Street Art erleben – das ist das Konzept der Wanderausstellung "Magic City". Bis Mitte Januar war sie in Dresden zu sehen, am 12. April startet die Schau in München. Mit dabei ist auch das Künstlerduo Herakut. Jasmin Siddiqui (geboren 1981) und Falk Lehmann (geboren 1977) trafen sich 2004 auf beim Urban Art Festival in Sevilla. Kurz darauf fusionierten sie ihre Künstlernamen Heran und Akut zu Herakut. Oft verbinden die beiden Kunst mit sozialem Engagement, verschönern Schulen oder arbeiten in Flüchtlingsunterkünften. Im Interview sprechen sie über ihre Pläne für die "Magic City", darüber, warum für sie Street Art und soziales Engagement zusammengehören – und wann sie die Geduld auch mal verlieren.
Sie verbinden Kunst mit sozialem Engagement – warum?
Lehmann: Grundsätzlich ist unsere Kunst Sozialarbeit, ein positiver Eingriff in den öffentlichen Raum.
Siddiqui: Wenn wir etwas hinterlassen, dann soll es positiv sein. Wir stellen unsere Talente quasi in den Dienst der Öffentlichkeit. In Kathmandu in Nepal haben wir mal auf einem Dach gemalt, in einem Stadtviertel, in dem viele Religionen zusammenkommen. Auf unserem Wandbild sieht man einen Jungen und ein Mädchen. Der Junge schreibt "Ich bin anders", und das Mädchen schreibt auf seinen Rücken: "Ich auch." Natürlich ist das eine Anspielung auf die Toleranz von Religion und von Gender. Auf dem Dach haben auch ein paar Jungs gewohnt, vielleicht 13 Jahre alt. Sie haben tagsüber schwer gearbeitet, und sonst Karten gespielt oder Kleber geschnüffelt. Wir haben auch für diese Jungs gemalt, denn die Wand war ja sozusagen ihr Garten, den wir verschönern wollten.
Aber Ihnen geht es ja nicht nur ums verschönern, oder? Welche Werte sind für Sie wichtig?
Siddiqui: Toleranz ist für uns das Allerwichtigste, aber auch gepaart mit Respekt. Wir wollen niemandem einen Stempel unserer westlichen Welt aufdrücken. Aber wir arbeiten auch nicht immer nur zusammen. Ich kann als Feministin manchmal mit dem Nahen Osten nicht viel anfangen. Vor ein paar Monaten war Falk ohne mich im Gaza-Streifen.
Lehmann: Dort ist es für eine Frau sehr schwer, im öffentlichen Raum zu arbeiten.
Siddiqui: Ja, wir haben auch gemerkt, dass wir eigene, persönliche Grenzen haben. Ich kann Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen nicht ertragen, und ich muss ein paar Reisen gut planen. Ich bin selbst halbe Pakistanerin, aber bei manchen Sachen weiß ich: Da muss ich jetzt sehr viel Geduld mitbringen.
Haben Sie die Geduld schon mal verloren?
Lehmann: Ja, in Tel Aviv.
Siddiqui: Wir hatten ein Projekt in Jaffa, dem arabischen Teil von Tel Aviv. Die Israelis, egal ob Hebräer oder Araber, sind sehr viel chauvinistischer, als mir bewusst war. Da trägt die Frau die Einkaufstüten und der Mann das Handy.
Lehmann: Es hat für Aufsehen gesorgt, dass wir auf Hebebühnen gemalt haben. Frauen auf schweren Maschinen, das ist dort ein unbekanntes und nicht gern gesehenes Bild.
Siddiqui: Männer haben mich oft einfach nicht beachtet, haben sich mir in den Weg gestellt, haben meine Bitte ignoriert, ihr Auto nicht an einer bestimmte Stelle zu parken, weil wir dort arbeiten wollten.
Lehmann: Dass es schwierig war, das sieht man dem Bild auch an.
Siddiqui: Ja, das Bild ist eine Antwort darauf. Man sieht eine Frau darauf, die ihren Kopf nicht mehr auf ihren Schultern trägt, sondern in ihren Händen hält. Dabei steht: "Ich bin den ganzen Weg hergekommen, und das ist der Dank dafür." Wenn man so eine weite Reise auf sich nimmt, und dann wird man vor Ort angepöbelt, ist das frustrierend.
Wie schwer war es, sich als Frau in der Sprayer-Szene einen Namen zu machen?
