Als nur wenige Tage vor der Wahl des EU-Parlaments im belgischen Antwerpen das Projekt "Come Closer" begann, sagte Sarah Weyns, Direktorin des Middelheim Museum, dass gerade hier in Flandern und Belgien die gesellschaftliche Position der Kunst besonders in Frage stehe. Die extreme Rechte spräche über Künstlerinnen und Künstlern als Parasiten, Menschen, die von der harten Arbeit der restlichen Bevölkerung lebten. "Dabei gehören sie fest zum Gewebe einer Gemeinschaft", sagt sie.
Die Gruppenausstellung "Come Closer" will diese Position stärken, dabei klingt ihr Konzept erstmal ein bisschen sperrig. Die Schau soll den Gemeinsamkeiten von Skulptur und Performance nachgehen, und sie verbindet zwei Institutionen, die nach zehn Jahren zum ersten Mal wieder kooperieren: das Middelheim Museum, ein Skulpturenpark am südlichen Rand der flämischen Stadt, und De Singel, ein Zentrum für Tanz, Performance, Theater und Architektur; ein bisschen weiter nördlich am Autobahnring gelegen, der die Stadt umschließt.
An jenem Frühsommertag vor der Wahl spricht die Direktorin nicht nur über Politik, sondern auch darüber, was die beiden Häuser verbindet, wo doch Skulptur und Performance so verschiedenen ästhetischen Maßgaben folgen. Aber wenn es darum geht, Skulptur ins heute zu holen, fallen immer wieder Begriffe wie Prozess und Narration. Später frage ich Weyns, ob sie eine Arbeitsdefinition von Skulptur hat. "Alles was im dreidimensionalen Raum stattfindet", antwortet sie, ohne lange zu überlegen.
Die Stücke müssen aktiviert werden
Wie das aussehen kann, zeigt die Arbeit von Roger Hiorns, einem britischen Künstler, der die ausrangierte Turbine eines Armeehubschraubers neben einer riesigen Wanne aus Edelstahl in den Park stellt. Was an die Ausstattung eines Schlachtbetriebs erinnert, ist eigentlich ein Bad zur Behandlung von Verbrennungsopfern. Die beiden Objekte sind brutal, besonders, wenn man beim Sonntagsspaziergang unerwarteterweise mit ihnen konfrontiert wird.
Aber eigentlich, so sagt Hiorns, müssen die Stücke aktiviert werden – ein Begriff, den man hier am Eröffnungswochenende noch öfter hört. In der Praxis ist das in diesem Fall eher schlicht: ein junger, nackter Performer bewegt sich langsam und posiert wie Rodins "Der Denker" auf den Stahlungetümen, aber das Zusammenspiel von nackten Körpern und harter Maschinerie hat man schon effektvoller gesehen, zum Beispiel bei Florentina Holzinger, die im Verlauf des Programms auch ein Stück präsentiert: "Ophelia’s Got Talent", eine Produktion der Volksbühne Berlin, in der die Künstlerin und Choreografin Frauenfiguren durchspielt, die mit Wasser zu tun haben; übrigens auch mit einem Hubschrauber im Zentrum.
Dabei ist es schon so, dass der Männerakt in verschiedenen Formen Tradition hat in diesem Park, in dem schon im 16. Jahrhundert die reichen Kaufleute von Antwerpen ihre Sommerfrische verbrachten, und der in der Nachkriegszeit zum Museum und Skulpturenpark erklärt wurde. Das Gelände in seiner heutigen Form ist angelegt wie ein romantischer Landschaftsgarten, wo jedes Anhalten eine neue Ansicht offenbart. 1950, kurz nach der ersten Skulpturausstellung im Londoner Battersea Park und der ersten Schau im Sonsbeek Park in Arnheim, wurde Middelheim zum öffentlich zugänglichen Museum für Skulptur – eine Form von Institution, die eigentlich selten im Fokus der Kunstwelt steht.
"International" hieß damals "aus Mitteleuropa"
Alles begann mit einer Biennale, und der Legende nach sagte der Bildhauer Ossip Zadkine zum Bürgermeister der Stadt, er werde sich nach dem Ende der Ausstellung einsam wie ein Waisenkind fühlen, wenn er nicht ein dauerhaftes Haus für die Kunstwerke einrichtet. Gleich am nächsten Tag erließ das Stadtoberhaupt, dass hier fortan ein öffentliches Museum entstehen solle, das enzyklopädisch und international die Gesamtheit moderner Skulptur abbilden soll. "International" hieß damals "aus Mitteleuropa", und die Moderne beginnt in dieser Erzählung mit Auguste Rodins "Das Eherne Zeitalter", dem Standbild eines nackten jungen Mannes, und kulminiert mit Zadkine und Henry Moore.
