Mit seiner bissigen Komödie "The Square" hielt der schwedische Regisseur Ruben Östlund der Kunstwelt den Spiegel vor. Der Fernsehsender Arte wirft in einer Dokumentation einen Blick hinter die Kulissen – aber ignoriert die moralischen Widersprüche des Films
“Ich interessiere mich für Situationen, die unsere feige Seite beleuchten”, erklärt Ruben Östlund direkt zu Beginn der Arte-Doku "Es war einmal ... The Square". Anlässlich der Ausstrahlung seiner Kunstwelt-Satire, die 2017 in Cannes die Goldene Palme erhielt, hat Arte sich genauer mit der Arbeitsweise des schwedischen Regisseurs auseinandergesetzt. "The Square" verfolgt den Kurator Christian durch eine von einem kontroversen Werbeclip ausgelöste PR-Krise.
Beworben wird in dem Video das titelgebende Kunstwerk, ein Quadrat auf dem Boden eines öffentlichen Platzes, das allen Menschen als gleichberechtigter Zufluchtsort dienen soll. Claes Bang, der im Film den Museumsdirektor Christian mimt, spricht im Laufe des Dokumentarfilms immer wieder über den Zuschauereffekt als zentrales moralisches Dilemma des Films. Östlund gehe es darum, der schwedischen Wohlstandsgesellschaft den Spiegel vorzuhalten.
Die Regisseurin Manuelle Blanc zeigt Östlund als anspruchsvollen Perfektionisten mit einem Auge fürs Detail und einem feinen Gespür für die Nuancen menschlicher Psyche. Östlund berichtet von seiner Recherche in der Kunstwelt, zu der er nach eigener Aussage ein ambivalentes Verhältnis hat. Er berichtet davon, wie er den russischen Künstler Oleg Borissowitsch Kulik entdeckte, der für eine seiner Performances einen bissigen Hund mimte und Zuschauer, die ihm zu nah kamen, angriff. Beeindruckt von Kuliks darstellerischer Konsequenz ersann Östlund die Schlüsselszene, in der "Planet der Affen"-Darsteller Terry Notary als primatenhafter Performer auf eine Gesellschaft elegant gekleideter und betreten schweigender Museumsförderer losgeht.
Künstlerin sieht ihren Ruf geschädigt
Für das zentrale Kunstwerk "The Square" arbeitete Östlund mit dem Künstler mit Kalle Boman zusammen. Vor den Dreharbeiten realisierten die beiden eine partizipative Ausstellung, in der Besucher mit dem leuchtenden Quadrat interagieren konnten. Was in der Dokumentation jedoch unerwähnt bleibt: Im Film wird das Kunstwerk nicht etwa Östlund und Boman, sondern der argentinischen Dokumentartheater-Regisseurin Lola Arias zugeschrieben.
Im Monopol-Interview erzählte die Künstlerin im Februar, dass sie zunächst als Darstellerin der Kunstwelt-Satire gecastet wurde. Sie sollte die Urheberin des titelgebenden Kunstwerks spielen, wurde jedoch für ihre Probeaufnahmen entgegen der Versprechen des Produktionsunternehmens nie entlohnt. Erst als der Film in Cannes Premiere feierte, erfuhr Arias, dass ihr "The Square" ohne ihr Einverständnis zugeschrieben worden war. "Wir präsentieren die argentinische Künstlerin und Soziologin Lola Arias und ihre Ausstellung 'The Square'", deklariert Museumsdirektor Christian im Trailer des Films. Fortan erreichten Arias verwirrte Nachfragen von Kolleginnen und Kollegen aus dem Kunstbetrieb, ob "The Square" tatsächlich von ihr stamme. Die Künstlerin sieht ihren Ruf geschädigt: "Mein Name wurde aus dem Kontext gerissen und ich wurde zum Urheber eines im übrigen sehr schlechten Kunstwerks gemacht, das nicht mein eigenes ist."
Verwischen von Realität und Fiktion
Auf ihre Nachfrage, warum ihr Name ohne jegliche Absprache verwendet wurde, reagierte Östlund einsilbig: "Seine Antwort war lediglich, es tue ihm leid zu hören, dass ich davon nichts wusste, und er habe gedacht, ich sei informiert worden. Keine Entschuldigung für seine eigene Handlung, keine Erklärung, keine Verantwortung." Als der Regisseur ihr das Kunstwerk dann in einem Interview erneut zuschrieb, reichte es Arias. Gemeinsam mit dem Kunst- und Urheberrechts-Anwalt Jakob Braeuer leitete sie ein juristisches Verfahren gegen Östlund ein.
"In all meinen Filmen möchte ich mich zunächst selbst auf die Probe stellen. Ich will herausfinden, ob es mir gelingt, eine Situation zu schaffen, in der ich mich möglichst schlecht verhalte und trotzdem davon überzeugt bin. Ich will herausfinden, ob ich mich mit einer Handlung identifizieren kann, die ich verwerflich finde", erklärt Ostlund zu Beginn der Arte-Dokumentation. Dass ihn das Spiel mit Realität und Fiktion reizt, wird an mehreren Stellen des Dokumentarfilms deutlich – gut möglich, dass er die Grenzen durch seinen rücksichtslosen Umgang mit Lola Arias Namen noch weiter verwischen wollte. Tatsächlich imitiert das Leben die Kunst, wenn Arias sich selbst mit dem kleinen Jungen vergleicht, den Christian zu Unrecht beschuldigt, sein Handy gestohlen zu haben, und der daraufhin lauthals eine Entschuldigung einfordert.
Die Dokumentation endet mit Östlunds Jubel darüber, die Galadinner-Szene mit dem Affen-Performer und den peinlich berührten Museumsförderern in Cannes zeigen zu dürfen: Hunderte unangenehm berührte Personen im Smoking sehen auf der Leinwand ihr Spiegelbild. Hier mag Östlunds stellenweise etwas plumpe Meta-Sozialkritik tatsächlich aufgehen. In seinem Umgang mit Lola Arias hingegen enthüllt er lediglich seine eigene Feigheit.