Ein kleines Mädchen in holländischer Tracht lächelt in die Kamera, der körnige Film ist koloriert, die roten Haare des Kindes leuchten unter der weißen Kopfbedeckung hervor. Die Menschen in den Niederlanden vor 120 oder 100 Jahren trugen offenbar wirklich diese Trachten, die wir heute nur noch aus der Gouda-Werbung kennen. Kleine Jungs in pludrigen Hosen spielen erwachsen und ziehen an dicken Zigarren, Männer und Frauen in Holzschuhen klappern durch Straßen, die ständig von Überschwemmungen bedroht sind. Wasser ist überall in den frühesten Filmdokumenten der Niederlande, und hart arbeitende Menschen: Mit hüfthohen Gummistiefeln waten sie durch die Fluten, installieren Fischreusen, sammeln Reet für die Dächer ihrer Häuser. Kleine Mädchen flechten Körbe, Kinderarbeit ist normal.
Fiona Tan, australisch-indonesische Künstlerin, die seit langem in den Niederlanden lebt, ist für ihren neuen Film "Footsteps" tief in das Archiv des Eye Filmmuseums in Amsterdam eingestiegen und hat die ältesten Filmdokumente über die Niederlande hervorgeholt. Der rund 90-minütige Film ist ein Porträt ihrer aktuellen Heimat mit den Mitteln der Filmhistorie. Wenn Tan mit großer Ruhe die alten Filmdokumente aneinander reiht, tauchen wir in eine überraschend fremde Welt ein, die doch nur wenige Generationen entfernt ist.
Aus heutiger Perspektive spiegelt sich in diesen Bildern von Menschen in traditioneller Kleidung bei harter Handarbeit auf überraschende Weise ein ethnologischer Blick, wie er sonst häufig auf Gesellschaften in Asien oder Afrika gerichtet wird. Die Globalisierung sickert schon damals in die Bilder ein, wenn wir die holländischen Häfen der beginnenden Industrialisierung sehen, wo gerade japanische Matrosen von Bord gehen – wieder Pluderhosen. Und wir sehen sie im (neo-)kolonialen Reichtum der Städte, den die Kameras genauso festhalten wie die einfachen Lebensbedingungen der Landbevölkerung.
Die globale, neokoloniale Perspektive ist auch in die zweite Ebene von Tans faszinierendem Film eingewoben, die sich nur auf der Tonspur abspielt: gelesene Ausschnitte aus Briefen, die ihr Vater ihr in den späten 1980er-Jahren geschickt hat, als sie in Amsterdam studierte. Tans Vater ist Chinese, lebte in Indonesien, wo die Künstlerin 1966 auch geboren wurde, später siedelte die Familie nach Australien über – der Hintergrund der Mutter ist schottisch und australisch. In den liebevollen Briefen an seine Tochter reflektiert der Vater mit bemerkenswerter Übersicht die politischen Umwälzungen dieser Zeit, von der australischen Einwanderungspolitik bis zum Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion.
Die beiden auf den ersten Blick völlig unverbundenen Ebenen des Films finden zusammen zu einer Reflexion über globale Vernetzung, kulturelles Erbe und die Frage, wie man seinen Platz in der Welt findet – und dazu noch über den filmischen Blick und die Möglichkeiten der Repräsentation.
Für den schnellen Konsum ist das nichts
"Footsteps" ist das Kernstück der Retrospektive im Amsterdamer Eye Filmmuseum, die Tans zwischen Kunst und Film balancierendes Werk auf sehr gelungene Weise zugänglich macht. Ein dunkler Parcours kombiniert kürzere, fast wie bewegte Gemälde wirkende Filme wie Tans meditativer Blick auf den Verkehr von Los Angeles mit großen Installationen wie "Gray Glass", das 2020 für eine Ausstellung im Museum der Moderne in Salzburg entstand und dort wegen Lockdowns nur kaum gezeigt werden konnte. Die suggestive 4-Kanal-Installation in Schwarz-weiß, für die sie in einer Eishöhle und auf Alpenpässen gedreht hat, folgt einem Wanderer, der einen Spiegel auf dem Rücken trägt – im 18. Jahrhundert, zur Zeit der Romantik, wurden spezielle Spiegel aus Italien in den Norden exportiert, die Landschaft ins Zweidimensionale übersetzten und von den Malern der Romantik benutzt wurden.
Wie macht sich der Mensch ein Bild von der Welt? Das ist das große Thema von Fiona Tan – und es ist komplex. In ihrer Ausstellung in Amsterdam wird wieder einmal deutlich, wie sie ihre geradezu wissenschaftliche Analyse des Mediums Film mit einem poetischen, künstlerischen Zugriff verbindet. Für den schnellen Konsum ist das nichts. Aber wer sich Zeit nimmt, wird definitiv belohnt.