Wer kennt sie nicht, Helmut Newtons erotische Aktfotos von Frauen? Sie stehen für Glamour und eine Ära der Supermodels, aber auch für die Dominanz eines voyeuristischen männlich geprägten Blicks auf Frauenkörper. Für ihr Projekt "Helmut Newton As Seen By Hani Hape" hat die Berliner Künstlerin Hani Hape die bekannten Schwarz-Weiß-Aufnahmen des Fotografen nun aus ihrer eigenen Sicht neu aufgelegt.
Statt Frauen stehen bei ihr Männer und queere Models nackt vor der Kamera. Die meisten Motive hat sie durch Montage nachgebaut, auch einige neue Bildideen sind entstanden. Hani Hape studierte in der Bildhauerklasse von Thomas Demand freie Kunst an der HfbK in Hamburg. Ab Oktober ist sie Teil von Monica Bonvicinis Klasse für Bilderhauerei an der Berliner Universität der Künste.
Hape ist keine professionell ausgebildete Fotografin, Simon Veroneg übernahm den technischen Part des Projekts, für das die Künstlerin mit einem großen Team seit 2021 zusammenarbeitete. Wir treffen uns an einem regnerischen Julitag in einem Café in Berlin-Kreuzberg. Hape kommt mit dem Auto, weil sie ein Exemplar ihres großformatigen Buchs mit schwerer Metallhülle mitbringt, von dem sie 100 Exemplare gedruckt und signiert hat. Auf dem Silber der Hülle kleben rote Versandaufkleber: "Fragile" und "Lay Flat to Open". Um es zu öffnen, muss man zwei dunkle Lederriemen lösen.
Hani Hape, In Anlehnung an Newtons fast 35 Kilogramm schweren, 50 mal 70 Zentimeter großen Akt-Bildband "Sumo", sind Ihre Fotos von nackten Männern nun als Buch mit dem Titel “Sakura“ in demselben Format erschienen. Sie haben sich aber für ein Softcover und sehr dünnes Papier entschieden. Ihr Buch ist viel leichter. Sie spielen hier sehr direkt mit Binaritäten wie schwer und leicht, mächtig und fragil, oder?
Ja, mein Buch wiegt nur 1,2 Kilogramm. Ich habe mich für ein dünnes Papier entschieden, weil ich es schön finde, wenn es knittert. Ich will zeigen, dass dieses Thema sehr sensibel ist. Das merke ich an den Reaktionen. Mit der Fragilität will ich einen starken Kontrast zu Newton setzen. Deshalb hat das Buch auch kein Hardcover und diese Metallhülle – harte Schale, weicher Kern.
Wie sind Sie auf die Idee zu dem Newton-Projekt gekommen?
Es gibt in der Kunst unfassbar viele Bilder von nackten Frauen – von den ersten Höhlenmalereien über Gemälde der alten Meister bis hin zur zeitgenössischen Kunst. Aber es existieren kaum männliche Aktbilder. Ich habe mich gefragt: Wie kann es sein, dass die Welt voll weiblicher Nacktheit ist und es aber kaum Bilder von erotisch gelesenen Männern gibt? Frauen dürften ja ein ähnliches Interesse an ihren Geschlechtspartnern haben wie umgekehrt Männer. Newton ist das Paradebeispiel für das weibliche Aktfoto. Er hat mit ihnen Ikonen geschaffen. Deshalb will ich mit Newtons Bildern unsere Sehgewohnheiten hinterfragen. Bewerten wir das Motiv, wenn wir die Rollenbilder tauschen, genauso? Oder findet ein anderer Denkprozess statt? Um diese Sehgewohnheiten zu hinterfragen, habe ich auch mit Montage gearbeitet.
Wie aufwendig war die Montage?
Extrem aufwendig. Ich brauchte zunächst einmal sehr große Scans der Originale. Dann haben wir Newtons Models aus den Hintergründen retuschiert und meine hineinmontiert.
Sie drehen die Rollen mit dem Projekt um und stellen Männer sowie einige queere Models statt Frauen nackt vor die Kamera. Aber sind Männer nicht genauso objektivierbar wie Frauen?
