Künstlerinnen-Schau in London

Große Bilder und harte Kämpfe

Die Tate Britain zeigt mit "Now You See Us" eine groß angelegte und systematische Schau von Künstlerinnen aus vier Jahrhunderten. Zu sehen, wie lange Frauen um ihren Platz in der Kunst rangen, ist so erhellend wie bewegend

Nur ein Teetisch steht zwischen der Frau und dem Mann. Die Frau sitzt ganz vorn im Bild. Unter einem blauen Hut mit orangefarbenen Bändern schimmert ihr weißer Nacken. Ihr Gesicht ist nicht zu sehen, die Malerin Ethel Sands wollte es so. Der Mann am anderen Ende der nachmittäglichen Tafel ist der Maler Walter Sickert, rauchend, die Beine übereinandergeschlagen in entspannter Herrenpose. Obwohl seine Züge nur angedeutet werden, ist seiner Haltung doch schon alles zu entnehmen: Selbstgewissheit und mehr als nur ein Schimmer Überheblichkeit.

In das Gemälde "Tea with Sickert" (1911/12) hat sich Ethel Sands ex negativo eingeschrieben – von oben über die Schulter der Dame im Vordergrund blickend. Damit kehrt Sands die sonst so übliche Situation um: Die unsichtbare Frau im Bild – sie selbst – schaut auf den berühmten Kollegen herab, und es ist einmal nicht der Maler, der die Frau als Objekt erfasst und nach seinem Willen künstlerisch deutet.
 
Das ist es, was man vom Besuch der großen Ausstellung in der Tate Britain über Künstlerinnen aus vier Jahrhunderten mitnimmt: wie maßgeblich Männer die Wahrnehmung von Frauen in der Kunst und darüber hinaus geprägt haben. Und wie sehr sich der weibliche Blick auf Vertreterinnen des eigenen Geschlechts davon unterscheidet. 

Endlich sehen wir sie

Erotische Wunschbilder und andere männliche Konstrukte der Weiblichkeit fehlen. Nicht, dass es sich dabei um eine neue Erkenntnis handelte. Aber sie systematisch in einer so groß angelegten Schau vorgeführt zu bekommen ist eindrucksvoll – und zusammen mit den vorbildlich aufgearbeiteten Bildlegenden und den darin angedeuteten Biografien auch bewegend. Es sind Geschichten von harten Kämpfen, die hier erzählt werden. Von Frauen, die sich den Zugang zu Akademien und anderen Lehrinstitutionen unter großen Widerständen erarbeiteten und sich gegen Spott und Vorurteile durchsetzten.
 
Rund 110 Künstlerinnen, von denen viele auch Spezialistinnen unbekannt sein dürften, sind hier mit 238 Werken vertreten, die nicht nur Frauen zeigen, sondern ein breites Spektrum von Motiven: Kinder, alte Männer, verletzte Soldaten, biblische Szenen und Blumenstillleben. 

Nicht alle Künstlerinnen stammen aus Großbritannien, aber sie alle lebten oder starben dort – Artemisia Gentileschi, Angelika Kauffmann, die aus Frankreich stammende Kalligrafin Esther Inglis, die Frauenrechtlerin Barbara Leigh Smith Bodichon und die ohne Arme und Beine geborene Miniaturmalerin Sarah Biffin, die es in Dickens’ Zeiten nach Jahren in der "Freakshow" eines Jahrmarkts zur führenden Malerin ihrer Zunft brachte. Später porträtierte sie sich als sehr selbstbewusste Frau, die wusste, was sie konnte. Endlich sehen wir sie.