Unwirtlich, kalt und erbarmungslos ist die Küstenlandschaft, in die wir uns zwischen steinigen Stränden, abweisenden Felswänden und vom ständig blasenden Wind klein gehaltener Vegetation hineinversetzt sehen. In dieser Szenerie, wo sich, in welche Richtung man den Blick auch schweifen lässt, kein Hinweis auf menschlichen Zivilisation entdecken lässt, scheint die Zeit still zu stehen. Ob diese Wellen schon vor 1000 Jahren so erbarmungslos auf den grauen Strand gerollt sind? Es ist kaum anders vorstellbar.
Wohl kaum ein Motiv wird so häufig genutzt wie das Meer, um Fragen nach dem unbeeindruckten Fließen von Zeit zu verhandeln. Doch so wie Meeresansichten spätestens seit der Romantik als vermeintlich unumstößliches Symbol der Ewigkeit recycelt werden, fungiert der Mensch mit seinen Erfindungen und Gedanken kulturhistorisch mindestens genauso lang als das obligatorische Gegenstück: die Vergänglichkeit.
In der Ausstellung "Pranayama Typhoon" der britischen Künstlerin Fiona Banner aka The Vanity Press, aktuell im Dortmunder Hartware MedienKunstVerein zu sehen, erscheint die thematische Beschäftigung mit dem Vergehen, Bleiben und der Verwandlung in solchen Gegensatzpaaren omnipräsent. Mehr oder weniger unberührte Natur trifft auf fortschrittlichste Technologien; traditionelle Atem-Meditationen werden Kampfhandlungen im Geschwindigkeitsrausch gegenübergestellt, und die lebendige Tierwelt sieht sich mit vorgeblich unzerstörbarer Kriegsmaschinerie konfrontiert.
Hybridwesen und Kriegsgerät
Zentrale Arbeit und Herzstück der präsentierten Werkgruppe, die im Rückgriff auf Film, Fotografie, Skulptur und Malerei exemplarisch für die multimediale Praxis der Künstlerin steht, ist das 2021 entstandene Video "Pranayama Organ". Angesiedelt am Pett-Level-Strand in Südengland und von spektakulärer Steilküste und stürmischen Wellen eingefasst wird die abgeschiedene Szenerie zur Bühne eines seltsamen Schauspiels. Assoziationen an gestrandete Wale oder kaputte Luftmatratzen hervorrufend versuchen sich lebensgroße, langsam aufgeblasene Plastik-Modelle hochmoderner Kampfjets – die Vorbilder heißen Falcon und Typhoon – aus dem Sand zu erheben.
Anfangs noch schlaff in sich zusammengefallend versteifen und verhärten sich die organisch-maschinellen Hybridwesen in einem an tanzende Leiber und erigierende Penisse gemahnenden Ritual. So werden sie Schritt für Schritt mehr als das erkennbar, was sie eigentlich darstellen: tödliches Kriegsgerät.
Diese unverhohlene, fast plattitüdenhafte Symbolik ist jedoch trügerisch. Vom Wind über den Strand gewirbelte, erschlaffte Kampfmaschinen mögen zwar Gedanken an die unnachgiebige Kraft immerwährender Naturphänomene und des vergänglichen Menschen hoffnungsloses Ausgeliefertsein hervorrufen. Und auch die Anfälligkeit der als Symbole militärischer Potenz entwickelten Flieger gegenüber gewöhnlicher Böen ließe sich als Kommentar zum Versagen (männlicher) Erfindungen im Angesicht ökologischer Herausforderungen verstehen. Doch wird eine solche pathetische Lesart den in Bewegung, Sound und Körper verdichteten Hinweisen und Anspielungen des Videos nicht vollständig gerecht.
Neue Formen von Körperlichkeit
In "Pranayama Organ" und den die Ausstellung ergänzenden Werken ist vielmehr Banners Faszination für Ambivalenzen und das Uneindeutige zu entdecken. Der Reiz der Arbeiten entfaltet sich gerade in den Zwitter- und Zwischenzuständen, mit denen sie Oppositionen bei genauerem Hinsehen bricht, verfremdet und erweitert.
Im Video verlieren sich Typhoon und Falcon, einmal aufgepumpt und als Flieger erkennbar, schnell in Bewegungen, die von Kampfhandlungen in zärtliche Annäherung übergehen. Die Modelle, nun von Performern als Rüstung oder Kostüm getragen, lassen Krieg als unzweckmäßiges Spiel zur physischen Ertüchtigung erscheinen und öffnen die mit dem Menschen verwachsenen, gefühlvollen Maschinen für Fragen hinsichtlich neuen Formen von Körperlichkeit in einer von Technik geprägten Welt. So reflektiert Banner die Potenziale von Liebe und Zuneigung und koppelt sie mit Überlegungen zu Cyborgs und Transhumanismus.
Weitere Spielarten möglicher Fusionen von Mensch und Maschine werden in den die Videoarbeit ergänzenden Fotografien eröffnet. So verweisen etwa von der Künstlerin gestaltete "Vogue"-Shootings, in denen Models die von Luft entleerten Fakeflugzeuge wie eine zweite Haut um sich wickeln, spielerisch auf ästhetische Möglichkeiten aufgerüsteter und mechanisierter Körper hin. Gleichzeitig persifliert die Übertragung der Kriegsflugzeuge in den abwegig wirkenden Modekontext die Aneignung von wilder Natur durch die Waffenindustrie, die sich in den auf Vögel und Wetterphänomene zurückgreifenden Benennungen der Kampfjets zeigt.
Entlarvendes Spiel mit Gegensätzen
Die subtile Art, in der Banner eine Vielzahl an komplexen Themenfeldern mitschwingen lässt, dabei allerdings nie zu explizit wird, sondern offen und assoziativ bleibt, funktioniert nicht zuletzt durch die sinnliche Qualität, die ihre Arbeiten entwickeln. In Dortmund verstärkt das atemähnliche Geräusch eines sich aufblasenden Flieger-Modells den dramatischen Orgelsoundtrack des Videos. Meditative Achtsamkeitsmethoden wie das titelgebende Pranayama, das den mechanischen Flugzeugkorpus animiert und ihm Leben einhaucht, trifft hierbei auf die Theatralik sakral inspirierter Musik-Untermalung, deren Epik durch die schlaffen Plastikjets konterkariert wird.
Es ist das lustvolle Aufbauen und anschließende Brechen von Erwartungen, ihr entlarvendes Spiel mit Gegensätzen und das eindrucksvolle Entblößen effektvoller Inszenierungen, das Banners Ausstellung "Pranayama Typhoon" auszeichnet. Ob in der Erschaffung transhumanistischer Wesen, die zwischen Liebe und Kampf zu changieren scheinen oder in der lustvollen Zurschaustellung von modernster Technologie vor überzeitlicher Küstenkulisse – am Ende bleibt doch immer nur eine schlaffe Flugzeugattrappe.