Fast wirkt es wie eine Belagerung des von Richard Meier in einer 40 Hektar großen Parkanlage in Baden-Baden geschaffenen Tageslichtmuseums. So viel Farbe war noch nie in dem weiß strahlenden Baukörper des Museums Frieder Burda. Im großen Hauptsaal hat Ernesto Neto mit seinem raumgreifenden Environment "The Birth of Contemporous Blue Tree" zugeschlagen. Traut man sich ohne Schuhe hinein, hat man die Wahl zwischen einem Gewebe aus handgehäkelter brasilianischer Baumwolle, mit Blättern und Gewürzen gefüllten Stoffnetzen und Musikinstrumenten, die es zu bespielen gilt.
Die Naturmaterialien stammen direkt aus der Umgebung des Museums. Neto versteht diese zum Mitmachen einladende Großplastik als einen Schwellenort zwischen Himmel und Erde. Auch wer kein Faible für esoterische Kosmos-Erfahrungen mitbringt, kann sich in der riesigen Baumstruktur immerhin an den Düften berauschen und dem Gefühl der Harmonie nachspüren, das sich laut Neto beim längeren Verweilen einstellen soll.
Drei weitere Rauminszenierungen erforschen die in Zeiten des Klimawandels fragile Beziehung von Mensch und Natur. Ausgesucht hat sie Patricia Kamp, die Stieftochter des 2019 verstorbenen Sammlers und Museumsstifters Frieder Burda, gemeinsam mit dem Franzosen Jerôme Sans. Der Künstler Sam Falls markiert seinen Beitrag mit dem Titel "Waldeinsamkeit" mit Hilfe eines Vorhangs aus Edelsteinen, denen heilende Kräfte zugeschrieben werden. Einen gesundheitsfördernden Energieschub bekommt man beim Vorbeigehen zwar nicht, aber man ist bestens eingestimmt auf die großformatigen Leinwände, die aus örtlichen Pflanzen entstanden sind. Falls hat Farne, Fingerhut-Blüten und Blätter von Hainbuchen und Esskastanien draufgelegt und drumherum Farb-Pulver gestreut. Kombiniert wird die Hommage an den Schwarzwald mit älteren Werken.
Der Wald kommt ins Museum
Diese zarten Annäherungsversuche an die grüne Lunge von nebenan sind Bianca Bondi nicht genug. Sie holt den Wald ins Museum hinein, stapelt Äste und Moos vor Schalen mit Flüssigkeiten. Auf Tapeten schaut man dem Ökosystem beim Gedeihen zu, flankiert von Wandarbeiten mit Naturmotiven und fotografischen Souvenir-Bildern aus Baden-Baden. Julian Charrière übernimmt da fast schon die Rolle eines Spielverderbers, der sich nicht in die Idylle flüchtet, sondern den Verlust von Naturräumen anprangert. Die Arbeit "Calls for Action" überträgt Live-Bilder aus einem Regenwald in Ecuador und lässt keinen Zweifel daran, dass dessen Fortbestehen unsicher ist.
Mehr aufrüttelndes Material über den drohenden Verlust unserer planetaren Existenzgrundlage muss man nicht fürchten. Es überwiegt bei den Kuratoren offenbar die Hoffnung, die Sensibilisierung für die Gefahr mit den Mitteln der Idealisierung müsste schon reichen, um das Schlimmste abzuwenden. Dabei haben künstlerische Ausrufezeichen stets eine erfrischende Funktion: Sie erinnern lautstark daran, dass die Katastrophe längst begonnen hat.