Künstler Eric Meier

"Ich wollte dahin gehen, wo es richtig wehtut"

Der Künstler Eric Meier hat für sein neues Projekt alkoholkranke Männer aus einer Einrichtung in Brandenburg porträtiert. Hier spricht er über brüchige Biografien, Männlichkeitsbilder und seinen Blick auf die Orte seiner Herkunft

Für sein neues Projekt traf der Künstler Eric Meier Männer, die in einer Wohnstätte für Suchtkranke in Eisenhüttenstadt, nahe der polnischen Grenze, leben. Seine Porträts erzählen von durch Brüche geprägte Biografien einer Wende-Generation und zeigt seine Protagonisten verletzlich und nahbar. Eric Meier untersucht in seinen Werken unter anderem, welche Männlichkeitsbilder von der Gesellschaft reproduziert und stereotypisiert werden und welchen Gestus er selbst verinnerlicht hat. Seine Ausstellung "Vaterland" ist noch bis zum 26. Oktober im Eigen+Art Lab in Berlin zu sehen. Wir haben ihn dort zum Gespräch getroffen.


Eric Meier, Sie beschäftigen sich in vielen Ihrer Werke mit dem Thema des ostdeutschen Raums. Warum haben Sie jetzt diese Männern porträtiert, die in einer Wohnstätte für Suchtkranke leben?

Vor circa drei Jahren habe ich den Entschluss gefasst, dahin zu gehen, wo es richtig wehtut. Ich spreche viel über Gesellschaft und menschliche Spuren, jetzt wollte ich den Menschen direkt einbeziehen und an einem Ort fotografieren, an dem es mich besonders viel Überwindung kostet. Meine aktuelle Arbeit zeigt Porträts von diesen Männern, die alle eine Brüchigkeit in ihrer Männlichkeit haben. Sie haben alle eine Wende-Biografie und sind alle gesellschaftlich ausgeschlossen, durch ihr Schicksal und ihre Lebensumstände.

Die Bilder wirken sehr intim. Wie ist Ihre Beziehung zu den Menschen, die Sie fotografiert haben? Und welche Atmosphäre möchten Sie mit den Fotografien erzeugen?  

Die Menschen auf den Bildern leben in einer Wohnstätte für Suchtkranke in Eisenhüttenstadt, nahe der polnischen Grenze. Sie sind alle alkoholkrank. Mein Bezug zu diesen Personen ist besonders, da ein sehr enges Familienmitglied von mir dort lebt. Durch meine Biografie und meine persönliche Verbindung fand ich einen Zugang. Ich habe aber auch sehr viel Zeit und Gedanken investiert und überlegt, wie eine Verbindung mit den Männern möglich werden kann. Zuerst habe ich vorsichtig gefragt, ob Interesse an dem Projekt besteht, andere Arbeiten von mir gezeigt und viel mit den Menschen dort gesprochen. Ich glaube, da kam viel Vertrautes zum Vorschein, wie die Orte oder die Thematiken. Dann war das Interesse von ihrer Seite aus sehr groß. Vielleicht hatten sie das Gefühl, dass sich endlich mal jemand mit ihnen beschäftigt. Sie leben in dieser Wohnstätte vom restlichen Leben relativ abgeschottet, mit immer den gleichen Abläufen und Routinen. Für mich war es darum umso wichtiger, empathisch zu bleiben und den Blick für ihre Realität nicht zu verlieren.

Welche Rolle spielt das Thema Männlichkeit in den Bildern?

Die Diskussion um "den alten weißen Mann" ist seit Jahren stark medial aufgeladen. Diesen Männlichkeitsgestus sieht man den Protagonisten auf den Fotografien an. Ich wollte nicht nur eine Ab- oder Zuschreibung reproduzieren, die es von ihnen oder über sie gibt, sondern diesen Gestus bewusst brechen. Mir war wichtig, die Männer nicht voyeuristisch darzustellen. Sondern ein Bild zu schaffen, das konfrontativ ist, aber gleichzeitig auch einfühlsam.

Hatten Sie Bedenken, diese Menschen zu fotografieren?

Am Anfang hatte ich eine sehr große Nervosität in mir. Rein vom Prozess war es das erste Mal, dass ich den Menschen an sich fotografisch so in meine Arbeit aufgenommen habe. Das war erstmal eine Herausforderung. Als das Eis gebrochen war, wurde mir aber klar, dass ich keinen moralischen Konflikt haben muss. Weil an diesem Ort sehr viel Liebe existiert und das Interesse von meinem Gegenüber da war. Vor dem Fotografieren haben wir uns lange unterhalten. Dadurch habe ich sehr viel über die Biografien der Männer erfahren. Das war mir enorm wichtig.

Sie haben mal gesagt, dass Sie sich als Künstler mit Scheitern und Transformation auseinandersetzen. Wie spiegeln sich diese Themen in Ihrer Arbeit?

