Wo einst die französische Kaiserin Eugénie ihre Malaisen kurieren ließ, finden heute Problemlösungen ganz anderer Art statt. Es sind die Herausforderungen der Malerei, die Helga Schmidhuber täglich von Neuem annimmt – an ihrem Arbeits- und Wohnsitz, den sie gemeinsam mit ihrem Mann in der heutigen Villa Eugénie im beschaulichen Taunus-Kurort Bad Schwalbach bezogen hat, eine Autofahrt durch die hügeligen Taunuswälder von Wiesbaden entfernt. Beide haben je eine Atelier-Etage in dem kubischen Bau bezogen. Viele Jahre stand das ehemalige Sanatorium und spätere Finanzamt leer, heute lebt und arbeitet Schmidhuber hier zwischen geschätzt Hunderten eigener und geschenkter Bilder.
Schmidhuber ist eine produktive Künstlerin, die meist an vielen Ecken und Enden gleichzeitig arbeitet und sich zwischendurch noch mit "Spielereien" beschäftigt, wie sie die Arbeit an den kleinen Skulpturen, Assemblagen und Schaukästen nennt, die sie aus Fundstücken aus Wald, Wiesen und Flohmärkten zusammensetzt. Immer öfter finden die Objekte den Weg in ihre Ausstellungen, die folgerichtig stetig installativer werden. Vor allem anderen aber ist Helga Schmidhuber Malerin. Für ihr Werk wird sie in diesem Jahr den Hans-Platschek-Preis der Art Karlsruhe erhalten.
1972 geboren, hat die Künstlerin gemalt, seit sie sich erinnern kann. Aufgewachsen ist Schmidhuber ganz in der Nähe, "im Wald", wie sie selbst formuliert. Von dort bezieht sie noch immer ihre Sujets, Flora und Fauna finden sich auf nahezu allen Bildern wieder. Als Kind ist sie jeden Tag in der nahe gelegenen Fasanerie vorbeispaziert, an Wochenenden standen Besuche im Naturkundemuseum an, wo sie den ausgestopften Javatiger bewundert hat (2014 durfte die Künstlerin das inzwischen längst aussortierte Lieblingsexponat für eine Ausstellung aus dem Lager hervorholen und ihm eine purpurne Schärpe umhängen: "Ich hätt sie ALLE haben können.").
Malerei in der Metzgerei
Später ging es für Schmidhuber nach Wiesbaden, wo sie schon während des Kommunikationsdesignstudiums ein gemeinsames Atelier mit Freunden bezog und einen Offspace-Kunstverein in der ehemaligen Metzgerei mit betrieb, Name: Sabines Wursthaus. Mit dem Studienabschluss und vielen handwerklichen Fähigkeiten in der Tasche zog es sie dann zum Malereistudium an die Kunstakademie in Düsseldorf, wo sie erst in der Klasse von Dieter Krieg und später bei Albert Oehlen studierte. Amüsierte erzählt sie, wie der Malprofessor seine Studierenden zu Gemeinschaftsbildern zwang, um die manchmal allzu argen Künstleregos in Demut zu unterrichten. Oft wurde in der Oehlen-Klasse statt über Malerei stundenlang über Musik diskutiert.
Die spielt auch für Schmidhubers heutige Arbeit eine wichtige Rolle. Gern legt sie Punk- und Metalplatten auf, um den Malprozess voranzutreiben. Gerade lehnen Gemälde in verschiedenen Stadien an der Atelierwand. "Ich arbeite eigentlich immer an zehn Bildern gleichzeitig. Die wachsen dann alle nebeneinander", erklärt die Künstlerin. Ausgangspunkt ist stets eine Farbschüttung, oft in Schwarz, danach kristallisieren sich die einzelnen Motive heraus. An den unfertigen Bildern kleben Notizzettel: Manchmal überfällt Schmidhuber eine Idee, was als Nächstes kommen muss. Nach unserem Treffen wird die Malerin noch Atelieransichten schicken mit Bildern, die sie am frühen Morgen weitergemalt hat: Dem Bären wurde nun noch ein Gefäß an die Seite gestellt – ein Rückgriff auf ihre "Petrichor"-Gemälde, auf denen immer wieder verschiedene Pokale auftauchen. Damit sind die Behältnisse die perfekte Anschauung für das Wesen der malerischen Repräsentation: Was sich nämlich im abgebildeten Gefäß befindet, lässt sich auf dem gemalten Bild niemals überprüfen, nur mutmaßen.
Benannt wurde die "Petrichor"-Serie nach dem typischen Geruch, den ein Sommerregen auf heißem, trockenem Boden hervorruft. Ihre Umgebung, erklärt Schmidhuber, nehme sie synästhetisch wahr; Gerüche, Geräusche, Geschmack und Farben sind aneinander gekoppelt.
Die sich überlappende Wahrnehmung findet ihre Entsprechung in den sich durchdringenden Malebenen. Schmidhuber arbeitet in vielen Schichten, sie weiß nie, was die nächste bringen wird. Es gibt klare Abläufe, aber innerhalb derer kann dann vieles passieren. Wenn sie nicht auf großformatigen Leinwänden malt, dann gern auf gefundenen Materialien, auf Stoffen, Rücken antiker Bücher oder auf ausrangierten Schlagzeugfellen.
