Frau Dutta, warum muss man bei Ihrer aktuellen Ausstellung "Hands" schnell zugreifen?
Das Besondere ist, dass die Kunst zu den Leuten nach Hause kommt und ihnen beisteht. Dafür haben wir die neun Künstlerinnen und Künstler gebeten, ihre jeweiligen Arbeiten in Multiples zu produzieren, seien es zehn, 20 oder 25 Stück. Die Multiples können für nur 70 Euro mit nach Hause genommen werden. Zeitgenössische Kunstwerke für 70 Euro! Der wahre Preis wäre natürlich viel höher, und selbst diese Summe verlangen wir nur, damit die Leute ihr Commitment und ihr aufrichtiges Interesse unter Beweis stellen.
Unter den Multiples sind ein Stempel, ein Lineal und eine Tapete. An anderen lässt sich kurbeln, kneten oder musizieren. Leben wir wirklich in der "Epoche der Handvergessenheit", wie der Medienwissenschaftler Jochen Hörisch kürzlich mit einem Buch beklagte?
Die Digitalisierung hat unsere Verwendung der Hände nur gewandelt, aber sie nicht abgeschafft. Kein Organ benutzen wir rund um die Uhr so aktiv und bedeutsam wie unsere Hände – ich sage das mit großem Respekt vor behinderten Menschen, die das nicht zu tun vermögen. Wir haben so viele Organe, aber wir leben nun mal nicht mit unserer Leber. Hände sind etwas Kulturelles und Konzeptionelles, was man allein am häufigen Gebrauch des Wortes „Hand“ in der Sprache merkt. Wenn Hände nun also reglementiert werden, geht die Krise weit über das Motorische hinaus. Unser Körper und unser Verstand werden eingeschränkt. Darum ging es uns: Hände in Zeiten der Corona-Pandemie. Wenn Berührung physisch nicht mehr möglich ist, muss sie konzeptuell geschehen, und hier kommt die Kunst ins Spiel.
Wo stößt die Idee der Multiples an ihre Grenzen?
Ich will von der deutschen Künstlerin Charlotte Posenenske erzählen, der wir in dieser Ausstellung Tribut zollen. In den 1960er-Jahren hat sie Arbeiten geschaffen, die höchstens ein Jahr existieren konnten. „Damit mein Werk überlebt, musst du es reproduzieren“, hat sie uns gesagt. Interessierten Leuten hat sie dazu sogar Anleitungen geschickt: Schneide hier, klebe dort, eine Do-it-yourself-Kunst. Das wäre theoretisch der Traum des Multiples. Etwas Ähnliches macht der Möbelkonzern Ikea, wenn er in Kooperation mit berühmten Künstlern vielleicht eine Blumenvase für 10 Euro herausbringt. Aber: Nur indem sich diese Vase weltweit millionenfach verkauft, kann Ikea sich die Gage des Künstlers und zugleich den niedrigen Preis leisten – und trotzdem noch viel Geld verdienen. In der Kunstwelt passiert vor allem viel Privatisierung und Musealisierung. Mein Job ist die Gegenbewegung: die Kunst zu vereinfachen, ihr den Mythos zu nehmen. Manchmal machst du die Augen auf und sie steht neben deinem Bett.