Neben einem imposanten Thron aus dunklem Holz lehnen in Heba Amins Atelier zwei der Pyramidenstümpfe, die bei ihrer Videoinstallation "Operation Sunken Sea" auf der Berlin Biennale im vergangenen Jahr als Sitzgelegenheiten dienten. Für die Arbeit posierte die ägyptische Künstlerin als charismatische Politikerin und stellte mit diktatorischem Größenwahn den techno-utopischen Plan vor, das Mittelmeer ins Zentrum Afrikas umzuleiten und so einen afrikanisch-europäischen Superkontinent zu bilden.
Auch in ihrer aktuellen Ausstellung im Zentrum für Verfolgte Künste in Solingen geht es um Pyramiden, Faschismus und skurrile Propositionen. Was ihre Nachforschungen zu Nazi-Denkmälern in Ägypten ergeben haben, warum sie in ihren Arbeiten die Geschichte umschreibt und was der Schlagersänger Roberto Blanco mit all dem zu tun hat, verrät sie im Interview.
Heba Amin, die Besucher Ihrer Ausstellung in Solingen werden von einem Video begrüßt, in dem Sie Yvan Golls Gedicht "Atom Elegy" vorlesen. In welcher Relation steht jenes Werk zu Ihrer eigenen Praxis?
Ich musste einen Weg finden, mich selbst in der Institution zu situieren, deshalb durchsuchte ich das Archiv des Museums und stieß auf dieses Gedicht. Es stellte sich als ein sehr schöner Weg heraus, den breiteren Rahmen meiner Arbeit zu adressieren. Ich beschäftige mich viel mit utopischen Sichtweisen und dem Fortschrittsglauben, den Technologie mit sich bringt – aber auch mit der Kehrseite, der Zerstörung, die sie auslöst. Da schien mir ein Gedicht über die Atombombe ein angemessener Ausgangspunkt. Die Sammlung des Museums beinhaltet eine Version des Gedichts, die nie veröffentlicht wurde. Es ist eine sehr optimistische Sicht auf das Atomzeitalter und das Potenzial, das es mit sich bringt. Goll schrieb das Gedicht um, als die erste Atombombe fiel. Ich fand interessant, dass beide Perspektiven und Versionen visuell in Golls Manuskript erkennbar sind.
Die Ausstellung trägt basierend auf dem Gedichtband, in dem "Atom Elegy" erschien, den Titel "Fruits from Saturn". Können Sie etwas über die Metapher der Saturnfrüchte erzählen?
Dieser Begriff referiert auf mehrdeutige Weise kosmologisches Denken und den mythologischen Science Fiction-Glauben an Technik. In der Ausstellung arbeite ich mit Symbolen wie Pyramiden und mathematischen Diagrammen über Sehen und Licht – sie passen gut zu den Bildern, die dieser Titel hervorruft. Zudem evoziert er einen außerweltlichen Kontext und die Tatsache, dass weit entfernte Landschaften oft für unbewohnt gehalten werden.
Die Diagramme, die Sie ansprechen, stammen vom Naturwissenschaftler Ibn Haytham, dessen Beobachtungen über die Funktionsweise des Auges bereits im 11. Jahrhundert den Grundstein für die Optik legten. Woher rührte Ihre Entscheidung, Haytham technische Zeichnungen in geometrische Metallskulpturen zu übersetzen und so vornehmlich die ästhetischen Qualitäten seiner Arbeit zu betonen?
In der Wissenschaft werden gerade Optik und Perspektive häufig mit einer ganz bestimmten europäischen Geschichte assoziiert. Ibn Haytham wurden von der Geschichtsschreibung ausradiert – bis vor kurzem, denn mittlerweile sind seine Manuskripte digital verfügbar und Wissenschaftler setzen sich mit ihnen auseinander. An seinen Recherchen und Texten ist interessant, dass er nicht nur mit der Mechanik des Auges erklärt, sondern sich auch sehr philosophisch mit der Wahrnehmung auseinandersetzt – mit der Frage, wie wir hinters Licht geführt werden können und wie es sein kann, dass man gleiche Dinge unterschiedlich erfährt. Es war wichtig für mich, seine Themen materiell zu thematisieren. Skulpturen waren ein interessanter Weg, das zu tun und zudem seine Ideen des Sehens und Wahrnehmens in die Praxis umzusetzen. Es sind Skulpturen, die mit Licht und Schatten spielen und physikalisch in einem Raum mit anderen Arbeiten existieren, die einen zwingen, zu hinterfragen, was man sieht, wie man Objekte liest und was die Annahme oder das Narrativ ist, mit dem man an eine Arbeit herantritt.