Die unterschiedlichen Ebenen
Auf der einen Ebene schraffiert die Künstlerin schnell, als sei der Pinsel Zeichenstift, auf einer anderen spritzt oder schüttet sie Farbe auf die Leinwand, wieder an anderer Stelle wird es ausgesprochen filigran. "Kreiseln" muss es, findet Schmidhuber. Durch den meist flachen Farbauftrag erscheinen ihre Bilder selbst mit zahlreichen Schichten oft wie aus einem Guss. Und trotz ihrer Dichte an Motiven, Materialien und Techniken kann manches Gemälde beinahe aufgeräumt-kühl erscheinen, als würde es von einer unsichtbaren Kraft sortiert und zusammengehalten oder, wie Schmidhuber selbst formuliert: "Meine Bilder sind gleichzeitig laut wie leise."
Die gleichzeitige Wahrnehmung verschiedener Sinneseindrücke scheint sich ein bisschen auf ihre Ausstellungsbesucher zu übertragen.
Interviewerinnen fragen begeistert nach dem Ursprung des energetischen Überschwangs, den ihre Gemälde, die "Soft Skulls"-Skulpturen aus gefundenen Tierschädeln, die Schaukästen und Assemblagen vermitteln. Und Kritiker Christoph Schütte schwärmt in Schmidhubers Künstlerbuch "A Heady, Hefty Upload" vom Gesamterlebnis einer Schmidhuber-Vernissage, auf der hausgemachte Obstbrände zur Selbstbedienung gereicht werden und so manche Barriere zu überwinden helfen.
An der Wand und auf der Haut
Tatsächlich, merkt die Künstlerin an, hätten gerade ältere Ausstellungsbesucher nach einigen Gläschen dann "plötzlich gar nicht mehr so große Probleme", ihre Bilder zu verstehen. Überhaupt scheint sie keinerlei Anstoß zu nehmen, wenn bestimmte Kontexte, Musikfestivals oder schlicht ein Gläschen Obstbrand den Zugang zur Kunst erleichtern helfen. Die Sache mit dem Alkohol hatte sich irgendwann verselbstständigt, nachdem Schmidhuber die Schnäpse eines befreundeten Obstbauern erstmals 2012 während einer Tätowierungsaktion auf dem Frankfurter Lüften-Festival ausgeschenkt hatte. Dort konnten sich Besucher eine Zeichnung auf die Haut tätowieren lassen und das Original im Anschluss gleich mit nach Hause nehmen. Im Wohnzimmer steht ein kleines Modell der Ausstellungsfläche, die sie auf der Art Karlsruhe bespielen wird. Die Malerin freut sich, endlich einmal wieder Platz und Gelegenheit, ihre knapp acht Meter lange Arbeit aus der Reihe "Krähen kommen – Titanweiß" auszustellen. Daneben weitere Gemälde, Objekte und ausgewählte Arbeiten von Hans Platschek.
Mit dem Maler, Kritiker und Schriftsteller verbindet sie, dass beide mit ihrer Kunst immer ein bisschen zwischen den Stühlen steckten. Der Direktor der Hamburger Kunsthalle Alexander Klar, der in diesem Jahr als Einzeljuror die Preisträgerin ausgewählt hat, schätzt bei beiden "das Suchende, Forschende und ironisch Analysierende einer sammelnden und ordnenden Künstlerpersönlichkeit, die durchaus quer zu gängigen Auftrittsformen der Gegenwartskunst steht". Schmidhubers Malerei beginnt abstrakt und wird dann figurativer, ohne sich einer Schule zuordnen zu lassen. Tiere finden sich auf ihren Bildern, seit sie denken kann. "Ohne die ginge es nicht. Ich glaube, dass man sich das nicht aussucht", sagt sie. Dabei sind Lemuren, Krähen, Tapir oder Bär motivisch gemeint, nicht so sehr als Repräsentanten ihrer Spezies oder Gattung. Jeder weiß schließlich um die Zauberkraft des Animalia: Tiere fangen den Blick des menschlichen Betrachters ein, sind Türsteher zu Schmidhubers Bilderwelten. Und sie bringen den künstlerischen Malprozess voran: Wesen, die auf der Leinwand umherspuken und schließlich auf scheinbar wundersame Weise die richtigen Elemente auf die passende Weise zusammenbringen.
"Passend" heißt hier durchaus nicht störungsfrei – knirschen muss und soll es in Schmidhubers flirrenden, virilen Gemälden. Wenn der Malerin ein Hintergrund nicht gefällt, dann kann es schon einmal passieren, dass sie alle nachgefolgten, oft äußerst kleinteiligen Schichten abklebt und komplett neu bearbeitet. Malen, das ist eben beides: vom Resultat aus betrachtet eine fantastische, bisweilen schier magisch anmutende Angelegenheit, währenddessen aber auch körperlich wie mental fordernde, harte Arbeit. Was das Ergebnis nicht entzaubert. Denn selbst mit diesem Wissen um Herstellung und Herausforderungen der künstlerischen Arbeit blieben die grundlegenden Dinge ja bis auf Weiteres unbeantwortet. Helga Schmidhuber zitiert ein Bonmot von Platschek, das ihr besonders gefallen hat: "Die Frage", formulierte er 1962, "bleibt immer, warum jemand ein Bild malt."