Von vorn tönt der Klang der Harfen, gezupft von nackten Musikerinnen mit Gänsehaut. Was lieblich und harmonisch beginnt, kippt unvermittelt in eine Art Heavy-Metal-Sound – erstaunlich, was aus elektronisch verstärkten Harfen alles so herauskommt. Nackte Tänzerinnen finden sich zu Paaren zusammen und beginnen, sich in präzise choreografierten Kampfszenen gegenseitig zu attackieren und gegen die aufgestellten Polster zu werfen. Als Kunstblut-Kapseln platzen, verwandeln sich die Zeitlupen-Prügelei in eine Farborgie und die Polster in abstrakte Gemälde – Hermann Nitsch lässt grüßen.
Doch an Männer denkt man bei Performances der Choreografin Florentina Holzinger (hier im Monopol-Interview) nie besonders lange, denn sie sind nicht da und fehlen auch nicht. Stattdessen kündigt ein Automotor röhrend den Höhepunkt des Abends an. Pinker Rauch steigt aus dem Sportwagen auf, der auf den Parkplatz gefahren kommt und kontrolliert aggressiv beginnt, im Kreis zu schleudern. Während die Räder eine schwarze Spiral Jetty auf den grauen Asphalt zeichnen, öffnet sich die Autotür und Holzinger herself klettert heraus. Sie erobert das Dach, reitet das fahrende Auto im Herrenspagat, steht, Zügel in der Hand, inmitten der pinken Rauchwolken auf der Maschine als wäre sie ein Dressurpferd. Während zartbesaitete Charaktere unter den Zuschauern schon längst den Blick abwenden, genießen andere diese brutale Kombination von verletzlichem feministischem Fleisch, Blech und Geschwindigkeit.
Holzingers Performance am Sonntagabend auf einem verlassenen Parkplatz in Tiergarten war sicherlich eine der spektakulärsten Ausgaben der Reihe "Disappearing Berlin", mit denen der Schinkel Pavillon seit einigen Jahren unbekannte oder vom Verschwinden und von Gentrifizierung bedrohte Orte in Berlin bespielt. Ursprünglich war die Performance für leerstehende Hangars am Flughafen Tegel geplant, was nicht zu realisieren war. Jetzt führte sie die begeisterte Crowd zum Parkplatz der Gallus-Druckerei in die Gutenbergstraße in Tiergarten, umzingelt von glatter Investorenarchitektur, wie man sie deprimierenderweise in vielen Neubauvierteln findet. Wohnen für normale Menschen soll hier gar nicht stattfinden. Stattdessen eroberten die nackten Performerinnen von Florentina Holzinger die Szene – leider nur für einen Abend.
Wer mehr von ihr sehen will, kann sich noch ihr Stück "Divine Comedy" an der Volksbühne ansehen. Und mehr aus der Reihe "Disappearing Berlin" gibt es hoffentlich auch bald, denn diese Stadt ist noch lange nicht auserzählt.