Herr Bechtle, Herr Kahane, "demokratische Kultur" und "zeitgenössische Kunst": Das sind zwei starke Begriffspaare, die das Forum, das Sie seit Mai für die Amadeu Antonio Stiftung das Forum aufbauen, zusammenführt. Wo sehen Sie die Schnittmenge?
Fabian Bechtle und Leon Kahane: Demokratie, sprich Mitbestimmung und Freiheit, ist unerlässlich für eine freie Kunst. Demokratie garantiert die Freiheit der Kunst. Das schließt auch die Freiheit ein, Defizite der Demokratie mit den Mitteln der Kunst zu kritisieren. Kunst und Demokratie werden derzeit vor allem von rechts angegriffen, ironischerweise sowohl mit den Mitteln der Demokratie als auch mit den Mitteln der Kunst. Künstlerinnen und Künstler sollten für die Demokratie einstehen und sensibel für bestimmte Tendenzen sein. Warum finden zum Beispiel in diversen Kulturinstitutionen Veranstaltungen zum Begriff Heimat statt? Es gibt diese Idee, sich von den neuen und alten Rechten, von AfD, Pegida und Co. solche Begriffe "zurückzuholen". Wir denken, man sollte auf den Begriff und damit auf den Traditionalismus, das Folkloristische und Neoromantische, gänzlich verzichten.
Wie sieht die Arbeit des Forums konkret aus?
Wir erarbeiten eigene Debattenbeiträge und führen Interviews mit potentiellen Verbündeten, etwa mit Nicolaus Schafhausen von der Kunsthalle in Wien, dem kürzlich verstorbenen Pädagogen Christian Petry, mit dem Antisemitismusforscher Samuel Salzborn oder der Migrationsforscherin Naika Foroutan. Das ist eine fortlaufende Arbeit und wir werden die Gespräche auf forum-dcca.eu veröffentlichen. Wir arbeiten daran, das alles zu verknüpfen und eine ästhetische Praxis des Forums zu entwickeln. Wir planen Vorträge und Workshops an Hochschulen und werden im nächsten Jahr den Kunstpreis der Amadeu Antonio Stiftung betreuen, die nach einem der ersten Opfer rassistischer Gewalt nach der Wiedervereinigung benannt ist. Der Preis richtet sich explizit an Künstlerinnen und Künstler, die sich in ihren Arbeiten mit Rassismus auseinandersetzen.
Kunst verstehen Sie als Indikator für den Zustand der demokratischen Kultur. Auf Ihrer Website formulieren Sie pessimistisch, die Kunst sei in der Krise. Warum?
Die Grundverfasstheit unserer Gesellschaft ist im globalen Vergleich gut. Dennoch sehen wir uns mit realen Krisen, wie der Finanzkrise und behaupteten Krisen, wie der "Flüchtlingskrise" konfrontiert. Das führt zu Radikalisierungen von allen Seiten. In der Kunst begegnen uns zunehmend Haltungen, die auf eine kulturpessimistische Grundstimmung hindeuten. Ein gutes Beispiel war die Ernennung von Chris Dercon zum Intendanten der Volksbühne: Von Beginn an wurde von einer feindlichen Übernahme, Angriff auf die Tradition der Volksbühne und des Sprechtheaters und einer Handlung gegen den "Willen des Volkes" fabuliert. Dieser lokalpatriotische Jargon reagierte vor allem auf Dercons kosmopolitische Karriere. Es ging um die Konservierung der Kultur und Tradition, die man durch Dercon in Gefahr gebracht sah. Chris Dercon sah sich irgendwann auch physischen Angriffen ausgesetzt. Elitenbashing, Angriffe auf die repräsentative Demokratie, den Wunsch nach Populismus, historische Relativierungen, eine allgemeine Lust am Untergang, weil nur so ein Neubeginn möglich scheint – all dies kam hier zusammen. Das sind die Koordinaten von Rassismus und Antisemitismus, die in der Kunst nichts zu suchen haben.
