Über Walker Evans scheint alles gesagt. Der Amerikaner (1903–1975) zählt unbestritten zu den einflussreichsten Fotografen des 20. Jahrhunderts. Doch es ist immer noch erhellend, seine Arbeiten in solch einer Ballung zu erleben wie derzeit im Bottroper Josef Albers Museum. In der mit über 200 Aufnahmen bestückten Retrospektive tut sich auf, was alles in diesem Werk zusammenkommt.
Man kann über die Einflüsse nachdenken, die die grafische Schule des Bauhauses auf Evans’ Bilder hatte. Über den literarischen Blick eines baudelairschen Flaneurs, über die Nähe zu den Stadtansichten von Eugène Atget. Und über den Umstand, dass der Fotograf die klassische Moderne der Architektur früher als jeder andere in Industriebauten und Verkehrsinfrastruktur porträtierte.
Karl Marx hatte 1844 notiert, dass durch die industrielle Produktion der Mensch "geistig und leiblich zur Maschine herabgedrückt und aus einem Menschen eine abstrakte Tätigkeit und ein Bauch wird". Evans dokumentierte diesen Prozess indirekt, indem er im Porösen der Stadt gründelte; nach den Gesichtern und Körpern suchte, die vom Schmutz der Maschinen starren, vom Gestus der Geschäfte geprägt sind und die sich in der Industrielandschaft behaupten müssen. Seine Fotos sind nüchtern, uneuphorisch und bewahren die Figuren davor, ausgestellt zu sein oder in einer ideologischen Erzählung zum Zweck zu verkümmern. Politische Botschaften wollte Evans ohnehin vermeiden.
Diese formale Logik wird in Bottrop deutlich, weil dort die ikonischen Aufnahmen aus der Großen Depression neben anderen Werkgruppen hängen, ohne sie zu überstrahlen. Weil auch frühe Arbeiten zur Geltung kommen: die Erkundung der viktorianischen Architektur, Bilder aus Kuba, Experimente mit
Farbe, all die Hinweise, dass Evans die Zeichenkunde der Pop-Art vorwegnahm. Oder man kann auch ganz nah an die kontrastreichen Silbergelatineabzüge herantreten: Wer Evans’ Fotos lange genug anschaut, spürt ihre tiefe Sinnlichkeit.