Die Zukunft malt sich gar nicht so mühsam, wie mancher denkt. Fantasie gehört halt dazu, auch bei den Zuschauern, die schon bei Serien wie "Raumpatrouille" (1966) über Badezimmer-Amaturen in Kontrollräumen hinwegsehen mussten oder immer denselben Pappfelsen auf verschiedensten vom "Raumschiff Enterprise" angeflogenen Planeten (1966-69) bestaunen durften. Die französische Regisseurin Claire Denis hat jetzt erstmals einen Science-Fiction-Film gedreht. Schon der Titel fegt auf interessante Weise über das Minimalwissen von Sci-Fi-Fans hinweg: "High Life", was soll das sein, wenn es im Weltall doch gar kein oben oder unten gibt?
Die Besatzung eines Raumschiffs (Juliette Binoche, Lars Eidinger, Mia Goth, Robert Pattinson und andere), das so spektakulär wie ein Schuhkarton aussieht, ist unterwegs zu einem Schwarzen Loch. Am Anfang sehen wir Robert Pattinson bei der Reparatur der Außenhülle. Wenn ihm der Schraubenschlüssel aus der Hand nach unten (!) fällt, wissen wir: Denis pfeift auf Naturgesetze – wie auch auf Schaltpult-Bling-Bling und spacige Special-Effects. Sie interessiert sich für den psychischen Druck, der auf einer aus Strafgefangenen rekrutierten Crew lastet, für Gewalt-Eruptionen und Triebabfuhr. In der Rolle einer dubiosen Bordwissenschaftlerin erleben wir Juliette Binoche, die sich regelmäßig in eine Masturbationskammer begibt.
Wo ist die Science Fiction?
Wer sich auch da fragt: Wo ist die Science-Fiction? – Singles, Sex ohne Fortpflanzung, Dildos, all das ist doch längst erfunden, sei an das Grundprinzip der Science-Fiction erinnert. Science-Fiction. Es handelt sich weniger um ein Genre als um eine bestimmte Erzählweise zeitgenössischer Realität. Utopische oder dystopische Filme erzählen natürlich von der Gegenwart (wovon sonst?). Das futuristische Design schafft Distanz für einen ungewohnten Blick auf den Ist-Zustand.
Mit pseudo-wissenschaftlich verklausulierter Sprache, Knöpfchen und Lämpchen und allerlei anderem Techno-Schnickschnack tut die Science-Fiction immer sehr vernünftig. Aber in den meisten Zukunftsgeschichten gibt es Ränder des Unglaublichen, Spirituellen und Wunderbaren. Oder das Fantastische steht im Kern der Story, wird aber verwissenschaftlicht. Dann kommt mitunter die Kunst ins Spiel. Für den Geschwindigkeits-berauschten Farben-Trip im Finale von Stanley Kubricks "2001“ entwickelte Spezialeffekte-Maestro Douglas Trumbull Bilder, wie sie nicht einmal im Experimentalkino der 60er zu sehen waren. Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs reagierte Andrei Tarkowski mit Bildzitaten aus der Kunst des Barock ("Solaris", 1972).
Einen eigenwilligen Weg geht Claire Denis in "High Life", indem sie den Sprung in die Ewigkeit gleichsam outsourct. Wenn die beiden einzigen Überlebenden der Mission am Ende von einem Schwarzen Loch verschluckt worden sind, switcht Denis in eine Installation von Olafur Eliasson. Das bereits 2014 von dem Künstler entwickelte Environment, bei dem das Publikum (bzw. die beiden "High Life"-Mitwirkenden) von einem hellen Lichtstreifen umkreist werden, wurde eigens für den Filmdreh im Berliner Studio Eliasson wieder aufgebaut. Man könnte an Denis’ Weltraumdrama überhaupt kritisieren, dass es wie ein Mash-up funktioniert: entliehene Bilder, Handlungselemente von Sci-Fi-Klassikern wie "2001", "Dark Star", "Lautlos im Weltraum" (mit dem Raumschiff als fliegendes Gewächshaus). Was neu ist, ist die Akribie, mit der Denis Charaktere entwickelt, Leidenschaften entfesselt und eine Mikrogesellschaft implodieren lässt. Menschen kommen schlecht mit Menschen aus. Ist das unbedingt Science-Fiction? Computer sagt: Nein.