Siddiqui: Als ich angefangen habe, gab es noch gar nicht die Street-Art-Szene, die wir heute kennen. Und die Graffiti-Szene damals war auf jeden Fall absolut männlich. Wenn man als Frau gesprayt hat, war man gleich Stadtgespräch – was ja auch nicht unbedingt negativ ist. Damals war ich 20 und hatte leider auch mit unangenehmen Flirtattacken meiner männlichen Kollegen zu kämpfen. Entweder wurde ich zu sehr umworben oder musste mir den Vorwurf gefallen lassen, ich erhielte eine Vorzugsbehandlung von Festivalveranstaltern. "Du bist nur da wegen der Frauenquote" und so weiter. Das ist ein schwieriger Grad, aber es ist mir ist es wichtig, dass ich auch als Frau wahrgenommen werde, und dass auch meine Bildwelt die einer Frau ist. Ich male auch Frauen mit kleinen Brüsten und Reiterhosen, eben kein Barbie-Format. Mir wurde auch oft gesagt, dass Mädchen meine Arbeit und mich toll fanden. Und ich möchte auch ein Vorbild sein. 2012 waren wir in Jordanien, und ich hatte vorher überlegt: Trage ich Kopftuch oder nicht? Aber mir war schnell klar, dass es wichtig ist, dass ich mich mit offenen Haaren zeige. So konnte ich auch klar machen: Ich stehe auf einer Leiter, ich male, ich bin eine Frau und ich bin keine Hure, nur, weil ich meine Haare offen trage. Ich will mich nicht verstellen, sondern Präsenz zeigen.
Gibt es ein Projekt, an das Sie sich besonders gern erinnern?
Lehmann: Für mich sind das auf verschiedenen Ebenen die Projekte mit der NGO aptART. Die Arbeit mit Geflüchteten setzt das eigene Leben in Relation.
Siddiqui: Ich erinnere mich sehr gern an ein Projekt in Miami. Da haben wir 2015 eine sehr große Wand bemalt, gemeinsam mit ein paar jungen Männern, die vorbestraft waren. Sie hatten durch das Programm "Here’s Help" die Möglichkeit, Punkte abzubauen. Wir haben das Projekt, wie viele andere auch, komplett selbst finanziert. Aber es war großartig. Auf die Wand haben wir ein Mischwesen aus Kind und Ratte gemalt, mit dem Spruch: "I dreamt I was a human. It was a nightmare." Die Ratte steht für das Negative, für den Untergrund. Auch 15-jährige Drogenabhängige wollen viele nicht in ihrer Stadt haben, genauso wenig wie Ratten. Mit dem Spruch zeigen wir, dass Menschen auch schrecklich sein können. Wir mischen oft tierische Eigenschaften mit menschlichen Charakteren, das wird auf der ganzen Welt verstanden.
Lehmann: Und wir legen auch eine neue Symbolik in die traditionelle Fabelwelt.
Was erwartet jetzt den Besucher der "Magic City" in München?
Lehmann: In der Regel arbeiten wir immer intuitiv für den Ort, an dem wir gerade sind.
Siddiqui: Weil unsere Arbeiten eben in der Regel spontane Reaktionen auf das sind, was wir egal wo auf der Welt vorfinden, sind sie wie Tagebucheinträge oder "Snapshots" unserer eigenen Realität. Auf die Weise erfährt der Besucher in München nun von unserer Wahrnehmung der Arbeitsatmosphäre in Dresden. Wir befanden uns dort in einer Art provisorischem Atelier neben all diesen anderen Street Artists, die über die Jahre des Reisens gute Bekannte geworden waren. Es war surreal, so viele sensible Gemüter auf einen Haufen zu sehen, vor sich hinmalend, versunken in eigenen Gedanken, quasi tagträumend, während die Welt dort draußen weiter wütet und ständig etwas neues Schreckliches passiert. Symbol für die Flut von Input sind unsere "See-More"-Kreaturen. Sie sind wie das Bewusstsein, das mit der Welt in Verbindung steht und uns zum Sehen ermahnt. Sieh, was um Dich herum passiert! Du bist im Dresden von Pegida! Hier schleicht der Geist des Rassismus umher. "So much to do" steht auf dem Bild. Unser Kollege Ernest Zacharevic stand Model und stellvertretend für alle Künstler der Magic City, die die "See-More"-Monster im Nacken sitzen, ermahnend: "It´s all fun and games till reality grabs you by the ..."
Was sind Ihre Pläne für den Rest des Jahres?
Siddiqui: Es ist schade, dass wir in München nicht malen können. Dann würden sicher unsere Erfahrungen mit den Sozialarbeitern der Organisation "Refugio" miteinfließen, mit denen wir in verschiedenen Projekten in den vergangenen Jahren mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zusammenarbeiten konnten. Es gibt die Bayernkaserne, in der wir gemeinsam mit Geflüchteten zwei Fassaden bemalt haben, so nicht mehr, aber die Willkommenskultur bleibt in Erinnerung. Am liebsten würde ich die Teenager von "Refugio" alle mitnehmen zu einer privaten Tour durch die "Magic City". Es würde mich sehr interessieren, was sie mit dem Titel unseres Werkes dort anfangen würden, der lautet: "The good news, though: the real magic city is located inside your mind."
Lehmann: Ich freue mich erst einmal auf meine bevorstehende Vaterschaft. Wir haben unsere Auslandsaufenthalte heruntergedrosselt und machen Projekte in Deutschland. Im April fahren wir zum New Art Festival in Aberdeen in Schottland.
Siddiqui: Ja, darauf freue ich mich sehr, weil ich so ein Europafan bin. Ich fand es super, dass die Schotten gegen den Brexit-Antrag gestimmt haben. Außerdem machen wir noch ein Flüchtlingsprojekt in Potsdam und gestalten in Kiew große Plattenbausiedlungen. Das ist für mich ein Traum – Betonlandschaften in Bilderbücher verwandeln.