Diskussion um "Quotenfrauen"

Kompetenz gibt es genug

Gerade wird wieder über die Unterrepräsentation von Frauen und das Für und Wider einer Quote diskutiert. Auch in der Kunst herrscht noch lange keine Geschlechtergerechtigkeit. Dabei ist das Internet voll mit Künstlerinnen, Kuratorinnen und Autorinnen, die man kennen sollte

Die Zahlen sind deprimierend. Noch immer. Laut der aktuellen Galerienstudie sind von den 14.000 vertretenen Künstler:innen in Deutschland nur 35 Prozent weiblich. So wenig wie im Jahr 2020 hat das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" noch nie über Frauen berichtet. Und Frauen als Expertinnen sind in den Medien stark unterrepräsentiert. Nina Weber hat im "Spiegel" einen persönlichen Praxisbericht veröffentlicht. Zwar geht es darin um Expertise zum Thema Corona, die Ergebnisse dürften aber übertragbar sein. Frauen stellten in der Coronakrise in TV-Formaten 22 Prozent der Befragten und in der Onlineberichterstattung nur sieben Prozent. Das ist wenig. Ein Grund ist, dass Frauen häufiger Gesprächsanfragen ablehnen als Männer, weil sie der Meinung sind, sich nicht gut genug mit dem Thema auszukennen.

Ich erinnere mich daran, dass kürzlich ein Fotokritiker auf Facebook gefragt wurde, warum denn in seiner Umfrage fast nur Männer zu Wort kommen. Seine Antwort: Die angefragten Frauen haben fast alle abgesagt. Irgendwie wundert einen das auch nicht so sehr, wenn man sich anschaut, was Frauen in Interviews zum Teil für absurde Fragen gestellt bekommen.

Auf Twitter ging es vor einigen Wochen rund, als ein Interview mit Sandra Cisek im "Spiegel" erschienen ist. Sie ist alle zwei Wochen im Wechsel mit Christian Drosten im NDR-Corona-Podcast zu hören. Sie wurde unter anderem gefragt, ob ihr klar sei, dass sie "die Quotenfrau" ist, Drosten sei ja der Popstar mit dem Bundesverdientskreuz erster Klasse, sie hingegen sei die Neue an seiner Seite. Und dann wurde ihr mitgeteilt, dass ihre ersten Podcast-Folgen nach Volkshochschule klingen würden. Die Frage: "Wollen Sie es in Zukunft spannender machen?" Ja, was sagt man da? Wenn man freundlich bleibt, ist alles doch irgendwie nicht so schlimm. Wenn man nicht freundlich bleibt, ist man zickig und schwierig.

"Ich bin gerne 'Quotenfrau'"

In der aktuellen Titelgeschichte des Magazins "Stern" kommen 40 erfolgreiche Frauen zu Wort, 40 "Quotenfrauen", die erklären, warum die Quote uns allen nützt. Elke Buhr, die Chefredakteurin von Monopol, erzählt wiederum im Rahmen der Kampagne #ReframingQuotenfrau, warum auch sie die Quote wichtig findet: "Meine erste Festanstellung bekam ich, weil ich gut war – und eine Frau, denn Männer gab es schon genug im Ressort. Ich bin gerne 'Quotenfrau', denn ich weiß, dass nur so genügend Frauen die Chance bekommen, sich zu beweisen."

Ich muss zugeben, dass ich auch eine der Frauen bin, die Einladungen zu Talks, Interviews etc. ablehnt, wenn es sich nicht um mein Expertise-Thema handelt, sprich, wenn ich random zu irgendwas mit Kunst eingeladen werde. Da gibt es doch Expert:innen, denke ich mir und spreche das dann auch aus. Wenn mir nicht sofort ein oder zwei Namen einfallen, bitte ich um eine kurze Bedenkzeit und schicke per Mail ein paar Empfehlungen.