Seither hat sich einiges geändert, die Skulpturen der Sammlung sind längst nicht mehr nur aus Bronze – auch wenn Camille Henrot mit der Brunnenausstattung, die sie hier 2022 anlässlich einer Soloschau realisierte, zu dem Material zurückkehrt. Stattdessen dominieren spätestens seit den 1960ern andere Materialien, beispielsweise in dem Betonpavillon von Bruce Nauman – Titel: "Diamond Shaped Room with Yellow Light" von 1986-1990. Dieser verwischt die Grenzen von Architektur und Skulptur. Oder der Klang einer Soundarbeit – "Bird Calls" (1972-1981) – von Louise Lawler, bei der die Künstlerin die Namen immer wieder ausgestellter männlicher Gegenwartskünstler so ruft, dass sie klingen wie der Gesang tropischer Vögel.
Für "Come Closer" denkt der Ko-Kurator Pieter Boons an diesem radikal erweiterten Verständnis von Skulptur entlang. Wie eine Urahnin der Offenheit hat er Werke von Joan Jonas in die Schau aufgenommen, deren Arbeiten seit 50 Jahren mit Kameras und Bildschirmen experimentieren. Ihre Kombinationen aus Videoinstallation — die würfelförmigen Monitore stehen hier direkt auf dem Waldboden – Spiegeln und den Betrachtenden erzählen eine Kunstgeschichte, die sich nicht länger um Gattungsgrenzen schert. Vielleicht wirken sie deshalb wie ein kleiner Schock zwischen Bäumen und Wiesen. Jonas denke darüber nach, "wie flüchtige Performance ein Nachleben hat", erklärt der Kurator.
Die Haltbarmachung der Seele
Auf verborgene Art reflektiert auch Monika Grabuschnigg in ihrer Arbeit "Symptomatic Relief (Antwerp)" die Flüchtigkeit, aber eher im Sinne von Sterblichkeit und Haltbarmachung des Organischen. Aluminiumabgüsse von Eierhaltern aus Kühlschranktüren sind als moderne Vanitas-Figuren mit barocken Ornamenten verbunden. Dann ist da noch der Beichtstuhl, den die in Berlin lebende Künstlerin neben eine Parkbank platziert hat und der an die Haltbarmachung der Seele denken lässt. Und an das fast neurotisch-repressive Verhältnis, das der Katholizismus zum Körper hat. Der sicheren Auflösung alles Organischen steht die Ewigkeit der Seele gegenüber – so lautet zumindest das Versprechen.
In das Werk der niederländischen Künstlerin Isabelle Andriessen hingegen ist der Zerfall schon eingebaut. Unter einer Wiese, wo an diesem Frühsommertag die Gräserpollen fliegen, verläuft der Craeybeckxtunnel, der Antwerpen mit der Hauptstadt Brüssel und den Niederlanden verbindet. Dieses Riesenstück Infrastruktur ist unsichtbar unter dem hohem Gras, nur die Treppen der Notausgänge treten an die Oberfläche. An zwei dieser Ausgänge hat Andriessen ihre Arbeit installiert; auf den Betonbrüstungen ruhen die Skulpturen, die mit einem Kühlaggregat verbunden sind.
Die Aluminiumelemente ziehen Feuchtigkeit aus der Luft an, sie korrodieren allmählich, und es bilden sich kristallartige Ablagerungen. Bei all dem ist das leise Brummen der unterirdischen Fahrzeuge zu hören, und diese J.G.-Ballard-artige Zusammenstellung aus Beton, Verkehr und einer verborgenen Unterwelt ist an sich schon unheimlich genug. Aber Andriessen hat ihre Arbeit auch noch "Ghouls" genannt, nach den dämonischen Wesen, die sich in der vorislamischen Sagenwelt vom Fleisch der Toten ernähren. Als wollte die Künstlerin an die Unterwelt erinnern – die hier ganz profan von achtspurigen Schnellstraßeb bestimmt wird.
Eine geheime Ökonomie des Nachtlebens
Prozessual, so lautet die Losung, und so muss man sich viele der zeitgenössischen Plastiken vorstellen, die hier gezeigt werden. Da scheint die Gegenüberstellung von Performance und Skulptur – flüchtig gegen dauerhaft – gleich weniger krass. Groß, aber eben auch ephemer sind Zuzanna Czebatuls Arbeiten "Macromolecule Exploiting Some Biological Target", die zu einer Serie gehören, in der die Künstlerin Ecstasy-Pillen mit ihren eingravierten Ornamenten als aufblasbare Skulpturen riesenhaft vergrößert.