Neben den Skulpturen zeigen Sie Fotografien, in denen Sie mit einem Theodolit als Landvermesserin posieren. Auf einem der Bilder vermessen Sie eine deutsche Landschaft im nächtlichen Dunkel und sind nur schemenhaft zu erkennen. Welche Rolle spielt in dieser Arbeit die Dunkelheit?
In den meisten meiner Arbeiten rekontextualisiere ich historische Narrative und drehe sie herum. Ich verkörpere bestimmte Taktiken – es ist eine performative Weise, Geschichte zu verstehen. Ich finde es interessant, mich der gleichen Strategien zu bedienen, die die Kolonialmächte in Afrika und im Nahen Osten einsetzten und darüber nachzudenken, wie sie heute angewendet werden würden. Ich beziehe mich mit der Arbeit auch auf den Morgenthau-Plan, einen nach dem Zweiten Weltkrieg erbrachter Vorschlag, Deutschland zu de-industrialisieren und demilitarisieren und das Land in einen Agrarstaat zu verwandeln. Das Ganze fand nachts statt, weil es auch um Voyeurismus, Überwachung und Ambiguität geht – ich mache etwas, das ich offenbar nicht darf. Und dann ist da natürlich noch die Absurdität einer beinahe schwarzen Fotografie: Zuerst sieht man fast gar nichts. Erst wenn man näherkommt, erkennt man die Details und die Geschichte beginnt, sich aus der kompletten Finsternis abzuheben.
Der Fokus der Ausstellung liegt auf einem pyramidenförmigen Denkmal für den Nazi-Piloten Hans-Joachim Marseille, das in der ägyptischen Wüste errichtet wurde. Sie haben das Monument für die Ausstellung maßstabgetreu nachgebaut. Wie kamen Sie darauf, ein solches Bauwerk zu reproduzieren und in einem Zentrum auszustellen, das von der Nazidiktatur diffamierten und ausgegrenzten Künstlern gewidmet ist?
Es ist auch hier dieser Gedanke der Absurdität. Die meisten Menschen wissen nicht, dass dieses Denkmal existiert. Als ich zum ersten Mal auf sie stieß, war ich sprachlos und schockiert: Warum steht es dort und warum hat es die Form einer altertümlichen ägyptischen Pyramide? Die Dreistigkeit des Ganzen! Es wurde ein Mechanismus, eine breitere Geschichte zu kritisieren. Für mich bestand der einzig sinnvolle Weg darin, das Monument in materieller Form herzubringen und die Besucher zu zwingen, es so zu konfrontieren. Das Ganze passiert an diesem speziellen Ort – dem Zentrum für verfolgte Kunst, dessen Sammlung Opfer des Holocaust beinhaltet. Es geht darum, vor Augen zu führen, dass gewisse Narrative in anderen Geograpfien bis heute fortbestehen. Zudem wollte ich das Monument in seinem originalgetreuen Ausmaß herbringen und verdeutlichen, wie es situiert ist. Deshalb war es mir wichtig, das Denkmal einem Video gegenüberzustellen, in dem man es an seinem Ursprungsort sieht. Dort drüben ist es in Ägypten, hier steht es in in seiner materiellen Form – was ist der Raum, der dazwischenliegt?
Es ist tatsächlich perfide, dass das Denkmal eine Pyramide ist. Wissen Sie etwas darüber, warum ausgerechnet diese Form gewählt wurde?
Die Pyramide wurde an dem Ort errichtet, an dem Marseille nach einem Flugzeugabsturz starb. Zunächst wurde ein provisorisches Denkmal aus Steinen errichtet, die Pyramide selbst wurde erst in den späten 80er- oder frühen 90er-Jahren gebaut. Ich weiß nicht direkt, was das Denken dahinter war, wahrscheinlich hat man sich einfach an ägyptischen Klischees orientiert. Interessanterweise ist das offizielle deutsche Denkmal für die Soldaten des zweiten Weltkriegs aber ebenfalls appropriierte Architektur: es bedient sich ägyptisch-koptischer Ikonographie, und es gibt einen Obelisk.
Wer erbaute die Pyramide?
Die deutsche "Gemeinschaft der Jagdflieger". Ich nehme an, dass sie das Denkmal auch bis heute pflegen, wobei ich nicht genau weiß, ob sich nicht auch örtliche Organisationen oder gar die Regierung darum kümmern. Das untersuche ich momentan noch. Bei zwei meiner Besuche war die Pyramide mit Graffitis beschmiert, bei meinem letzten Besuch war sie dann wieder sauber. Es gibt also offenbar jemanden, der sich aktiv um sie kümmert. Wer das ist, ist mir noch immer nicht klar. Die Anwohner geben einem sehr unterschiedliche Antworten.
In Ihrer Videoarbeit sieht man einige der Anwohner über die Pyramide sprechen. Sie scheinen ihr gegenüber eine beinahe indifferente Einstellung zu haben. Woher kommt das?
