Monet, Kandinsky, Klee, Schwitters, Arp – allesamt große Künstler, die einen Film lohnen. Das gibt Harald Naegeli gleich am Anfang seines eigenen Dokumentarstreifens zu Protokoll. Frauennamen fallen dem 81-Jährigen nicht ein. Dafür sein eigener, den er schelmisch hinzufügt.
Der "Utopist", wie sich der Abkömmling einer großbürgerlichen Schweizer Familie selbst nennt, wollte sich eigentlich gar nicht an dem ihm gewidmeten Filmporträt "Harald Naegeli – Der Sprayer von Zürich" beteiligen, erzählt er in seiner Düsseldorfer Altbauwohnung der französischstämmigen Filmemacherin Nathalie David. Er sei zu alt, krank und könne nicht mehr auf der Straße sprayen. Wenn die Krebsschmerzen zu groß würden, möchte er selbst entscheiden, wann Schluss sei.
Für den Unabhängigkeit schätzenden Kapitalismus-Kritiker kam die 68er-Bewegung gerade recht. Er hinterließ erst politische Gleichungen wie "68 + 80 = Revolution" auf öffentlichen Wänden, dann minimalistische graphische Darstellungen. Thematisch drehten sich die flüchtigen Botschaften des Felsen- und Höhlenzeichners, so eine weitere Selbstbeschreibung, um Umweltverschmutzung, Chemiekonzerne, Kreuzfahrtschiffe oder Massentierhaltung.
"Eine anthropologische, soziale Kunst."
Dafür wurde er in Schweizer Medien als "Vorläufer der Schmierereien" angegriffen. Joseph Beuys sah das anders. Für den Erfinder des erweiterten Kunstbegriffs machte Naegeli "eine anthropologische, soziale Kunst." Wegen der er irgendwann mit einem internationalen Haftbefehl gesucht wurde und 1982 nach Deutschland floh. Zwei Jahre später trat er die sechsmonatige Gefängnisstrafe freiwillig an. Danach kehrte der Bürgerschreck wieder für Jahrzehnte nach Deutschland zurück.
Wie Naegeli über diese Lebensphase mit Stolz erzählt, merkt man, dass es ihm nicht nur um politischen Protest gegangen ist, sondern auch um Ruhm. In Düsseldorf waren es zwar nur Geldstrafen, die er wegen seiner Graffitis zu zahlen hatte. Aber in dieser Stadt mit der großen Kunsttradition schien seine avantgardistische Street-Art-Ästhetik zumindest in der Kunstszene die Anerkennung zu finden, die ihm immer vorgeschwebt hat.
Die Regisseurin montiert die Kapitel dieses anarchischen Werdegangs zu einer passenderweise eigenwilligen Collage aus Architekturaufnahmen und wenigen Archivbildern. Die Montage gehorcht einem Rhythmus der unberechenbar wechselnden Geschwindigkeiten, während die Kamera dem Porträtierten im Hier und Jetzt an die Plätze seines Wirkens folgt, zuletzt nach Zürich während der ersten Phase der Corona-Pandemie.
Das Skelett überschreitet die zugedachte Zone
Zurück in seiner Heimatstadt macht der einst Ausgestoßene mit Motiven des Totentanzes auf sich aufmerksam, in den Türmen des Zürcher Großmünsters immerhin mit behördlichem Segen, nur um dann vom Stadtamt attestiert zu bekommen, dass ein Skelett den ihm zugedachten Platz mit einer Zehenspitze überschreite. "Mein Totentanz läutet die globale Katastrophe, die erst noch kommt, ein. Die Übel, die wir kennen, sind nennbar. Die noch kommen, unbekannt. Es gilt, den Barbaren, der immer wieder aufsteht, in Schranken zu halten! Die Kunst ist dabei das beste Mittel!", so Naegelis Reaktion.
Der Stiftungsrat des Kunsthauses entfernte trotzdem das tanzende Skelett, während die Stadt Zürich "ihren Sprayer" im September 2020 mit dem Großen Kunstpreis für sein Lebenswerk ehrte.