Heidi Hetzer, 81, ist gelernte KfZ-Mechanikerin und hat als Unternehmerin eines der größten Autohäuser Berlins geleitet. Bekannt wurde sie auch als Rallyefahrerin, die zwar niemals von Paris nach Dakar düste, dafür aber jedes Oldtimerrennen mitmacht. Erst kürzlich fuhr sie mit einem Modell aus dem Jahr 1930 einmal um die Welt, was zweieinhalb Jahre dauerte. Als Konzeptkünstlerin dagegen war Heidi Hetzer bislang nicht bekannt. Und doch hat sie jetzt dem Neubau des Berliner Schlosses das bislang cleverste Werk hinzugefügt, das dieses absurde Rekonstruktionsprojekt bislang gesehen hat.
Wie so viele engagierte Bürger hat Hetzer ein Teil der Fassadendekoration gespendet, mit dem der Betonbau zumindest oberflächlich und teilweise in eine Imitation des Barockschlosses des großen Baumeisters Andreas Schlüter verwandelt werden soll. Der so genannte Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses ist ja im engeren Sinne keiner: Es ist ein Neubau, der den ursprünglichen Dimensionen des Schlosses folgt. Drei der vier Außenfassaden sowie der Innenhof, der so genannte Schlüterhof, sollen den ursprünglichen Fassaden nachempfunden werden.
Dieses Nachempfinden nähert sich insofern einer Neuschöpfung, als dass die ursprünglichen Dekorationselemente nicht standardisiert, sondern sehr individuell waren und nur teilweise in Fotografien dokumentiert sind. Die Steinmetze, die nun aus sächsischem Sandstein die Portale, Sockel und Simse herstellen, sollen in Schlüterschem Geist agieren. Wie nah das Ergebnis am Original ist, wird man am Ende kaum beurteilen können.
Doch Wilhelm von Boddien vom Förderverein Berliner Schloss, der am Wochenende beim Tag der offenen Baustelle angesichts der weit fortgeschrittenen Arbeiten für seine Kritiker nur noch Ironie übrig hatte, interessiert sich eigentlich nicht für solche denkmalpflegerischen Finessen, sondern nur für sein großes Ziel: dass das Schloss wieder so "schön" aussehen wird wie früher.
Womit wir zu Heidi Hetzer zurückkommen. Sie hat sich nämlich für ihre Spende einen der Löwenköpfe ausgesucht, die das oberste Reliefband der Fassade im Schlüterhof zieren. Allerdings hat sie darauf bestanden, dass dieser Löwe ohne seine Mähne eingebaut wird: Er wurde verweiblicht.
Mit dieser Geschlechtsumwandlung erinnert die Konzeptkünstlerin Hetzer daran, dass so eine barocke Schlossfassade eben nicht nur "schön" aussieht und auch niemals nur schön aussehen sollte: Sie ist auch Stein gewordene Macht, Ausdruck der Ideologie ihrer Zeit, und die war nun mal geprägt von autoritären patriarchalen Strukturen, preußischem Militarismus und Nationalismus. Auf der Fassade wachten die Adler und Löwen, davor marschierten die Pickelhauben und wurden Weltkriege verkündet, beides gehört symbolisch zusammen. Frauen, die am öffentlichen Leben teilnehmen, waren dazwischen nicht vorgesehen, und auch noch vieles andere nicht, was uns heute wichtig ist.
Der Architekt David Chipperfield hat direkt gegenüber der Schlossbaustelle im Neuen Museum auf großartige Weise vorgemacht, wie ein Gebäude beides atmen kann: seine ursprünglichen Ambitionen und ihr historisches Scheitern, seine frühere Gestalt, ihren Verlust und die Gegenwart, die sich beidem stellt. Die heutige Schönheit des Neuen Museums rührt weniger aus ihrem historischen Schmuck als aus der selbstreflexiven Kraft der offensiv ausgestellten modernen Rekonstruktion.
Beim Preußenschloss, wie es Wilhelm von Boddien vorschwebt, hat diese reflexive Dimension von Anfang an gefehlt. Auch dieser Entwurf zeigt Gegenwart und Vergangenheit, aber eher aus pragmatischen Gründen, weil man eben nicht alles nachbasteln kann. Das Gebäude setzt auf den harten Clash: hier Franco Stellas strenger, man könnte auch sagen, langweiliger Betonbau, dort die Schnörkel des Fake-Barock. In dem Abgrund zwischen beiden verstecken sich die Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Es bräuchte noch mehr Eingriffe wie den der selbst ernannten Alten Schachtel Heidi Hetzer, damit das neue Schloss mehr wird als eine Betonschachtel mit Zuckerschnörkeln.