eine Fluxus-Kathedrale wurde übrigens bis heute leider nicht gebaut ... 

Eine zentrale Arbeit der Ausstellung "Holy Fluxus", die aus über 250 Werken des reichen Archivio Francesco Conz besteht, ist gleich gegenüber der Kirche im Kunstgewerbemuseum zu sehen: der funktionstüchtige Volkswagen "Bomb for Cage" (1961 – 1982) von Charlotte Moorman. Mit diesem legendären purpuroten "Käfer", auf dessen Dach eine Bombenattrappe des Videopioniers Name June Paik angebracht ist, fuhr die Künstlerin jahrelang durch die USA um gemeinsam mit prominenten Kollegen wie Robert Rauschenberg, John Cage und Carolee Schneemann gegen den Vietnamkrieg zu protestieren. 

Die Avantgarde ist heute wieder Fluxus

Die "Bomb for Cage", auch "Avantgarde"-Volkswagen genannt, ist ein prägnantes Beispiel für die Fluxus-Ästhetik, denn die Arbeit vereint Momente wie Performativität, gemeinsames Arbeiten, Umnutzung von Alltagsgegenständen und Temporalität. Eben nicht mehr das ein für allemal von einem Einzelkünstler vollendete Kunstwerk, das fest verankert im Museum steht und ja nicht benutzt werden darf, kommt hier zu künstlerischen Ehren. Vielmehr geht es um ein umdefiniertes Readymade, das politisch engagiert von einer Gruppe von Künstlern für mehrere Jahre eingesetzt wird. 

Genau diese künstlerische Strategie ist auch für die jetzige Avantgarde einer sich politisch verstehenden Kunst aus dem "Globalen Süden" prägend. Die letzte Documenta hat uns dies 2022 mit zahlreichen Beispielen von performativen Installationen, die bestehende Materialien und Strukturen für emanzipatorische Ziele kollektiv nutzten, vor Augen geführt. Man erinnere sich etwa an die "Soziale Küche Pakghor" des Kollektivs Britto Arts Trust aus Bangladesh, die in Kassel ebenfalls zum gemeinsamen Kochen und Essen einlud. 

"Avantgarde schafft Tradition", hat Bazon Brock einmal treffend gesagt, und dieses gilt auch für die Beziehung zwischen der projektbasierten Kunst des "Globalen Südens" und der historischen Fluxus-Bewegung, deren politische Qualität dadurch endlich wieder mehr in den Vordergrund tritt. Angesichts des Ukraine- und Gaza-Kriegs hat "Bomb for Cage" leider auch inhaltlich wieder an unchristlicher Brisanz gewonnen.