"Der Schatten von Caravaggio" im Kino

Für immer die magische Medusa

Schon 1986 diente sein Leben dem britischen Regisseur Derek Jarman als Vorlage. Sein Film "Caravaggio" gilt bis heute als Ikone queerer Ästhetik. Jetzt versucht sich Schauspieler und Regisseur Michele Placido an der Biografie des für sein wildes Leben berüchtigten Malers des Frühbarocks und scheitert an einem allzu klassisch strukturierten Plot

Als Derek Jarmans "Caravaggio" entstand, spitzte sich im Großbritannien der "Eisernen Lady" Margaret Thatcher die Situation der Homosexuellen gerade zu. Nur zwei Jahre später trat Clause 28 in Kraft, ein Gesetz, das es Gemeinden, Schulen und Kommunalbehörden verbot, positive Äußerungen über Homosexualität zu verbreiten. Es war ein queerfeindliches Gesetz, wie man es heute aus Russland kennt. Gegen Clause 28 war Jarman und die in "Caravaggio" debütierende Tilda Swinton auf die Straße gegangen. Umso unruhiger wird man, je länger man sich in "Caravaggios Schatten" vertieft, der jetzt in die Kinos kommt.

Nicht, dass es in dem überbordenden Bilderreigen an Sexszenen fehlen würde. Während Jarman aber Caravaggios homosexuelle Affären in einer vergegenwärtigten Vergangenheit offen zur Schau stellte, zeigt ihn Placido vor allem als einen treuen Kunden von stets willigen Prostituierten und Besucher von Orgien à la Fellinis "Satyricon", die explizit in heterosexuellen Praktiken schwelgen und dabei doch stets die Grenze des Adretten nicht überschreiten. Männer beim Sex? Bis auf verhuschte Küsse eine Fehlanzeige. Warum hat dann dieser bis heute nachwirkende bisexuelle "Gotteslästerer", für den ihn der Vatikan um 1600 hielt, die Modelle für seine revolutionären Altarbilder nicht nur mit Bettlern und Prostituierten, sondern auch mit Stricherjungen besetzt? Und warum malte er immer wieder Jünglinge mit Obstschalen, deren Porträts mit homoerotischen Fantasien spielten?

Lässt man die Verwunderung über Placidos heteronormativen Tunnelblick außen vor, wähnt man sich mitunter mitten im Mantel-und-Degen-Genre. Dass sich der zur Trunksucht neigende Michelangelo Merisi, genannt Caravaggio nach seinem lombardischen Geburtsort, in Spelunken herumtrieb, der Spielsucht frönte und immer wieder in Messerstechereien geriet, ist so historisch bezeugt wie heute toxisch aufgeladen. Dass sich Placido an dieser Art des maskulinen Kräftemessens aber nicht sattsehen kann, ist wohl einem Männer- und Filmbegriff geschuldet, der lieber auf antiquierte Schauwerte und eine mythologisierte Explosivität setzt als auf erhellende Figuren. Isabelle Huppert hätte eine werden können. Ihre unterkühlte Marchesa Constanza fördert Caravaggio und versteckt ihn auch vor seinen Verfolgern.

Konventionelle Agenda

Wie erklärt Placido so viel progressiven Einsatz? Die um Jahrzehnte ältere Adlige wünscht sich den chronisch wütenden artiste maudit in ihrem Bett, sie begehrt seinen Körper eher als die Wucht seiner künstlerischen und gesellschaftlichen Verstöße. Als er in Rom eine Mordanklage zu fürchten hat, flüchtet Caravaggio zu ihr nach Neapel, um hier eine Begnadigung durch den Papst abzuwarten. Der macht aus seinem Fall eine Staatsaffäre. Ein inquisitorischer Schatten-Technokrat begibt sich in Rückblenden auf die Spur des Skandalkünstlers, foltert seine Weggefährten (Achtung: Waterboarding!), befragt seine Modelle und spricht mit Kardinal Del Monte, der Caravaggios in Ungnade gefallene Gemälde in seinem Palazzo aufbewahrt.

Der finstere, erzkatholische Ermittler gibt die steife Kontrastfolie zu Caravaggios impulsivem Hedonismus und seinen radikalen Umdeutungen der biblischen Geschichten. Ein sehr klassischer dramaturgischer Kniff, den Placido stur vorhersehbar bis ins blutige Finale verfolgt, nicht ohne sich Kurzauftritte einer Artemisia Gentileschi oder eines Giordano Bruno zu gönnen, der im Kerker auf seine Hinrichtung wartet. Bringt der Astronom in pathetischen Monologen die Dogmas der Kirche ins Wanken, rebelliert der animalische Caravaggio gegen die akademische Kunst und präferiert irdische Bilder, die Zweifel säen an der ewigen Seligkeit im Himmel.

Wie schon Jarman wählt auch Placido jenseits der durchaus aufschlussreichen Ausflüge in die vatikanische Kulturpolitik eine erdfarbene Licht- und Schattengestaltung, das berühmte Helldunkel, und räumt den Bildfindungen reichlich Platz ein - buchstäblich inspiriert von der Unterwelt oder Caravaggios Neigung zur Selbstinszenierung, etwa als Haupt der Medusa. Das gelingt immer dann am besten, wenn sich der Film von seiner konventionellen Agenda entfernt und im Fackelschein der Strahlkraft einer Malerei vertraut, die noch Generationen nach Caravaggios frühem Tod inspirierte und die Frage aufwirft, warum manche der Gemälde bis heute ihre existentielle Magie nicht eingebüßt haben.