Am Wochenende findet eine erste Tagung des Forums zu "Antisemitismus als Kontinuität kulturpessimistischer Weltbilder" im Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.) statt. Welche Rolle spielt dabei die Kunst?
Die meisten Referenten unserer Tagung sind keine Künstler, haben aber innerhalb ihrer Schwerpunkte immer wieder mit den politischen Gefahren des Kulturpessimismus zu tun gehabt. Julia Bernstein ist Soziologin und hat in Frankfurt am Main eine Professur für Diskriminierung und Inklusion in der Einwanderungsgesellschaft. Tahera Ameer leitet die "Aktion Schutzschild", ein Programm zum Schutz von Geflüchteten, und Ismail Küpeli ist Politikwissenschaftler und Historiker, der unter anderem intensiv zu der politischen Situation in der Türkei forscht. Kunst und Politik sind keine getrennten Welten, und künstlerische Arbeiten referieren immer auf Politik. Mit dem Blick auf historische Kontinuitäten können wir vielleicht nicht direkt in die Zukunft schauen, aber es ist wichtig, sie sich ins Bewusstsein zu rufen. Die Kunst sollte etwa vermeiden, Ikonografie oder Begriffe zu reproduzieren oder "zurückzuholen", deren Verwendung schon immer schwierig war.
Zum Beispiel?
Es ist nicht hilfreich oder originell, wenn Künstler ein Hakenkreuz in eine Galerie stellen, um damit auf die Existenz von Hakenkreuzen respektive Nazis aufmerksam zu machen. Man reproduziert auf diese Art lediglich Ästhetiken, die der Haltung der Künstlerin oder des Künstlers eigentlich diametral entgegenstehen.
Welchen Künstlern gelingt es derzeit, "gute" politische Kunst zu machen?
Es gibt viele gute Beispiele, etwa Künstler wie Wolfgang Tillmans oder Verena Dengler, die sich zu ihrer politischen Arbeit bekennen, eigene Initiativen gründen und damit auch die praktische Nähe zur Politik suchen. Bei unserer Tagung im n.b.k. wird Verena Dengler einen Vortrag über die Identitären in Österreich halten.
Annika von Taube hat in einem Kommentar für Monopol formuliert, dass es doch gerade die Kunst sein müsse, die etwa der AfD gesprächsbereit begegnet, auch weil die AfD ein Kernthema der Kunst behandle: Identität. Ausstellungsräume böten ihrer Ansicht nach Zeit und Ruhe für differenziertes Betrachten, einen Raum, in dem keine Empörungswelle über nicht mehrheitskonforme Äußerungen hereinbricht. Teilen Sie diese Ansicht?
Wenn Identität ein Kernthema der Kunst sein sollte, dann wäre es ja sowieso schon genug behandelt. Wir finden heute in der Kunst genügend und auch ganz unterschiedliche Perspektiven auf AfD und Co. Der Dialog wird immer wieder von einzelnen Theatern, Museen und anderen Kunstorten versucht. Es gibt künstlerische Arbeiten, etwa von Mario Pfeifer, die René Jahn, einen der Pegida-Initiatoren erster Stunde, zu Wort kommen lassen. Andere lehnen das ab, und es gibt gute Gründe dafür: Die AfD ist sichtbar geschichtsrevisionistisch und rechtsextrem, ihr Kulturverständnis ist deutschnational, kulturpessimistisch und antimodern. Da hilft es auch nicht, wenn sie sich in ihren Programmen zu Demokratie und Aufklärung bekennen. Das ist eine Doppelstrategie und kein Dialogangebot.
Inwieweit planen Sie selbst künftig auch Gespräche mit Vertretern von AfD und Co.?
Beim Forum wird es das nicht geben.
