Herr Kentridge, beim Berliner Festival Foreign Affairs wird unter anderem Ihr Theaterstück "Ubu and the Truth Commission" aufgeführt, fast 20 Jahre nach seiner Premiere. Was hat sich seither für Sie verändert?
Damals lag der Fokus für mich auf dem Charakter von Ubu, dem weißen südafrikanischen Polizisten, der seiner Bestrafung entgehen wollte. Seine geldgierige schwarze Ehefrau war eine Nebenfigur. Seitdem es eine neue südafrikanische Mittelklasse gibt, findet sie ein viel stärkeres Echo. Nicht geändert hat sich Tatsache, dass es eine schamvolle Geschichte gibt und die Weigerung, sich ihr zu stellen. Leute, die schreckliche Dinge begangen haben, entkommen immer noch der Gerechtigkeit. Ubu ist immer noch wahr für viele Länder auf der Welt.
Bischof Tutu wollte nach dem Ende der Apartheid mit der Wahrheitskommission das Land befrieden. Hat er das Ziel erreicht?
Die Hoffnung auf Versöhnung war vergeblich. Südafrika muss immer noch mit dem Ergebnis von 300 Jahren Wut und Entbehrung umgehen. Ich hatte allerdings nie die Erwartung, dass Wahrheit ausreicht, um diese Verletzungen zu heilen.
Sie stammen aus einer weißen, jüdischen Familie, ihre Eltern kämpften beide als Anwälte gegen das Apartheits-Regime. in Ihren Filmen und Theaterproduktionen arbeiten Sie viel mit ethnisch gemischten Teams. Ist das die Regel in Südafrika?
Bis vor wenigen Jahren war das sehr verbreitet. Aber heute ist die Ausdifferenzierung der Kunstszene nach Ethnien größer als in den letzten Jahren der Apartheid. Das hat mit den Black-Consciousness-Programmen zu tun, mit der Konsolidierung der Identität. Die Leute gehen ihren eigenen Weg. Aber nach einer Weile werden sie wieder Verbindungen suchen. Die Kunst war immer eine Art utopischer Raum, in dem man einfacher zusammenarbeiten konnte als in anderen Sphären.
Gibt es böses Blut darüber dass Sie, als Weißer, der bekannteste Künstler Südafrikas sind?
Ich bin immer wieder überrascht über die Wärme, mit der schwarze Künstler oder Studenten bei Ausstellungen auf mich zu kommen. Ich bin aber auch sicher, dass es viele andere Künstler gibt, schwarz oder weiß, die nicht mit mir reden wollen. Die eine andere Agenda haben darüber, was Kunst in Südafrika sein sollte. Es ist gut, dass die Diskussion weitergeht. Es gibt einen Raum, in dem ich arbeite, und es gibt viele andere Räume, wo andere Fragen und Bedürfnisse und Sichtweisen herrschen. Ich glaube, wenn man Erfolg in einem bestimmten Bereich hat, muss man immer mit Ablehnung und Neid rechnen. Ich kenne das auch von mir selbst. Ich erinnere mich gut an meine Gefühle als jüngerer Künstler gegenüber Künstlern in Europa oder Nordamerika.
In den USA ist Identitätspolitik extrem wichtig. Gilt das auch für Südafrika?
Zu großen Teilen folgt Südafrika dem amerikanischen Modell. Identität ist eine große Frage. Es gibt immer den fundamentalen Gegensatz zwischen Identitätspolitik und Universalismus. Ich war immer Universalist, für mich ist der Kampf um Gleichheit – um Gleichstellung der Frau zum Beispiel – ein wichtiger Kampf, auch wenn er vielleicht mit anderen Kulturen in Konflikt tritt. Ich bin mir der Wichtigkeit der Identitätspolitik bewusst. Aber ich glaube, dass es oft eher um die Verteilung von Macht und Reichtum geht als um essenzialistische Ethnizität.
Sie zeigen in Berlin auch ihre Lecture-Performance "Drawing Lesson". Darin erinnern Sie an die historische Verknüpfung von Aufklärung und Gewalt. Kann man dieser Verbindung entkommen?
Diese Verbindung ist immer da, wir müssen uns dessen bewusst sein. Alle großen Versuche, die Welt zu verändern, sogar heute im 21. Jahrhundert, scheinen gefangen zu sein zwischen dem Wunsch, die Welt besser zu machen, und der späteren Erkenntnis, dass Gewalt die noble Idee begleitet hat. Das heißt nicht, dass man mit der Welt zufrieden sein soll wie sie ist. Aber wir müssen uns des paradoxen Effekts bewusst sein. Was im Übrigen sehr viel einfacher ist, wenn man in einem Künstleratelier arbeitet, als wenn man Politiker ist.
Ihre Filme, die aus vielfachen Übermalungen entstehen, sind gekennzeichnet von ständigen Metamorphosen. Sie zeigen Katastrophen, aber auch Wiedergeburt. Was ist stärker: Hoffnung oder Verzweiflung?
Man kann kein Werk beginnen und denken: Hier soll es um Hoffnung gehen oder um Verzweiflung. Man kann sagen: Das wird ein Bild einer Landschaft, die einen Körper absorbiert. Und dann muss man das Vertrauen haben, dass das Werk zeigt, wer man ist: Ob man hoffnungsvoll oder verzweifelt ist. Darum muss das Werk auch für den Künstler immer eine Überraschung sein.