"Die Natur existiert nicht mehr", schreibt Josefine Klougart. Sie verkündet, dass die unberührte, ungezähmte Weite der Vergangenheit angehört. Eben diese Natur, der ihr Untergang nicht nur bevorstehe, sondern die diesen schon längst erlebt habe, wird zum Thema der Ausstellung "After Nature" in der Glyptothek in Kopenhagen. Kuratiert wurde sie von der dänischen Schriftstellerin selbst.
Aus knapp 10.000 Exponaten, die zur Sammlung der Glyptothek gehören, hat Klougart Werke von dänischen und französischen Malern ausgewählt, die unsere Vorstellung von Natur abbilden. Neben der sieben Räume umfassenden Schau entstand ein gleichnamiger Essay. Die ausgewählten Stücke und dieser Text teilen sich den Mittelpunkt der Ausstellung. Mindestens - an einigen Stellen konkurrieren sie um die Aufmerksamkeit.
In ihrem Essay zieht Klougart persönliche Verbindungen zu den gezeigten Exponaten, erinnert sich an ihre Kindheit und stellt Überlegungen zu Natur und Kunst an. Schon der erste Raum, kanariengelb gestrichen und bis auf den zum Buch gebundenen Text auf Dänisch und Englisch leer, zeigt, worum es in dieser Ausstellung geht: Bei weitem nicht nur um Kunst, die Flora und Fauna zeigt, sondern darum, dass eben eine Autorin die Schau "fachfremd" zusammengestellt hat. Der interdisziplinäre Fokus wird hervorgehoben, wo es geht.
Was würdest du mitnehmen?
Jeder Ausstellungsraum trägt einen Titel, der auch die Überschrift eines neuen Kapitels sein könnte. So heißt der erste "The Burning House". Zu sehen sind Pferde-Skulpturen von Edgar Degas. Sie alle sind in ihren Vitrinen so ausgerichtet, dass sie in Richtung des nächsten Raumes blicken. An einer Wand hängt eine Stoffbahn, die mit einem Auszug aus einem Roman von Klougart bedruckt ist.
Was nun Degas' Pferde mit einem brennenden Haus zu tun haben? Die Schriftstellerin beantwortet es in ihrem Text: Als Kind habe sie sich mit ihren Schwestern häufig die Frage gestellt: "Wenn das Haus brennen würde, was würdest du mitnehmen?". Würde die Gylptotkek brennen, würde Klougart die ausgestellten Skulpturen von Degas retten.
Die anderen Räume haben zumeist eine klare thematische Ausrichtung, etwa Stillleben (zu sehen sind unter anderem Gemälde von Vincent van Gogh und Paul Cézanne) oder Gärten (mit mehreren Bildern von Paul Gauguin, der es Klougart besonders angetan zu haben scheint). Die gezeigten Werke entstanden etwa zwischen 1850 und 1950, der Zeit der voranschreitenden Industrialisierung.
Ein durchweg nostalgisches Gefühl
"Während Künstler die Natur malten, verschwand sie", schreibt Klougart und erklärt damit, dass es sich bei dem Zustand, den sie "nach der Natur" nennt, keineswegs um ein neuartiges Phänomen handelt. Nicht nur die ausgewählten Kunstwerke erzählen aus einer anderen Zeit, auch Klougart selbst blickt in ihrem Text häufig in die Vergangenheit, schwelgt in Kindheitserinnerungen und Rückblicken. Ein durchweg nostalgisches Gefühl trägt durch die Ausstellung.
Nicht nur Klougarts eigenes Schreiben ist Teil der Schau, die Autorin bezieht auch andere Literatur mit ein, die sie assoziativ den Kunstwerken zuordnet: darunter Auszüge dänischer Kirchenlieder und Zitate von Virginia Woolf. Ist mit Josefine Klougarts Essay eigentlich schon genug zu lesen da, so überladen die zusätzlichen Textangebote die ansonsten eher zurückhaltend gestalteten Räume.
