Das bekannteste Bild der Artemisia Gentileschi (1593–1653) ist "Judith und Holofernes", zu sehen in den Uffizien in Florenz. Es zeigt, wie eine junge Frau einen alten Mann, der sie der Sage nach vergewaltigen wollte, mit entschlossenen Messerstichen enthauptet.
Der Realismus der Szene gewinnt noch an Wucht, wenn man weiß, dass die Schöpferin des Bildes als junge Frau Opfer einer Vergewaltigung wurde: Ihr Vater, selbst Maler, hatte die talentierte Tochter bei einem Kollegen in die Ausbildung geschickt, der sich an ihr verging. Bei dem Prozess, den der Vater gegen den Vergewaltiger anstrengte, musste Gentileschi zu allem Überfluss noch demütigende Untersuchungen über sich ergehen lassen.
Auch Lucretia, die Heldin des obenstehenden Gentileschi-Gemäldes, wurde der Sage nach Opfer einer Vergewaltigung. Die tugendhafte Römerin erdolchte allerdings nicht ihren Peiniger, den Königssohn Tarquinius, sondern sich selbst – mit durchschlagendem Effekt: Eine Revolte brach los, und die Bürger Roms stürzten die Monarchie.
Gentileschi war eine der ersten Frauen, die sich ihren Platz in der Kunstgeschichte erkämpften, und die einzige Frau ihrer Zeit, die eine eigene Werkstatt unterhielt. Nach ihrem Tod wurde sie weitgehend vergessen, bis die feministische Kunstgeschichte sie wiederentdeckte. Judy Chicago reihte sie 1979 in ihrer Installation "Dinner Party" bei den wichtigsten Frauen der Kulturgeschichte ein.
Ihre "Lucretia" hat lange nicht das Licht der Öffentlichkeit gesehen: Sie befand sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts in ein und derselben Privatsammlung. Am 23. Oktober 2018 kommt das Werk im österreichischen Auktionshaus Dorotheum unter den Hammer.