Tourismus. Als eine Erweiterung des Kolonialismus. Man hat es hier mit einer Gemeinschaft zu tun, die gravierend von den Konsequenzen des Kriegs getroffen wurde und dadurch abhängig von einem Tourismus für die Überreste jenes Kriegs geworden ist. Noch frappierender ist für mich, dass es nun eine Generation gibt, die mit diesen Denkmälern aufgewachsen ist und keine direkte Verbindung zur Realität des Krieges hat. Sie ist gezwungen, die Erinnerung an den 2. Weltkrieg zu bewahren, während ihre eigene Geschichte ausgelöscht wurde. Es ist ein Konflikt fremder Objekte und Narrative, eingebettet in Landschaften, in denen sich die Menschen selbst nicht repräsentiert sehen.
Sie haben sich mit dem Schlagerstar Roberto Blanco getroffen, der in einem 50er-Jahre-Biopic über Joachim Marseille namens "Der Stern von Afrika" mitspielte. Was konnte er ihnen über seine damalige Rolle erzählen?
Ihn vor der nachgebauten Pyramide zu interviewen war ein signifikanter Teil meines Projekts. Ich bin sehr interessiert an der Rolle, die er in dem Film spielt. Sie basiert auf einer existierenden Person, deren Position ebenfalls komplett ausgelöscht wurde. "Der Stern von Afrika" wurde bei seiner Erscheinung als ein Anti-Kriegs-Film präsentiert, dabei finden die Nazis im ganzen Film kein einziges Mal Erwähnung. Der Fokus liegt stattdessen auf Marseille, der als Held dargestellt wird. Roberto Blancos Figur Mathias wird ihm als fröhlicher Butler geschenkt und sorgt für Spaß und Unterhaltung. Dabei war die Person, auf der die Rolle basiert, ein südafrikanischer Kriegsgefangener. Ich war neugierig, was Roberto Blanco über diesen Menschen weiß. Wie sich herausstellte nicht besonders viel – das Skript hatte einen Großteil der Geschichte des Corporal Mathew Letuku eliminiert. Von der Pyramide hatte er wie die meisten Menschen ebenfalls noch nie etwas gehört. Es war ein interessanter Moment, sie ihm vorzustellen und ihn in meine Forschung einzuführen. Er war sehr interessiert und adaptierte das neue Narrativ schnell: Bei unserem öffentlichen Gespräch zur Ausstellungseröffnung stellte er Mathias als einen Kriegsgefangenen vor.
Was haben Sie bei Ihrem Treffen über die Filmproduktion erfahren?
Natürlich erzählte er einige unterhaltsame Geschichten vom Set und es war interessant zu hören, wie die Rolle sein Leben und seine Karriere beeinflusste. Aus seinen Erzählungen ging aber auch hervor, dass die Drehbuchautoren und Regisseure die Geschichte Marseilles absichtlich von ihrem historischen Kontext befreiten. Das geht so weit, dass Personen auf die Bezeichnung des Denkmals als Nazi-Pyramide heute erwidern "aber Hans-Joachim Marseille war doch kein Nazi!" Im Bewusstsein dieser Menschen existiert er als ein konfrontativer, fröhlicher Held, der gütig zu seinem Diener war und Jazz liebte. Das Produktionsteam gab sich damals wirklich Mühe, ihn gleichzeitig als Kriegshelden und als Anti-Nazi darzustellen.
In Ihren Arbeiten setzen Sie sich immer wieder mit der Gewalt von untersuchenden Blicken auseinander. Sowohl rigide bürokratisch-technologische als auch willkürlich subjektive Betrachtungsweisen können brutal sein. Wie vermeiden Sie es, selbst einen derartigen gewaltvollen Blickwinkel einzunehmen, wenn Sie der von Ihnen untersuchten Materie annähern?
Ich vermeide es nicht, eine gewaltvolle Perspektive einzunehmen, sondern benutze diese eher, um zu verstehen, wie Gewalt in die Werkzeuge eingeschrieben ist, die wir verwenden. Ich betrachte die systemischen Ungerechtigkeiten, durch die Menschen marginalisiert werden – nicht um an ihrer Stelle zu sprechen, sondern um die weiteren, oft globalen Strukturen zu kommentieren, die solche Ungerechtigkeiten ermöglichen. Ich konfrontiere auch die Arten, auf die wir alle beteiligt sind. Ich bediene mich häufig schrulliger allegorischer Symbole – wie die Pyramide oder die Rolle des Landvermessers –, um die Absurdität dieser politischen Konstrukte hervorzuheben. Letztendlich ist mein Ziel, Menschen hineinzuziehen, sie neugierig zu machen und sie dazu zu bewegen, sich mit Dingen zu beschäftigen, die ansonsten sehr schwer zu adressieren sind.