Leicht kann man nach dem Rundgang durch die ersten fünf Räume übersehen, dass es einen Stock darüber noch weitergeht. Dort sind neben Tieren, Pflanzen und Landschaften zum ersten Mal Menschen auf den Bildern zu sehen. In dem Raum "The sleeping woman" sind Gemälde und Skulpturen von hingegossen daliegenden, schlafenden oder gerade aufwachenden Frauen ausgestellt. Zu sehen sind unter anderem Werke von Jean-Jacques Henner, Jerichau, Stephan Sindig und Julius Paulsen.
Die Natur und die Frauen haben dasselbe Schicksal erlitten
"Historisch gesehen haben Natur und Frauen in Gesellschaft und Kunst mehr oder weniger das gleiche Schicksal erlitten", schreibt Klougart. Beide seien in der Gesellschaft einerseits untergeordnet und ausgegrenzt, in der Kunst andererseits als schönes Subjekt gefeiert worden.
Während die Ausstellung im ersten Stock noch sehr lieblich und einigermaßen unaufgeregt daherkommt, steht im zweiten Teil eine politische Message direkt am Anfang. So geht es auch weiter – und zu Ende.
Nach einigen weiteren Landschaftsgemälden von Größen wie Sisley, Monet und erneut Van Gogh, betritt man den letzten Raum. Während die meisten der bisherigen Wände in hellem Grün gestrichen waren, erscheint diese letzte in dunklem Blau. Noch einmal ist ein Degas-Pferd zu sehen, in dem großen Raum verteilt nur drei weitere, pointillistisch bis impressionistische Gemälde (Cross, Monet, Lundbye).
Die Moral kommt zum Schluss
Prominent neben der Ausgangstür steht Klougarts letzter Textauszug. Während die Ausstellung bis dato ohne den so offensichtlichen Bezug zur Klimakrise ausgekommen war, ruft die Autorin nun noch einmal zur Reflexion auf. In Zeiten der Krise sei die Verbindung von Kunst und Politik besonders gefordert.
"Die Kunst ist ein Durchbruch zu einer anderen Art der Erfahrung." Besonders heute, "am Abgrund des Zusammenbruchs der Natur" sei es wichtig, sich auf diese Erlebnisse einzulassen. Die genaue Wahrnehmung will Klougart aber auf keinen Fall als Eskapismus verstehen. Denn: "Unsere Begegnung mit der Kunst ist immer eine Art Schock, ein Ruck", schreibt sie.
Mit diesem moralisch erhobenen Zeigefinger, dem politischen Abspann, werden die Besucher aus der Ausstellung entlassen, die alles andere als aufrüttelnd ist. Vielmehr versetzt sie uns in eine der Vergangenheit zugewandte Welt. Die Auswahl der Werke, die Josefine Klougart vornimmt, ist genau wie ihr Text radikal subjektiv und lässt doch einige Leerstellen.
Gedanken zu kuratorischer Praxis
Während sie zum Abschluss noch einmal die Überlegung anstellt, was Kunst eigentlich ist und sein soll, bleibt doch offen, was Klougart unter Natur versteht, wo sie anfängt und wo sie aufhört, was ein "davor" und ein "danach" bedeutet.
Mindestens so sehr wie die Darstellung von Natur ist Josefine Klougart selbst Thema der Ausstellung, genau wie ihr durchaus interessanter Ansatz, Kunstformen miteinander verschmelzen zu lassen. Auch wenn die Schau nur selten dazu einlädt, über das vermeintliche Ende der Natur nachzudenken, so dann doch dazu, sich Gedanken über kuratorische Praxis zu machen. Man wünscht sich fast, wie Josefine Klougart Zugriff auf die beeindruckende Sammlung der Glypthothek zu haben und darin aus Van Goghs, Sisleys, Monets und Degas aussuchen zu dürfen.