Jüngst beginnt man, die deutsch-deutsche Wiedervereinigung differenzierter zu betrachten. Sie wollen im Rahmen des Forums auch mit Naika Foroutan sprechen, die in der "taz" die Frage stellte, ob die Ostdeutschen ähnlich ausgegrenzt wie die Migranten in Deutschland seien. Inwieweit schlägt sich diese Debatte im Kunstdiskurs, aber auch in Kunstwerken nieder?
Uns ist aufgefallen, dass die migrantische Perspektive, die einen wesentlichen Aspekt in der vergleichenden Studie von Naika Foroutan spielt, kaum noch diskutiert wird. Die Ostdeutschen reden nun über sich, über ihre Kränkungen und darüber, wer daran Schuld habe: nämlich absurderweise nicht die DDR, sondern "der Westen", respektive der Kapitalismus. Die angebotene Opferperspektive wurde nicht nur schnell übernommen, sondern postwendend ein Täter benannt. Das wird dann besonders gruselig, wenn die Frage aufkommt, ob Lichtenhagen, Hoyerswerda, aber auch Pegida oder die jüngsten Ereignisse in Chemnitz nicht eine Reaktion auf den "Umbruch" waren? Die ganze Debatte rollt so selbstverständlich, dass in diesem Zusammenhang schon mal von "Annexion" und "Usurpation" durch den Westen gesprochen wird und ein "postkolonialer Diskurs" über die 90er-Jahre gefordert wird, wie etwa in einer Ausstellung in der KOW-Galerie, die explizit auf die Hetzjagden in Chemnitz reagieren wollte. Im Ausstellungstext hieß es, dass die "Nachwendezeit" in Deutschland genauso durchgearbeitet werden müsse, wie die Zeit von 1933 bis nach 1945. Diese leichtsinnige Aneignung der Kolonialzeit und der Shoah empfinden wir als relativierend und geschichtsvergessen.
Angesichts der aktuellen Entwicklungen sei es laut Ihrer Selbstbeschreibung die direkte Verantwortung der Kunst, ihre eigenen Diskurse zu prüfen und weiterzuentwickeln. Ihr Beispiel der KOW-Ausstellung verdeutlicht, dass diese Forderung nicht nur für Kunstwerke gilt, sondern auch Äußerungen von Künstlern, kuratierte Themenausstellung und Kommentare von Kunstkritikern einschließt?
Ja. Es ist sinnvoll, das alles in den Blick zu nehmen, da es nicht voneinander getrennt existiert. Weshalb sollten Interviews, etwa von Neo Rauch, nicht auch als Folie für die Betrachtung seiner Bilder dienen? Es gibt ja einen direkten Link: Rauch ist der Autor von beidem.
Eine wichtige Eigenschaft von Kunst ist ihre Uneindeutigkeit, ihre Fähigkeit, Assoziations- wie Gesprächsangebot zu sein. Dass, was Kritiker und Betrachter in ihr sehen, erzählt meist weit mehr über sie, als über die Intention des Künstlers. In Hinblick auf Anne Imhof sprechen Sie von einer Rezeptionskritik. Was meinen Sie damit?
Die Kunstkritik braucht den Blick auf die Kunst und auf sich selbst. Theater- oder Literaturkritik ist sehr viel schärfer, während die Kunstkritik oft nicht über eine Beschreibung hinausgeht. Viele Texte zu Imhof betonen das Zeitgenössische, wodurch der Eindruck entstand, dass ihre Arbeit losgelöst von der Historie sei. Benjamin Buchloh, der die Arbeit im vergangenen Jahr im "Artforum" in ein eine Traditionslinie mit Wagner und Beuys stellt, fanden wir daher sehr überzeugend.
Was kann die Kunstwelt konkret tun? Ist etwa die "Erklärung von Vielen" für eine offene, vielfältige und solidarische Kulturszene ein möglicher Weg?
Sich auf einen politischen Gegner zu einigen, der aktiv unsere universalistische Gesellschaft angreift, ist ein Minimalkonsens, aus dem Folgefragen entstehen können. Wir finden das unterstützenswert.