Joseph Beuys – ein rechter Denker? Wieder macht die These die Runde, sein Werk sei mit völkischem Gedankengut infiziert. Erinnern wir uns: 1996 brachten die Autoren Frank Gieske und Albert Markert die kritische Beuys-Biografie "Flieger, Filz und Vaterland" heraus. 2008 nahm Beat Wyss die große Retrospektive im Hamburger Bahnhof zum Anlass, den Künstler im Monopol-Essay als "Wiedergänger der dreißiger Jahre" zu charakterisieren. Und nun, wiederum ein Jahrzehnt später, veröffentlicht Hans Peter Riegel die erweiterte Neufassung seiner Beuys-Biografie von 2013. Riegel wirft dem 1986 verstorbenen Künstler eine ideologische Nähe zu ehemaligen Nazis vor.
Nichts gegen eine gründliche Aufarbeitung von Künstlerbiografien. Klarheit ist immer gut. Speziell bei Beuys, der Dichtung und Wahrheit gerne durcheinanderbrachte. Aber es fällt schon auf, wie wenig sich die Beuys-Verschwörungstheorien an der Kunst des Delinquenten orientieren. Wenn man die Werke betrachtet – mittendrin Beuys als Akteur – fällt es ziemlich schwer, die behauptete NS-Nähe nachzuvollziehen. Stille Environments, grazile Zeichungen, kryptische Multiples. Das lässt sich schwer verschlagworten mit Blut und Boden, Monumentalität, Pathos, Arno Breker.
"Ich plädiere dafür, sein Werk objektiver zu sehen, die Verklärung endlich wegzulassen", sagt Hans Peter Riegel im Interview der "Süddeutschen Zeitung". Recht hat er. Nur: Um das Werk meint sich Riegel gar nicht erst kümmern zu müssen. Ihm genügt, dass sich Beuys' Denken aus schlimmer Quelle speist: der anthroposophischen Lehre Rudolf Steiners. Für Riegel ist Steiner ein völkischer Rassist. Die meisten Historiker sehen das übrigens anders.
Leitmotiv der Beuys-Kritik sind die Zweifel an der "Tatarenlegende" aus dem Zweiten Weltkrieg. Der 21-jährige Beuys, als Funker im Kriegseinsatz, stürzte über der nördlichen Krim mit einem Stuka ab. Nach dem Krieg strickte der Künstler aus der Episode den Mythos, er sei von Nomaden gerettet worden, die ihn mit Fett und Filz wärmten. Obwohl die Geschichte längst widerlegt ist, arbeitet sich Riegel in der Neuauflage seines Buchs weiter daran ab. Was so fatal an der Mythenbildung sein soll, erklärt er nicht. Auch Beat Wyss zitiert in seiner Beuys-Polemik in Monopol 10/2008 den Künstler – "Sie rieben meinen Körper mit Fett ein, damit die Wärme zurückkehrte, und wickelten mich in Filz ein, weil Filz die Wärme hält" –, und klassifiziert die Darstellung als "Märchen". Dann lässt Wyss die Tatarenlegende fallen. Kein Wunder, denn sie hilft nicht seine These zu stützen, der mit völkischem Denken geimpfte Künstler sei in der Bundesrepublik eine restaurative Figur gewesen, die es laut Wyss erleichtert habe "mit traumatischen Erfahrungen ins Reine zu kommen, ohne dabei politische Trauerarbeit leisten zu müssen."
Beuys hat gelogen: So what?, möchte man fragen. Die Tataren-Legende ist die Achillesferse der Beuys-Kritik. Beinahe zwanghaft muss sie jedesmal zur Sprache gebracht werden. Dabei taugt der Mythos nicht wirklich dafür, Kunst und Künstler zu korrumpieren.
Schlichtweg ärgerlich ist Hans Peter Riegels Behauptung im "SZ"-Interview, der Filmemacher Andres Veiel habe in seinem Film "Beuys" die – klassischer Pleonasmus – "falsche Legende" bestätigt. Der Dokumentarfilm, der 2017 in den Kinos lief und inzwischen auf DVD erhältlich ist, setzt die beiden Narrative nebeneinander. Veiel lässt Beuys erzählen, er sei sehr bald gefunden und in ein Lazarett gebracht worden. Dort, in der Bewusstlosigkeit, seien die Visionen gekommen. Daneben stellt Veiel die Legende, wie Beuys sie in einem Fernsehinterview erzählt, die Geschichte von Tataren, Fett und Filz. Im großen Monopol-Interview (05/2017) votierte Veiel für eine Deutung der Tatarenlegende als "heilende Fantasie": "Zweimal war Beuys sehr nah am Tod, erst der Absturz, später, 1954 bis 1957, die Lebenskrise. Und er hat beide Male nicht nur überlebt, sondern ist mit einer großen Kraft wieder ins Leben zurückgekehrt. Als Künstler hat Beuys das später auf die Gesellschaft übertragen. Er war aus der Krise gestärkt herausgekommen, die Allgemeinheit kann das auch. Nur so kann ich mir erklären, dass er mit ungebrochenem Elan zur Diskussion bereit war und Niederlagen, Beschimpfungen und Ignoranz aushalten konnte."
Man kann Veiels Filmbiografie als Antwort auf die Versuche anderer begreifen, Beuys zu demontieren. Auch Veiel interessiert sich für die Frage, inwieweit Beuys in die NS-Zeit verstrickt war. Aber der Filmemacher erkennt die Lebensgeschichte als Prozess an. Entgegen der Feststellung "Der ewige Hitlerjunge" (wie Monopol damals Wyss' Artikel übertitelte) will Veiel wissen, was aus dem Hitlerjungen wurde. Veiels Meinung nach: ein Künstler, dessen politische Ideen 30 Jahre nach seinem Tod an Aktualität nichts eingebüßt haben. Dagegen steht die Behauptung von Biografen wie Riegel, Beuys habe sich in 40 Krisen- und Schaffensjahren ideologisch kein bisschen von der Stelle bewegt. Für intelligente Leser ist auch das – eine Zumutung.