Die Sache mit den Empfehlungen ist eh so ein Ding. Frauen wäre ja schon viel geholfen, wenn Männern häufiger auffallen würde, dass Panels, zu denen sie geladen sind, mit mehr Männern besetzt sind. Auf Instagram gab es kürzlich einen Mini-Shitstorm, weil die Jury zu einem kleinen Fotopreis fast ausschließlich männlich war. Die Antwort ist häufig: Ich sehe kein Geschlecht, ich sehe nur Kompetenz. Ja, herzlichen Glückwunsch, dass einem Mann das Geschlecht recht egal ist. Kann ihm ja auch egal sein, Frauen kann es das nicht. Und was heißt das überhaupt "ich sehe nur Kompetenz?" Dass Männer kompetenter als Frauen und deshalb präsenter sind? Frauen wäre also viel geholfen, wenn Männer sich Einladungen genauer ansehen würden und darauf achten, dass Panels ausgewogen besetzt sind. Man könnte sogar aktiv Frauen empfehlen, denn kompetente Frauen gibt es genug.

So lange aufgedrängt, bis sie bemerkt wurden

In den Monopol Top 100 gibt es eine ganze Reihe davon, beispielsweise Hito Steyerl, Susanne Pfeffer, Katharina Grosse, Julia Stoschek, Alicja Kwade, Katharina Sieverding, Anne Imhof, Kara Walker, Zanele Muholi, Kris Lemsalu, Bunny Rogers, Raphaela Vogel und Valie Export. Ich bin tagtäglich in den sozialen Medien unterwegs, wo viele Frauen präsent sind, die im Digitalen viel bewegen. Sophie Passmann schreibt in ihrem Buch "Alte weiße Männer" auch über das Thema Netzfeminismus. Ihre Beobachtung lässt sich auf die Kunstwelt und festgefahrene Strukturen übertragen.

Passmann selbst zählt sich zu den jungen Frauen, "die sich auf Twitter so lange aufgedrängt haben, bis sie bemerkt wurden". So einfach ist das dann aber doch nicht, weil: "Junge Feministinnen kritisieren bestehende Verhältnisse und adressieren ganz bewusst die Verantwortlichen. Genau diese Verantwortlichen findet man aber oft nicht auf Twitter, sondern im Golfklub." Ersetze Golfklub durch gedrucktes Feuilleton und Feministinnen durch Frauen, die Digitalthemen vorantreiben oder einfach durch die sozialen Medien bekannt geworden sind.

Als ich die New Yorker Malerin Chloe Wise Anfang des Jahres für Monopol interviewt habe, wollte ich von ihr wissen, ob sie weniger ernst genommen wird, weil sie Instagram intensiv nutzt. "Natürlich", sagte sie. "Aber das hält mich nicht auf. Und es verändert nichts für mich. Ich sage dann immer: Schauen Sie sich meine Gemälde an. Meine Arbeit spricht für sich." Sie erklärte mir, dass es prätentiös sei, wenn sie als digital native nicht in den sozialen Medien präsent wäre. "Die alten Gralshüter der Kunst hoffen natürlich, dass Künstler sich weiterhin im etablierten Rahmen bewegen und den ungeschriebenen Gesetzen der Kunstwelt folgen", sagte sie.

Auf welche Frauen wird man nicht so schnell aufmerksam, habe ich mich gefragt, wenn man nicht tagtäglich in den sozialen Medien unterwegs ist? 

"Glitch Feminism" als Befreiungsschlag 

Ein wichtiges Buch, das komplett an mir vorbeigegangen wäre, ist "Glitch Feminism" von Legacy Russell. Auf Instagram hat es gefühlt jede Frau bei Erscheinen geteilt, der ich auf Instagram folge, und in den internationalen Medien wurde es rauf- und runterbesprochen. Ich selbst habe es mir vor lauter Vorfreude versehentlich zwei Mal bestellt.