Ich finde eine Objektivierung, wenn sie einvernehmlich ist, grundsätzlich nicht bedenkenswert. Mich stören nur die Eindimensionalität der Betrachtungsweise und das Fehlen der männlichen Aktbilder.
Sie sprechen vom male gaze. Ist Ihr Blickwinkel der female gaze?
Ich definiere mich als Frau, insofern ist meine Ausgangssituation zunächst einmal eine weibliche. In letzter Zeit habe ich mich viel mit der Position von Judith Butler beschäftigt. Ich bin überzeugt, einen female gaze gibt es, aber durch gesellschaftliche Strukturen ist dieser weibliche Blick nicht wirklich präsent. Es existieren einfach kaum Bilder dazu.
Letztlich ist der female gaze immer beeinflusst durch den male gaze, da wir in einer durch den männlichen Blick geformten Bilderwelt aufgewachsen sind.
Ja, definitiv. Der männliche Blick prägt noch immer unsere Sehgewohnheiten. Vor ein paar Jahren habe ich die tolle Ausstellung "In The Cut" in der Stadtgalerie Saarbrücken gesehen, in der es um den männlichen Körper in feministischer Kunst ging, mit Arbeiten von Louise Bourgeois, Tracey Emin und Sophie Calle. Dabei ging es auch um die Potenz der Frau. Potenz ist ein männlich konnotierter Begriff. Ich glaube, es gibt auch eine weibliche Potenz. Auch die Frau kann in die Lust kommen. Und das hat etwas mit dem Blick der Frau auf den Mann als begehrenswertes Objekt zu tun. So eine Veränderung des Blicks hinterfragt die Machtverhältnisse. Denn die Person, die schaut, ist die aktive. Ein souveränes Subjekt mit Schaulust zu sein, kann auf die herrschenden Machtverhältnisse Einfluss haben.
Für die Aufnahme der Fotos und die Nachbearbeitung hatten Sie technische Unterstützung von Simon Veroneg. Insofern ist Ihr female gaze hier schon vorneherein durchkreuzt, weil dann doch wieder ein Mann die Fotos gemacht hat, oder?
Simon hat sich um das Technische gekümmert, ja. Für das Konzept, die Produktion und die Regie, bin ich verantwortlich gewesen.
Wie haben Sie Ihre Modelle gefunden?
Angefangen habe ich bei Freunden und Freunden von Freunden. Das hat sich bald erschöpft. Es ist nicht einfach, Männer zu finden, die die Hose runterlassen. Ich habe Männer in Clubs auf der Tanzfläche angesprochen und habe mir bei der Dating-App Grindr einen Fake-Account angelegt, um homosexuelle Männer zu casten. Manche dachten, ich bin nicht ganz dicht, als sie gemerkt haben, dass ich eine Frau mit einem Fake-Account bin. So kamen Models aus ganz unterschiedlichen Bereichen zusammen: Choreografen, Informatiker, Psychologen.
Haben Sie die Fotos in einem Studio aufgenommen?
Ja, wir haben fast alle Fotos vor einem weißen Hintergrund geschossen. Manche haben wir auch on set fotografiert, ohne Studio, wenn ich einen Bildhintergrund neu erfunden habe. Zu Beginn haben wir die Szenen konsequent nachgestellt. Über die Zeit habe ich mich immer mehr von Newtons Motiven gelöst und neue Szenen erfunden, dadurch dass die Modelle auch ihre Themen und Ideen eingebracht haben. Einmal haben wir an einem Sonntag in Moabit auf einer Baustelle fotografiert.
Welche Reaktionen auf das Projekt haben Sie bekommen? Hat sich die Helmut Newton Stiftung geäußert?