Es geht erst einmal um Feststellung. Darum, einen Status Quo zu beschreiben. Darüber nachzudenken, was war und was werden könnte. Das Scheitern kann immer etwas Neues auslösen und ist dadurch auch ein Neuanfang. Das ist für mich auf einer intellektuellen Ebene, aber auch auf einer narrativen Ebene interessant. Die Ästhetik des Bruchs oder des Scheiterns finde ich anziehend. Destruktion und Neukonstruktion oder auch Aneignung finde ich spannend. Das zeigt sich im deformierten Moment meiner Glasarbeiten, in Wandgravuren, oder auch in den urbanen Räumen, die ich fotografiere. Der Sinn für diese Ästhetik kommt von der Straße und referiert auch an sie.

Wie war es für Sie, in einem Umfeld zu arbeiten, zu dem Sie einen familiären Bezug hatten? Verschwindet dadurch die Trennung zwischen der privaten und der öffentlichen Sphäre?

Ich glaube, es gibt wenige Positionen, die ihr künstlerisches Schaffen und ihre Bearbeitung von Themen nicht irgendwie aus dem eigenen Urschleim entwickeln. Die Inspiration, die aus der eigenen Identität und Lebenserfahrung kommt, darf in meiner Arbeit stecken. Das ist so eklatant, dass ich das gar nicht infrage stelle. Ich bin zwar noch nicht sehr alt, aber das Aufwachsen in Frankfurt an der Oder, einer ostdeutschen Kleinstadt, hat mich automatisch dazu veranlasst, zu beobachten, wie sich die Orte meiner Herkunft verändern. Was verschwindet und wie neue Räume entstehen. Oder wie sich, wie in diesem Fall, Biografien von Menschen entwickeln, die dort leben. Für mich ist das einfach spannend und total logisch verknüpft. Es fühlt sich natürlich an.

Kann Ihre fotografische Erfassung eines Zustandes einzelner Menschen die Weitläufigkeit des gesamten politischen Konflikts spiegeln? Wie setzen Sie das in Zusammenhang?

Meine Arbeit ist natürlich nur ein Ausschnitt. Und mir ist wichtig, sie nicht als dokumentarische, sondern als eine künstlerische Arbeit zu sehen. Mir geht es um Archetypen, die in dem Interpretationsraum eine Richtung vorgeben können. Es aber nicht unbedingt müssen. Ich ordne diese Menschen und ihre Geschichten in dem Thema um den Osten ein, weil das für mich mit meiner Herkunft verbunden und sehr medial aufgeladen ist. Deshalb ist es mir wichtig, das zu bearbeiten. Das Thema der Brüchigkeit und der fragilen Männlichkeit ist ja seit Jahren in der Diskussion. Und die ist nach wie vor wichtig. Dass sich solche Strukturen auflösen, ist Teil der Arbeit. In diesem Fall würde das bedeuten, dass dieser Kohorte, diesen Männern, etwas zugeschrieben wird. Platt gesagt, seien sie "für alles Übel zuständig". Diesen Ausschnitt, dieses Fragment wollte ich mir anschauen und beleuchten. Natürlich ist es auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Männlichkeit und Männlichkeitsbildern. Sich Gedanken darum zu machen, wie etwas besser geht. Letztlich die Frage nach der eigenen Position.

Profitieren die Menschen auf den Bildern denn von dem Projekt?

Ich glaube, das weiß man immer erst hinterher. Aber ich glaube, sie haben schon insofern profitiert, dass sie aus ihrem relativ gleichförmigen Alltag herausgerissen wurden. Und durch unsere Zusammenarbeit ein anderes Erlebnis und einen anderen Gesprächspartner hatten.

Haben sie die Bilder gesehen?

Ja. Sie sind auch in die Ausstellung eingeladen. Es ist aber eher schwierig, da die emotionale Ebene bei ihnen leider nicht mehr so ausgeprägt ist. Bei fast allen von ihnen finden Emotionen eher in so einer Art Gleichförmigkeit statt. Ich glaube, die Bilder sind ihnen relativ egal, muss man sagen. Die Erfahrung war für sie offenbar das Wichtigste.

Wenn Sie den Osten auch politisch betrachten: Wie haben Sie auf die Ergebnisse der Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg und die hohe Zustimmung zur AfD reagiert?

Die Wahlergebnisse sind wenig überraschend. Und Empörung, die kann man unterlassen, finde ich. Es ist einfach unangenehm und traurig, dass es so ist, wie es ist. Ich mache mir Sorgen und bin angefasst, weil ich natürlich eine große emotionale Bindung zu der Region habe.

Kann die Kunst etwas gegen den Rechtsruck tun?

Da bin ich eher ein bisschen pessimistisch. Die Kunst kann nicht so viel machen. Sie muss erstmal gesehen werden, das ist wichtig. Und sie darf nicht in ihrer Blase bleiben. Wenn das erreicht ist, glaube ich, kann das funktionieren. Wenn Menschen in Institutionen gebracht werden, die gut vermitteln können – das hilft vielleicht schon ein bisschen. Freier Eintritt in Museen könnte beispielsweise ein Türöffner sein. Kinder und Jugendbildung, mit Kunst Interesse wecken, andere Perspektiven einzunehmen, das ist bedeutsam. Aber erstmal muss meiner Meinung nach ganz basisgesellschaftlich ein anderer Ton angeschlagen werden. Es muss aufgehört werden mit dem Gebrüll. Es sollte anders miteinander gesprochen und vor allem zugehört werden.