Russell schreibt darüber, wie befreiend es für sie als junge schwarze queere Frau war, im Internet sein zu können, wer auch immer sie wollte. In ihrer Einleitung erklärt sie, was Glitch Feminismus bedeutet: "Glitch feminism demands an occupation of the digital as a means of world-building. It allows us to seize the opportunity to generate new ideas and resources for the ongoing (r)evolution of bodies that can inevitably move and shift faster than AFK mores or societies that produce them under which we are forced to operate offline." Sie schreibt über Künstler:innen, die in ihrer Arbeit Konzepte dafür entwickeln, was Körper jenseits von Normen sein und tun können.    

 

Die deutsche Fotografin Kirsten Becken hat gemeinsam mit Veronika Faustmann das Kollektiv Female Photographers Org gegründet, bei Hatje Cantz ist unter dem Titel "Body" der erste gemeinsame Bildband erschienen. Fotografinnen haben es in einer männderdominierten Szene schwieriger, Aufträge zu bekommen. Becken wollte nicht länger Einzelkämpferin sein, deshalb das Kollektiv und deshalb der Fokus auf den Körper. Die Darstellung von Frauen in den Medien sei zu heteronormativ. Mitglieder des Kollektivs sind unter anderem Claudia Holzinger, Katharina Bosse und Paula Winkler. 

 

Am Meme-Account @JerryGogosian scheiden sich vermutlich die Geister. Und ja, dahinter verbirgt sich eine Frau, nämlich die ehemalige Galeristin Hilde Lynn Helphenstein. Mit ihren Memes schießt sie scharf gegen jedes Klischee in der Kunstwelt, gegen Megagalerien, gegen Kitschkünstler, ja, einfach gegen alles. Knapp 85.000 Menschen folgen dem Account. Mich hatte sie, als sie im ersten Shutdown oder vielleicht war es auch kurz danach, eine Talk-Reihe auf Instagram mit jungen Künstler:innen gestartet hat, die digital arbeiten. Und, noch besser, auch wenn ich nur von der Couch aus zugeschaut habe: Workout mit Jerry Gogosian und Avery Singer, je knapp 25 Minuten. Die Videos stehen noch auf IGTV, falls sich jemand sportlich betätigen möchte, die beiden Personal Trainer waren mit am Start, es ist hart, so weit ich das von der Couch aus beurteilen konnte. 

Die Londoner Galeristin Annka Kultys repräsentiert junge Künstler:innen, die man aus den sozialen Medien kennt wie Signe Pierce, Molly Soda und Gretchen Andrew, ihre Galerie befindet sich in Hackney. Seit dem ersten Shutdown präsentiert sie auf ihrer Website unter dem Titel "The Art Happens Here" außerdem Online-Einzelausstellungen – so konsequent ist meines Wissens nach sonst niemand am Ball geblieben. 

 

Die deutsche Kuratorin Tina Sauerländer ist international eine der VR-Expertinnen – und vor allem ist sie nicht erst am Start, seit VR als das heißeste Medium gehyped wird. Sie hat die VR-Kunst Rechercheplattform Radiance VR mitgegründet, die Ausstellungsplattform peer to space und das Online Art & Research Center Kara Agora, das vor wenigen Wochen mit den ersten Ausstellungen gelauncht wurde. Sauerländer betreut außerdem als künstlerische Leiterin den VR Art Prize und sie schreibt für "Netzpiloten" eine Kolumne über VR und digitale Kunst. 

Und zum Abschluss die marokkanische Künstlerin Meriem Bennani, deren Videoserie "2 Lizards" den Shutdown etwas erträglicher gemacht hat. Wie der Titel schon sagt, es geht um zwei Echsen, und diese zwei Echsen erleben eine globale Pandemie, die die Welt zum Stillstand gebracht hat. Die beiden tragen es einigermaßen mit Fassung - gut, mit kleineren meltdowns