400 Millionen Dollar ist es Facebook wert, dass seine Nutzer sich künftig noch besser ausdrücken können. So zumindest begründete das Online-Unternehmen seinen Ankauf der Gif-Suchmaschine Giphy in einer offiziellen Erklärung. 50 Prozent des Traffics, der täglich auf der Website für animierte Kurzvideos lande, stamme ohnehin schon von Websites der Facebook-Familie. Durch den Ankauf solle nun vor allem eine reibungslosere und weitreichendere Integration von Gifs auf Instagram gelingen.
Wie die Tech-Zeitschrift "Wired" berichtete, stecken wohl weniger altruistische Motive hinter dem Ankauf. Facebook erhält demnach dank Giphy fortan Einblick, wie Gifs genutzt werden – sowohl in privaten Nachrichten als auch auf Konkurrenzplattformen wie Twitter, Snapchat, Slack, Reddit, TikTok und Bumble. Da viele Gifs auf Giphy bereits praktisch nach Emotionen und Themen sortiert sind, dürfte das Facebook einiges über die Gemütszustände und Interessen seiner User verraten. Zudem könnte Facebook auf Gif-Umwegen wertvolle Informationen über die Nutzungsfrequenz anderer Plattformen und über die Popularität bestimmter Inhalte erhalten.
Das Unternehmen, das sich in den vergangenen Jahren unter anderem Instagram, Whatsapp und Oculus VR einverleibte, übernimmt nun also die Vorherrschaft über das Graphics Interchange Format – einen Dateityp, der lange für die partizipative und unvorhersehbare Mem-Logik des Internets stand. In den 90er-Jahren, als die meisten Websites noch charmante, selbst zusammengeschusterte Geschmacksverirrungen in lauten Farben waren, blinkten einem Gifs überall entgegen.
Lang vor Giphy entdeckte damals ein Unternehmen namens Animation Factory das Geschäftsmodell Gif: Die Betreiber der Website boten hunderttausende animierte Clip Arts an, die Abonnenten gegen einen monatlichen Betrag herunterladen und auf der eigenen Website verwenden durften. Vom Baby im Nadelstreifen-Anzug bis hin zum Mann, der im Monster-Truck vor einem hungrigen Bären flüchtet, gibt es nichts, das es auf der bis heute aktiven und aufgrund ihrer unveränderten Aufmachung höchst amüsanten Website nicht gibt.
Mit dem Aufkommen von Blogging-Plattformen und professionellem Webdesign verschwanden bewegte Animationen von den meisten Websites. Als Gifs dann zu Beginn der 2010er-Jahre eine Renaissance erlebten, war das ausgerechnet ihrem Minimalismus geschuldet. Ähnlich wie die auf sechs Sekunden begrenzten Videos der bis heute betrauerten Plattform Vine liegt der Charme von Gifs in ihrer formellen Begrenztheit. Die kurzen, tonlosen Bildabfolgen in 265 Farbtönen ermöglichen nicht bloß ein Teilen bei niedriger Datenübertragungsrate, sie regen auch dazu an, den Blick aufs Detail zu richten und hypnotisch ineinanderfließende Übergänge zu schaffen. In einem guten Gif kann man versinken, bis man nicht mehr genau weiß, wie viele Loops man sich nun eigentlich angesehen hat. Blogs wie "The Art of Animated GIFs" begannen, die Arbeiten von Künstlern wie Erdal Inci und Urban Oxygen zu sammeln, die Gifs als künstlerisches Medium ernst nahmen; auf Blogging-Plattformen wie Tumblr florierten selbstgebastelte Gifs, mit denen Fans Kunstwerke zum Leben erweckten, eine Schlüsselszene ihres Lieblingsfilms ewig wiederholten oder Cinemagramme ihrer eigenen Fotografien erstellten.
Um diese Zeit herum erblühten auch die Reaction GIFs, Loops popkultureller Momente, die sich perfekt als Reaktion auf witzige, anmaßende, nervige oder bewundernswerte Aussagen eigneten. Kermit aus der Muppet Show schlürfte süffisant an seinem Tee, Homer Simpson verschwand peinlich berührt hinterrücks in einer Hecke und mit dem dadaesken einradfahrenden Frosch "dat boi" erlebte sogar ein Gif die Animation Factory ein unverhofftes Comeback. Wie bei den meisten Memes funktionierte das alles ohne Rücksicht auf Autorenschaft und Urheberrechte. Kermit mochte in einem Lipton-Werbclip mitgespielt haben und die Simpsons gehörten zu 21st Century Fox, doch das war in erster Linie egal.
2014 trat dann Giphy auf den Plan. Über die Jahre hinweg gelang es ihr, das Gif-Format plattformkapitalismuskonform zu machen. Nacktheit ist bei dem unter anderem in Apples iMessages verankerten Anbieter ebenso verboten wie das Hochladen fremden geistigen Eigentums. Die auf der Website priorisierten und prominent vorgestellten Inhalte stammen von verifizierten Kanälen. Von der verstorbenen Sängerin Amy Winehouse bis hin zur Kunstmesse Frieze ist hier jeder vertreten, der etwas auf die eigene Crossmedialität hält.
Ähnlich wie auf der Youtube-Startseite dominieren auch in den von Giphy kuratierten Hitlisten unbedenkliche, professionell produzierte Inhalte von amerikanischen Reality-TV-Serien und Talkshows. Trotzdem: Giphys Community-Richtlinien sind lange nicht so umfangreich und streng wie jene Facebooks. Gut möglich, dass die auf der Plattform angebotenen Gifs nach dem Ankauf Facebooks noch steriler werden.
Natürlich profitieren auf kleinere Grafikdesigner und Künstler davon, dass Giphy geistiges Eigentum schützt. Trotzdem verleitet Giphy einen Großteil seiner User letztlich dazu, professionell produzierte Inhalte zu teilen, statt selbst kreativ zu werden. Facebooks Versprechen entpuppt sich als euphemistisch: Das Unternehmen verspricht einen besseren und meint ein ökonomischeren Ausdruck. Und so wünscht man sich, während man sich in den unablässigen Pedalentritten des einradfahrenden Froschs verliert, ein wenig die wilden Weiten des Web 1.0 zurück.