"Kunst ...", sagt die Kuratorin Ekatarina Lazareva und lacht ein bisschen. Wir stehen in der weiten Eingangsschneise des Garage Museums für zeitgenössische Kunst im Moskauer Gorki-Park. "Kunst wird in Russland immer noch als etwas gesehen, das nicht politisch ist." Kunst in Russland unterhält, erinnert und macht nostalgisch, bleibt symbolistisch oder selbstbezüglich. Später wird sie davon erzählen, wie irritiert viele Mitarbeiter von Institutionen seien, wenn Künstler recherchieren wollen, in Archiven, bei Behörden oder Instituten. Zum Beispiel Daten und Unterlagen zu Umweltverschmutzungen, verseuchten Seen, Flüssen, oder unreinem Trinkwasser haben wollen. "Künstlerische Recherche gibt es hier eigentlich kaum."
Ebenso wenig gibt es in Russland eine Diskussion über den Klimawandel. Zwar lassen sich eine Fülle von Phänomenen wie aufweichender Permafrostboden, Überflutungen, Waldbrände und verschobene Ernte-Zyklen beobachten. Aber Massenmedien sprechen fast nie von Klimawandel, Politiker und Kreml behaupten: Solche Probleme haben andere Länder. Wir haben Sibirien, bei uns ist es sauber.
Die Hilf- und Harmlosigkeit der russischen Kunst
Ekatarina Lazareva und ihre Kollegin Snejana Krasteva erzählen davon mit einem Lächeln, aber sie erzählen auch von der Hilflosigkeit, mit der Kunst vielen politischen Problemen in Russland gegenübersteht, der Harmlosigkeit vieler Arbeiten. Mittlerweile sind wir in der von Rem Koolhaas wundervoll überbauten Ruine des einstigen Restaurants "Vier Jahreszeiten" treppauf gegangen: Jetzt gibt es nämlich doch etwas zum Thema: die groß angelegte und großartig konzipierte Schau "The Coming World: Ecology as the New Politics 2030-2100".
Dafür haben sie in der Garage viele jüngere Arbeiten zum Thema eingeladen. Doug Aitkens "The Garden" kommt mit der Einladung, die aseptische Pavillon-Wohnung inmitten des Gartens zu liebkosen, zu zerstören oder darin zu entspannen. Die Überwältigungs-Videoinstallation "Purple" von John Akomfrah. In der feinsinnigen Arbeit "win > < win" von Rimini Protokoll kippt die Stimmung: von ausgelassen winkend zu überrascht und betroffen. Menschen sind den schlichten Quallen, die vor uns schwimmen, am Ende eben unterlegen.
Die Informationen muss man suchen
Daneben gibt es einige Arbeiten, die lokale Themen aufgreifen: Eben die Wasserverschmutzung in Russland, die das Critical Art Ensemble untersucht, oder die Konsequenzen russischer Öl-Ökonomie. Russland ist nicht nur der weltweite Tabellenführer bei oil spills aus den eigenen Pipelines, der Untergang des Tankers Prestige 2002 verteilte russisches Öl (was in Russland kaum wahrgenommen wurde) an Spaniens Westküste. Der Künstler Allan Sekula dokumentiert den Landstrich mit einer Bilderserie.
Oder Waldbrände in Sibirien: Birken mit versengter Rinde schauen von einem raumgreifenden Foto herab (Denis Sinyakov). Solche Arbeiten sind erklärungsbedürftig, deshalb hält die Ausstellung mehr didaktisches Material bereit als ein internationales Kunst-Publikum es vielleicht gewöhnt ist. "Von den Feuern hört man hier in Moskau wenig", sagt Krasteva, Informationen müsse man suchen.
Das Schweigen nach der Katastrophe
Die Waldbrand-Aufnahme spiegelt damit die klassisch sowjetisch-russischen Umgangsform mit großen Desastern. Das belegt auch die Arbeit von Susan Schuppli. Unter einem grauen Video-Wolkenhimmel hat sie die 20 zwischen dem 26. April und dem 15. Mai 1986 erschienenen Titelblätter der Zeitung "Prawda" in Reihe ausgelegt. Erst im Mai hielt der Staatspräsident der UdSSR, Michail Gorbatschow, im Fernsehen eine Rede und gab die Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl zu.
Die Ausstellung ist als Rundgang aufgebaut und hat nach den großen Rauminstallationen im Erdgeschoss drei Dimensionen: eine Einführung in Naturbegriffe über Skulpturen, Architekturzeichnungen oder klassische Ölmalerei. Dann eine Gegenwarts-Auseinandersetzung: Aus mancher Videoinstallation kommen Besucher mit feuchten Augen. Und ein Blick in die Zukunft, für den unter anderem Patricia Piccinini die Grenzen unserer ästhetischen Vorstellungskraft problematisiert.
Aber nicht nur das. Die Kuratorinnen hatten vorher beim Critical Art Ensemble nachgefragt, wie sie die Ausstellung selbst klimafreundlicher gestalten konnten. Sie luden also nur die Künstlerinnen nach Moskau ein, die unbedingt zur Einrichtung kommen mussten, und druckten wenig Werbung und keinen Katalog. Die Ausstellungsstücke wurden mit lokalen Materialien aus Moskau hergestellt.
Journalisten kreischen auf
Wenn man dann fragt, wie die Reaktionen der Medien waren, wie die Ausstellung in Russland besprochen wurde, zucken die Kuratorinnen mit den Schultern. Schwieriges Thema. Journalisten kreischten bei Piccininis haariger Mädchenfigur auf. Ein Redakteur eines progressiven Fernsehsenders sagte beim Anblick von Kim Abeles’ Teller, auf denen Moskauer Abgas-Dreck die Konterfeis der Weltpolitiker – von Macron über Merkel zu Putin – mitsamt ihren Kalendersprüchen zum Klimawandel bannte, dass er das nicht in seine Berichterstattung aufnehmen könne. Das sei ja Politik und nicht Kunst.
Eine Diskussion über den Klimawandel? Die Kuratorinnen lächeln, weil sie jetzt eine ziemlich starke Ausstellung im Rücken haben, die die Leerstellen in der russischen Öffentlichkeit füllen will.