Die Stiftung hat sich erst bedeckt gehalten aber gerade haben wir Kontakt, weil es bald eine Arte-Produktion geben soll, die eventuell in der Foundation gedreht wird. Ansonsten habe ich sehr viele positive Kommentare bekommen, sowohl von Männern wie von Frauen. Natürlich gab es auch kritische Stimmen, allerdings mehr von Männern. Ich glaube, dass es bei Männern immer noch ein großes Unbehagen auslöst, sich aus einem female gaze mit erotischen Bildern von Männern konfrontiert zu sehen. Oft waren die Kommentare viel rückschrittlicher als ich mir das erhofft hatte. Insbesondere bei der Suche nach Orten für mein Release-Event. Ich hatte zum Beispiel in der Newton Bar am Gendarmenmarkt, in der die Aktbilder von Newton hängen, angefragt, ob ich für ein Event meine Bilder dort zeigen könnte. Das stieß auf wenig Begeisterung. Auch Hotels und Suiten habe ich gefragt, aber sobald klar war, um was für Bilder es geht, also um nackte Männer, hat man mir gesagt, das passe nicht "zum Set-up des Hauses". Der weibliche Akt ist etabliert aber dieser simple Tausch, der männliche Akt, ist es bis heute eben ganz und gar nicht.
Der männliche Akt wirkt anstößiger.
Ja. Selbst Performende oder Künstler*innen, die ich gut kenne und von denen ich weiß, dass sie sehr offen und tolerant ihre Sexualität ausleben, haben gesagt, dass die Motive etwas mit ihnen machen. Es ist einfach immer noch für viele Menschen irritierend, sich mit der erotischen Darstellung eines Männerkörpers zu beschäftigen. Was mir bei dem Projekt aber auch wichtig war – das sieht man vor allem an den “Big Nudes” – es ging mir darum, die Männer so zu fotografieren, wie sie sind. Sie sind mit ihren eigenen Accessoires gekommen und haben so posiert, wie sie wollten. Es ging nicht um eine Rollenbesetzung, wie bei Newton. Emre zum Beispiel studiert an der Universität der Künste Philosophie und macht nebenbei Fetischpornos. Und der meinte eben hey, das ist mein Look und das möchte ich so gern anziehen. Mir war es wichtig, dass die Models sich wohlfühlen und so kommen, wie sie sind.
Die Frauen bei Newton haben meistens hohe Schuhe an. Ihre Modelle, zumindest die männlichen, tragen Turnschuhe.
Wenn eine nackte Frau High Heels trägt, deutet das darauf hin, dass sie einfach nur ihr Kleid ausgezogen hat. Jemand, der nackt Turnschuhe trägt, muss erstmal die Schuhe ausgezogen haben, um dann die Hose auszuziehen und die Schuhe wieder an. Das ändert viel.
Sie studieren Bildhauerei, sind also keine Fotografin, aber Sie haben nun über zwei Jahre ein großes Fotoprojekt gemacht. Wie beschreiben Sie Ihre Kunst?
Meine Kunst ist konzeptionell. Die Tatsache, dass ich gerade Fotos gemacht habe, ist kein Garant dafür, dass ich jetzt weiter fotografiere. Für mich ist immer erst die Idee wichtig und dann überlege ich, welches Medium es für die Umsetzung braucht. Und dieses Medium variiert. Wahrscheinlich muss ich nach der ganzen Nacktheit, die ich jetzt produziert habe, erstmal Blümchenbilder malen.
Wieso haben Sie sich an Newton abgearbeitet, statt eine eigene Bildsprache zu finden?
Ich wollte kein Nischenprojekt machen, sondern habe nach einer starken Referenz gesucht, die viele Menschen kennen, um die etablierten Sehgewohnheiten zu hinterfragen. Newton ist so eine starke Referenz.
Hat sich Ihr Blick auf Newton durch die Arbeit verändert?
Auf Newton nicht. Aber meine Sicht auf Männer. Die ist jetzt sehr viel sinnlicher als vorher.
Sie selbst haben in der Vergangenheit als Model gearbeitet. Angenommen, Newton hätte Sie gefragt, ob Sie für ihn Modell stehen – was hätten Sie geantwortet?
Ja, mit Vergnügen – solange ich mich selbstbestimmt darstellen kann!