Herr Kretschmer, Anfang Juli sprach das Welterbekomitee im aserbaidschanischem Baku den einmaligen Abbaugebieten des sächsischböhmischen Erzbergbaus den Welterbetitel zu. Wie war die Stimmung in Baku? Wie haben Sie die Entscheidung für den Welterbetitel empfunden?
Wir waren alle sehr aufgeregt. Im Konferenzraum war praktisch die ganze Welt versammelt, das beeindruckte mich. Über einzelne Vorhaben wurde heftig diskutiert, man hat sich nichts geschenkt. An unserer Bewerbung wurde 21 Jahre gearbeitet, uns wurde nun signalisiert, dass es klappen kann. Die Menschen aus der Region haben sie vorangetrieben. Diesen Erfolg nun gemeinsam nach Hause zu holen war sehr bewegend.
Haben nicht zumindest Ihre Vorgängerregierungen, namentlich das Innenministerium, auch Grund zur Demut? Denn der Bewerbung begegnete man anfangs sehr zurückhaltend, und ohne den Förderverein hätte sie wohl kaum Erfolg gehabt.
Es sind die Menschen im Erzgebirge, die sich diesen Titel erarbeitet haben. Sie haben Jahrhunderte ihrer Geschichte im Rücken, haben zwei Jahrzehnte lang gekämpft und dabei auch kritische Punkte berücksichtigt. Wir hatten unsere Erfahrungen mit der Dresdner Waldschlösschenbrücke und wollten nicht noch einmal in diese Situation geraten. Es war ein kluges Verfahren, sich auf ausgewählte Orte zu beschränken und wirtschaftliche Entwicklungen weiterhin zu ermöglichen.
Das macht den Unterschied aus, um es neudeutsch zu sagen, zwischen einem Bottom-up- und einem Top-down-Projekt.
Der Erfolg liegt darin, dass die Welterbeidee von den Menschen in der Region auch wirklich gelebt wird. Der Antrag ist, wenn man so will, in den in den vielen Jahren gewachsen. Das gilt auch für die Tschechen, die uns liebe Nachbarn sind. Gezeigt hat sich das auch in Baku, als wir gemeinsam gefeiert haben, und daran, wie die tschechische Seite über uns sprach. Partnerschaft gedeiht mit einem gemeinsamen Ziel am besten. Wir sind jetzt für die kommenden Jahrzehnte auf Zusammenarbeit angewiesen.
Diese Anerkennung als materielles Welterbe bedeutet auch eine Anerkennung für immaterielle Qualitäten der Erzgebirgsbewohner. Sie kommen von der Neiße, wie sehen Sie diese Stehauf-Menschen, die ja schon manche Krise auch im Bergbau bewältigt haben?
Die Erzgebirger haben eine eigene Mentalität, sind selbstbewusst, aber immer auch selbstkritisch, manchmal zeigen sie ihren Dickschädel. Sachsen könnte man nicht erklären ohne das Erzgebirge, wo unser Reichtum herkam. Die Leute haben sich immer durchgekämpft. Deswegen werden sie auch die gegenwärtigen Herausforderungen wie etwa die Elektromobilität meistern mit ihrem beherzten Zugriff. Das Erzgebirge ist an sich schon ein Zukunftskonzept.
Das Welterbe ist nun ein Ehrentitel. Aber zeigt er bald auch messbare Wirkungen in dem eben beschriebenen Sinn, etwa beim Tourismus oder bei der Wirtschaftsförderung?
Es kommt darauf an, was man daraus macht. Gerade für die jungen Leute ist das ein tolles Zeichen: Ihr lebt mitten im Welterbe. Jetzt müssen wir was daraus machen. Wir sollten den Titel selbstverständlich auch für den Tourismus nutzen und neue Gäste für das Erzgebirge begeistern. Das kann dem Selbstbewusstsein und dem Stolz noch einmal einen Schub geben. Unternehmensansiedlungen befördert dieser auf Bergbau- und Industrietradition basierende Titel gewiss auch.