Ein Objekt, das erst versteckt am Körper getragen wird und sich dann verborgen im Organismus auflöst, wird zu einem unübersehbaren Fremdkörper im Park. Das Abbild der Chemikalie steht bunt und nüchtern zwischen den Bäumen. Es gibt Rätsel auf: Stehen die Pillen für eine geheime Ökonomie des Nachtlebens, oder sind die euphorisierenden Drogen mit ihrem unvermeidlichen Hangover ein Symbol für den heißgelaufenen Kreativkapitalismus? Czebatul, die in Berlin lebt, benutzt kleine Generatoren, damit die Arbeit aufgeblasen bleibt, und ein Journalistenkollege lässt nicht locker mit seiner Frage, ob das nicht eine ungeheure Energieverschwendung sei (die Künstlerin sagt, dass ihre Skulpturen ungefähr so viel Energie wie ein Kühlschrank verbrauchen).
Es drängt sich eine andere Bedeutung des Begriffs Performance auf, die so wahrscheinlich gar nicht vom Kuratorenteam oder den beiden Institutionen intendiert ist. Denn die Frage, ob die Werke über Dinge wie Kapitalismuskritik, Gewalt und Ökologie bloß sprechen, oder ob sie ihre Position in der Welt auch, nunja, performen, bleibt oft unbeantwortet.
54 Tage zu Fuß von Lagos nach Antwerpen
Einer Antwort am nächsten kommt vielleicht Temitayo Ogunbiyi, die in Lagos, Nigeria, lebt und arbeitet. Eine lange, geschwungene Linie aus rostfreiem Stahl bildet vor De Singel, dem Austragungsort des Performanceteils dieser Doppelausstellung, modellhaft den Fußweg von Lagos nach Antwerpen ab – laut Google Maps würde das 54 Tage dauern. Daneben hat sie einen Garten mit Gemüse aus Flandern und Nigeria angelegt. Der Titel lautet "You Will Find Companionship in Greener Grounds", und am Eröffnungswochenende serviert Ogunbiyi hier Suppe für alle. Die Künstlerin plant eine langfristige Zusammenarbeit mit migrantischen Communities der Stadt.
Danach soll die Stahlskulptur als Kinderspielplatz dienen. Übrigens ist das nicht das einzige Spielgerät, denn auch Superflex hat eine Schaukel zu der Ausstellung beigetragen, auf der man, so erklärt die dänische Gruppe, am besten zu dritt schaukelt, um so etwas wie kollektive Energie zu erzeugen. Daraus spricht ein unverbrüchlicher Glaube an das Potenzial gemeinschaftlichen Zusammenkommens.
Der flämische Architekt und Le-Corbusier-Fan Léon Stynen gestaltete De Singel in den 1960ern, und der große Komplex mit seinen weiten, offenen Fluren, den multifunktionalen Räumen und Bühnen ist um zwei grüne, sanft-hügelige Innenhöfe gebaut, wo Studierende sich abends treffen. Man könnte glauben, der Bau stamme aus einer Zeit, in der Politik und Kulturbetrieb Geld investierten und Gemeinschaft zumindest in der Theorie über Klassengrenzen hinausging. Doch in Wirklichkeit ist der Bau Ende des Jahrzehnts unterbrochen worden, weil es an Geld mangelte, und erst später wieder aufgenommen worden.
Eine trotzige Geste
Der letzte Bauabschnitt wurde gerade 2014 beendet. Hier jedenfalls soll bis zum Ende von "Come Closer" im September ein Performance-Programm die Skulpturenausstellung komplementieren. Dazu gehört Amanda Piñas "To Bloom () Florecimiento", eine Art Oper, die die konvulsiven Rhythmen des Lebens im Meer mit afrodiasporischen Mythen aus der Karibik und Südamerika verbindet, und bei der sich Performende und Publikum auf einer große Sandfläche vermischen. Als sollte hier die Bühne abgeschafft werden.
Bei "Come Closer" geht es um das Erzählen solcher Geschichten und eigentlich nur am Rande um die ungeklärten Gattungsfragen zwischen Performance und Skulptur. Das Projekt ist maximal zugänglich – allein schon, weil eine Hälfte in einem öffentlichen Park stattfindet. Hinter all dem dröhnt aber, wie der ferne Klang von Autoverkehr, die vage Angst vor einer erstarkenden politischen Rechten und ihrem Einfluss auf den Kulturbetrieb. Nicht nur in Flandern, sondern auch in Resteuropa. Vor diesem Hintergrund ist die Ausstellung eine trotzige Geste: Die rechte Partei Vlaams Belang holte bei den Wahlen zum EU-Parlament in Flandern knapp 23 Prozent der Stimmen und sendet drei Abgeordnete nach Brüssel.