Keine Ahnung, wann bei mir das letzte Mal so lange Facebook lief, aber Meta streamte seine aktuelle Keynote zur Entwicklerkonferenz Meta Connect exklusiv auf der hauseigenen Plattform, was ökosystemtechnisch aus deren Sicht Sinn ergibt. Rund 22.000 Menschen aus aller Welt sind im Stream und ein bisschen kommt Partystimmung auf. Kommentare und Emojis kommen aus Ruanda, Kenia, Sierra Leone, Indien, Bangladesch und den Philippinen. Den globalen Süden scheint es auf jeden Fall zu interessieren, was das Mutterunternehmen von Instagram im Bereich Virtual und Augmented Reality, also VR und AR, so alles vorhat.
Tech-Keynotes haben sich über die Jahrzehnte zur ganz eigenen Disziplin entwickelt. In der Regel sind die immer ein bisschen peinlich. Unechte Jauchzer und Klatscher aus dem Publikum, Tech-Demos, die oft schiefgehen, hölzern steife Präsentationen und suboptimal getimte Punchlines. Steve Jobs hat das Genre wie kein anderer geprägt, und bis heute ist Apple der Maßstab, was öffentliche Präsentationen anbetrifft. Wenn man sich aber die letzte Keynote aus Cupertino anschaut, stellt man fest, wie formatiert, antrainiert und auch langweilig das alles geworden ist.
Als Mark Zuckerberg die Bühne der Meta Connect betritt, ist das Erstaunen erstmal groß. Der einst jüngste Tech-Milliardär der Welt hat eine Transformation hinter sich. Sah er die letzten 20 Jahre aus wie der jüngere, langweilige Bruder von Feuerwehrmann Sam, tritt Zuckerberg nun mit Surferlocken, passender Sonnenbräune und Adidas-Sneakern aus dem 3D-Drucker auf. Dass der Meta-Chef hart trainiert und auch an Brazilian-Jiu-Jitsu-Turnieren teilnimmt, ist kein Geheimnis. Immerhin wollte er es im Faustkampf mit Elon Musk aufnehmen. Auch sein Amazon-Kollege Jeff Bezos verbringt seit Jahren viel Zeit in Fitnessstudios und sieht mittlerweile martialisch aus. Ähnlichkeiten zu Bösewichten aus Superhelden-Comics sind rein zufällig.
Meta will die Brille neu erfinden
Auffällig auch Zuckerbergs schwarzes, extrem weit geschnittenes T-Shirt, war er doch sonst für unbedrucktes Blaugrau bekannt. Irgendwas Kryptisches steht drauf: AUT ZUCK - AUT NIHL. Es muss etwas Selbstbezogenes sein, ein Insider-Witz, ich würde gerne drauf kommen. Es hat etwas Verschwörerisches.
Mark Zuckerberg zeigt an dem Abend hauptsächlich Brillen und KI-Anwendungen. So wie Apple in wenigen Jahren zum größten Uhrenhersteller der Welt geworden ist, möchte Meta die Brille für sich beanspruchen. Viel Augenmerk liegt auf dem Modell Ray-Ban Meta, das in der Tat wie eine Brille aussieht. Gemeinsam mit der Traditionsmarke werden Klassiker wie Wayfarer und Headliner mit Hightech versehen. So fallen sie im Club und am Strand noch weniger auf. VR-Helme in der freien Wildbahn sehen schließlich bis heute seltsam aus. Unter anderem können Videos mit den integrierten Kameras in der Brille live gestreamt werden.
Das mutet wie in einem Spionagefilm an, so auch die Simultanübersetzung mit KI. Beides vom Konzept her jedoch nichts Neues. Mark Zuckerberg spricht hierbei von "Always on AI", was letztlich nur heißt, dass durch das ständige Tragen der Meta-Brillen noch mehr Daten produziert werden. Korrekturgläser sind ebenfalls kein Problem, und die Preise gehen ab 330 Euro los, was für gute Sehhilfen fairerweise nicht sonderlich viel ist. Der eigentliche Preis wird bekanntlich woanders bezahlt. Wenn Sie also unterwegs eine Ray-Ban sehen, könnten Sie gerade für Online-Content gefilmt werden. Ob das alle im Freibad oder auf der Party wollen? Ich ja eher nicht.
Normalsterbliche spielen Tischtennis
Dann kam ein Mann mit angekettetem silbernen Koffer auf die Bühne (das war so einer dieser "Cringe-Momente") und übergab Zuckerberg aus diesem Gepäckstück eine dicke dunkle Brille mit dem Namen Orion. Ein Prototyp, Zukunftsmusik.
Orion ist eine vollständig holografische AR-Brille, die mit einem neuralen Interface am Handgelenk gesteuert werden kann. Ein Showcase, der einerseits zeigt, wie ernst es Meta mit der Brille meint, aber andererseits auch unterstreicht, wie weit weg das noch von einer Massenproduktion ist.
Mark Zuckerberg betont einmal zu oft, wie kostspielig das neuartige Display sei. Zahlen wurden keine genannt. Es könnten noch Jahre vergehen, bis Orion oder etwas Vergleichbares zu einem akzeptablen Preis in den Handel kommt. Die Fachpresse und Branchenprominenz wie der Nvidia-CEO Jen-Hsun Huang sind von den Möglichkeiten indes begeistert. Vor allem Pong scheint damit viel Spaß zu machen. Ob man dafür unbezahlbare KI-Brillen braucht? Normalsterbliche spielen Tischtennis.
Der Hype um das Metaverse bleibt auch 2024 aus
Kommt nun endlich der Erfolg von VR und AR für Meta nach Jahren unterirdischer Performance? Es bleibt knifflig. Der Hype um das Metaverse bleibt auch 2024 aus. Es könnte allmählich wirklich das nächste Second Life werden. Gaffer-Kameras im passablen Ray-Ban-Design sind für TikToker und POV-Artists interessant, füttern aber nicht das Metaverse mit unwiderstehlichem Content.
Ratlos ist auch die Community beim Livestream. Am Ende geht es überhaupt nicht mehr um Brillen, KI oder Technik. Hier entsteht ein anderer Twist. Es haben sich Fraktionen gebildet, die sich gegenseitig mit Flaggen-Emojis zuschmeißen als wären es Schneebälle oder faule Tomaten. Gerade geht es um Bangladesch gegen Indien. Eine brisante Paarung. Bevor die Situation weiter eskaliert, mache ich den Livestream aus.
Zwei Vermutungen wurden an diesem Abend bestätigt: 1. Soziale Medien wie Facebook eignen sich nicht gut für themenbezogene, sachliche Diskussionen und 2. Meta kommt weiterhin nicht aus dem Knick, was das Thema VR und AR angeht. Dafür sieht CEO Mark Zuckerberg plötzlich semi-wild und halb-sexy aus. Ein schwacher Trost.