An einem Sommertag, an dem die Sonne so knallt wie heute, fühlt sich bereits das Betreten der Feuerle Collection wie ein zeremonielles Übergangsritual an. Hinter den dicken Außentüren wird man begrüßt von gedimmt beleuchteten Wänden aus unverarbeitetem Beton und einer erfrischenden Raumtemperatur von 19 Grad. An den Wänden des Telekommunikationsbunkers aus dem Zweiten Weltkrieg prangen einzelne Graffiti-Tags, vermutlich aus einer Zeit, in der Menschen an Orten wie diesen übernachteten oder feierten. Die bewegte Stadtgeschichte des 20. Jahrhunderts darf an einzelnen Stellen als Patina in den geradlinigen und eleganten Interventionen des Architekten John Pawson stehenbleiben.
Man versteht sofort, warum das Kunstkollektiv DIS die Privatsammlung 2016 neben einem Touristen-Spreedampfer und der im ehemaligen DDR-Staatratsgebäude angesiedelten privaten Wirtschaftshochschule ESMT als Austragungsort ihrer Berlin-Biennale auswählte: Die Feuerle Collection ist einer der Schauplätze jenes neuen Berlins, in dem die Stadt Kultur und Geschichte als ihre größten Kapitalwerte erkannt hat, die eigene charmant schludrige Verlebheit selbstbewusst als Alleinstellungsmerkmal verkauft und dadurch langsam abnutzt.
Nach der Biennale öffnete die Feuerle Collection im Oktober 2016 erstmals mit der Präsentation der eigenen Sammlung ihre Türen. Der Kunstsammler und Mäzen Désiré Feuerle verfolgt hier seither die Linie weiter, die er in den 90er-Jahren bereits mit seiner Galerie Feuerle in Köln fuhr: zeitgenössische Kunstwerke werden gleichberechtigt neben kaiserlich-chinesischen Möbeln und alter Kunst aus Südostasien präsentiert. Der Mäzen betrachtet seinen Bunker als synästhetischen Erlebnisraum. Besucherinnen und Besucher werden gebeten, ihre Handys abzugeben und den ausgestellten Werken befreit von Wandtexten und sonstigen kunsthistorischen Kontextualisierungen auf einer intuitiven, sinnlichen Ebene zu begegnen.
In der Frequenz von Erde und Venus schwingen
Um ihre Wahrnehmung zu schärfen und sie ganz im Hier und Jetzt der Kunstbetrachtung ankommen zu lassen, bietet die Feuerle Collection ihren Gästen nicht nur die Teilnahme an einer Incense-Zeremonie in einem eigens hierfür bestimmten Raum, sondern seit Kurzem auch ein Gong-Bad inmitten der Sammlung an. "Bei der Gong-Meditation wird der ganze Körper zum Vibrieren gebracht, ohne ihn zu bewegen", erklärt Gong-Meisterin Nora Schirmeier und merkt schmunzelnd an, dass diese Form der Meditation deshalb zuweilen auch als "Yoga für Faule" bezeichnet werde.
Bevor es mit der eigentlichen Meditation losgeht, versammeln wir uns in einem abgedunkelten Raum, in dem wir den minimalistischen Klängen eines John Cage-Stücks lauschen - eine Art geistige Reinigung, die alle Besucherinnen und Besucher der Sammlung durchlaufen müssen. Anschließend lassen wir uns auf Yogamatten inmitten von präzise ausgeleuchteten Buddhastatuen aus Stein und Holz nieder. Nora Schirmeier hat zwei Gongs aufgebaut. Der größere von ihnen schwingt in der Frequenz der Erde, der kleinere in jener der Venus, dem Planeten der Liebe, der Künste und der Schönheit. Während der Zeremonie habe ich zwischenzeitlich den Eindruck, ganze Symphonien aus Streich- und Blasinstrumenten wahrzunehmen. Die symphonischen Klangkörper haben die klangliche Spannweite eines ganzen Orchesters und so fällt es leicht, sich für circa eine halbe Stunde ausschließlich auf ihre Klänge zu konzentrieren.
Alles ist anregend, nichts herausfordernd
Nachdem die Schwingungen durch unseren Körper geflossen sind und wir die Kühle des Betonbodens aufgesogen haben, dürfen wir uns langsam aufsetzen und durch die Sammlung bewegen. Eine freundliche Mitarbeiterin schreitet auf mich zu und bittet mich mit ruhiger Stimme, mich an sie zu wenden, sofern ich eine Frage habe. Ich erkundige mich nach dem angenehm tiefen, monotonen Surren im Raum, das ich bereits während der Meditation vernommen habe. Es stammt von der Belüftungsanlage, von Herrn Feuerle persönlich ausgewählt unter 14 möglichen Exemplaren aufgrund ihres angenehmen Klangs.
Das Herzstück des Ausstellungsraums im Souterrain ist ein durch bodentiefe Glasscheiben einsehbarer Raum, der mit Wasser geflutet und Spiegeln ausgekleidet ist. Er strahlt die gleiche klare Eleganz aus wie die Fotografien Arakis, jenes zeitgenössischen Künstlers, der hier am häufigsten vertreten ist: porzellanfarbene Haut, perfekt geformte Körper, mit Shibari-Seilen zusammengezurrt, zwischen gelackten Holzschreibtischen der Ming-Dynastie das Bild einer vulvaförmige Auster. Die Skulptur, die die Künstlerin Cristina Iglesia eigens für die Ausstellung entworfen hat - ein Brunnen aus Bronze, elektrischem Licht und glitzerndem Stein - vergegenständlicht im oberen Stockwerk die Stimmung, die in der gesamten Ausstellung herrscht. Alles ist anregend, nichts herausfordernd, ein kühler Strom, der sich anfühlt wie die stimulierende Massage in einem hochpreisigen Hotel.
Als ich mich nach dem Rundgang im schmeichelnden Licht des Badezimmerspiegels betrachte, fühle ich mich klarer, präsenter und inspirierter. Ob das nun an der feinfühlig gestalteten Umgebung oder an den Raumtemperatur liegt, kann ich nicht genau feststellen. Auf dem Heimweg denke ich darüber nach, ob die gezeigten Werke bei all der Besinnung, dem Luxus, der Achtsamkeit erst so richtig zum Erlebnis oder stattdessen zur Kulisse werden. Dabei radele ich im Schein der herabsinkenden Sonne zurück ins zumindest heute noch dreckige Neukölln.