Kunstmesse Frieze in London

Nachdenklichkeit war gestern

Auf der Frieze in London sucht man Verunsicherung aufgrund der aktuellen Krisen vergebens. Die Kunst ist bunt, schrill und plakativ – mit einigen sehenswerten Ausnahmen

Es ist Herbst in London, und die Speicher der Kunstgalerien sind gut gefüllt mit den Erträgen der vergangenen Pandemiejahre. Aber wer gedacht hätte, dass die Messestände der rund 120 Aussteller der diesjährigen Frieze London oder der Frieze Masters im Regent's Park vielleicht ein Moment der Verunsicherung wegen der weltweiten aktuellen Krisen zeigen würden, sieht sich getäuscht. Bunt, schrill und oft plakativ ist das Motto der Stunde, Neo-Pop-Art und tot geglaubter abstrakter Expressionismus sind aus der Versenkung zurück. Malerei ist das Genre der Stunde, Nachdenklichkeit war gestern.

Die großformatigen Werke der britischen Malerin Jadé Fadojutimi bei Gagosian machen es gleich am Eingang vor: farbenfrohe, gestische Liniengespinste, die nicht weiter in die Tiefe gehen. Unweit davon wartet in einem begehbaren Setting das vielleicht beliebteste Selfie-Motiv der Frieze: ein Paar gigantisch aufgeblasene quietschrote Kürbisse der Performancekünstlerin Anathea Hamilton, die mit ihren "Designer-Vegetables" derzeit Furore macht und ein zwar triviales, aber passendes Herbstmotiv geliefert hat. Die feine kritische Note dieser "Pumpkins" allerdings liegt nicht in ihrer surrealen Übergröße, sondern darin, dass ihnen schon die Luft ausgeht und sie schlaff auf dem teuren Messestand der Thomas Dane Gallery ruhen.

Die ausgelassene Selfie-Stimmung korrespondiert indessen tatsächlich mit den erheiterten Gesichtern der Galeristinnen und Galeristen, die sich bereits am ersten Tag mit dem Messe-Champagner von Ruinart (passenderweise nicht "ruin art") zuprosteten. Bei White Cube London etwa sind bereits auf der Preview alle neun Zeichnungen von Tracey Emin für 50.000 Pfund das Stück verkauft worden, während der Georg Baselitz am selben Stand für 900.000 Pfund noch zu haben war. Kleinere Galerien vermeldeten Verkäufe von jüngeren Malerinnen - wie den der in Wien lebenden Joanna Woś bei Croy Nielsen für 16.000 Euro. Am Stand der Wiener Galerie war auch ein Objekt von Sandra Mujinga schnell weg.


Davon jedoch aktuelle Kunsttrends abzulesen ist schwierig, funktioniert der Markt doch oft gegenläufig zu den Trends der internationalen Ausstellungshäuser. Oder welches ernsthafte Museum würde ein Bild von radfahrenden Muppets erwerben ( gesehen bei Karma)? Aber die Frage, ob sich auf einer Kunstmesse wie der Frieze auch die gegenwärtige Tendenz der Institutionen – Diversität, feministische oder queere Kunst, also nicht immer marktkonforme Themen – abzeichnet, wäre zunächst mit "nein" zu beantworten.

Kritische Kunst mit politischen Ambitionen kommt hier nicht wirklich vor, aber immerhin fällt auf, dass viele Künstlerinnen stark positioniert sind. Von den Klassikerinnen wie etwa Paula Rego, eine der großen, lange vom Kunstmarkt übersehenen Künstlerinnen, die dieses Jahr auf der Biennale Venedig mit beeindruckenden Werken präsent war, wurden gleich an mehreren Ständen angeboten. So bei Victoria Miro einige Objekte mit schrägen surrealistischen Puppen. Für 700.000 Pfund wurde ein Bild Regos bei Offer Waterman (London) auf der Frieze Masters verkauft.

Auf Nachfrage waren viele Werke wenn nicht verkauft, so doch reserviert: beispielsweise eine abstrakte Wandcollage von Isa Genzken bei Hauser & Wirth für 450.000 Euro. Eine großformatige textile Bodenarbeit von Cecilia Vicuña (deren gigantische hängenden Installationen aktuell auch in der Turbinenhalle der Tate Modern zu sehen sind) war bei Lehmann Maupin (London, New York, Hongkong, Seoul) für 106.500 Pfund für ein Museum in Lateinamerika "on hold" gestellt.

Tanz am Abgrund

Sucht man weiter nach Kunst, die mehr als Oberfläche zeigt, wird es schwierig. So wartete man bei Taka Ishi (Tokio) noch vergeblich auf eine Käuferin oder einen Käufer für eine herausragende große Tischinstallation von Yoshitomo Nara, verkaufte jedoch bereits einige kleinere Fotografien des Künstlers für 11.200 Euro das Stück.

Auch die lange als Offspace betriebene Galerie The Approach aus London zeigt mit konzeptuellen Fotografien und vor allem skulpturalen Objekten der britischen Künstlerin Megali Reus – einer dysfunktionalen Straßenlaterne etwa – auf der Messe eher selten zu sehende widerspenstige Kunst. Eine großartige konzeptuell-textile Wandarbeit der kroatischen Künstlerin Hana Miletić, deren Ausstellung in der Kunsthalle Mainz bald eröffnet, ist an diesem Stand für 22.000 Pfund erstmal reserviert.

Dann trifft man inmitten des hektischen und lauten Gedränges auf eine ruhige Sitzinsel aus Holz. Sie ist Teil der Installation des Frieze Artist Award-Gewinners Abbas Zahedi, der hier einen "Busstop" zum Ausspannen, Chatten oder Innehalten geplant hat. Es gibt Kopfhörer, über die live Performances übertragen werden, die in einem draußen im Park befindlichen, ebenfalls von Zahedi konstruierten Pavillon stattfinden. Der Künstler bietet freie VIP-Tickets für die Messe im Tausch gegen einen Beitrag am offenen Mikrofon an. Verschiedenste Menschen kommunizieren hier, rappen oder tragen ihre Gedichte vor. Diese Arbeit gehört zu den sehens- und hörenswertesten der Frieze. Sie ist völlig konträr zum sonst dominierenden Tanz am Abgrund, wo die drängenden Themen der Zeit völlig ausgeblendet werden.