Überall liegen Kreidestifte und Spachtel herum, vor den gigantischen Fenstern sind Malergerüste aufgebaut. Eine Eisenstange fällt klirrend zu Boden. Der Künstler eilt seinen Assistenten zu Hilfe: "Ich glaube, ihr müsst weiter oben anfangen!" Auf den Glasscheiben befinden sich bereits abgeklebte Linien und farbige Streifen, orangene, blaue, grüne, manche horizontal, andere vertikal verlaufend.
Aber von vorne: Wir begleiten den Aufbau einer Ausstellung der Galerie Thomas Schulte zum diesjährigen Gallery Weekend in Berlin. Hier entsteht eine Fenstermalerei des britischen Künstlers Richard Deacon, die sich über alle drei Fenster des fast sakral wirkenden Ausstellungsortes der Galerie erstreckt. Der Raum, der früher einmal das Schaufenster des Modekaufhauses Kersten & Tuteur war, ist flächenmäßig nicht besonders groß – mit neun Metern Deckenhöhe und fast ebenso hohen Fenstern, die einen Einblick von drei Seiten erlauben, stellt er aber eine Herausforderung für Künstler und Ausstellungsstück dar. "Man kann hier einfach nichts Mittelmäßiges reinstellen, das würde jeder sofort sehen", sagt Galerist Thomas Schulte und begründet damit die üblicherweise aufwändigen Installationen der Galerie.
Wie hoch der Aufwand für eine Ausstellung tatsächlich ist, hängt immer vom jeweiligen Werk ab – und von der vorhergehenden Schau, denn die muss zuerst abgebaut werden. Normalerweise hat das dafür zuständige Team eine Woche Zeit für den Umbau, inklusive Materialbeschaffung für den Künstler. Die fiel im Fall von Richard Deacons Glasmalerei weg – der Brite brachte seine Flüssigkreide-Stifte selbst mit. Und auch sonst ist der Aufwand bei dieser Installation vor allem ein strategischer. Deacon arbeitet mit drei Assistenten, die sowohl ihn und seine Arbeitsweise kennen, als auch mit dem Galerieraum und seinen Besonderheiten vertraut sind.
Der Künstler fungiert hier als eine Art Komponist: Von Hand zeichnet er die Grundform der Malerei – eine abstrakte Struktur aus sich gitterartig kreuzenden Linien – an das Fenster, danach arbeiten die Assistenten nach der vor Ort angefertigten Skizze Deacons. Diese enthält neben Angaben zu Farbe und Verlauf auch Anweisungen darüber, mit welcher Linie von welcher Seite und in welcher Reihenfolge begonnen werden muss.
Planbar ist der Entstehungsprozess einer solchen Arbeit nur bis zu einem gewissen Punkt. Schon am ersten Abend merken die Maler, dass das Auftragen der zweiten Farbschicht, die die erste kreuzt, sehr schwierig ist. Denn die Striche, die eigentlich in einem Zug gemacht werden sollten, stoßen nun auf Widerstand. Außerdem scheint die dunklere Farbe durch die hellere durch, das Weiß ist eigentlich Grau und die Zeit wird auch langsam knapp.
Am Donnerstagnachmittag, einen Tag vor der Eröffnung, ist die Arbeit dann aber so gut wie abgeschlossen. Das Werk funktioniert jetzt schon: Von außen betrachtet spiegeln sich die Strukturen der Umgebung in den Schaufenstern, verändern stetig ihr eigenes und das Bild der Malerei. Wenn man von innen auf die vorbeifahrenden Autos blickt, denkt man an alte Farbfernseher und Störbilder und fühlt sich, wie auf einem Kubrickschen LSD-Trip – Odyssee im Weltraum mit Nam June Paik.
Seit Freitag kann man das Werk bewundern, Ende Juni wird es entfernt – um Platz zu machen für die nächste Installation. Dass seine erste Fenstermalerei dann für immer weg sein wird, stört Richard Deacon nicht. "Ich habe ja früher auch Performance-Kunst gemacht", sagt er. "So ist das nun mal: Dinge kommen und gehen."