Mathildenhöhe Darmstadt

Entsichert

Watson steigt aus dem Panzer und wird von einer Granate erwischt. Watson ist tot – für ihn ist das Spiel zu Ende. Mürrisch lehnt sich sein Alter Ego in den Bürostuhl zurück. In einem Klassenraum in Kalifornien trainiert die US-Armee ihre Marines am Laptop. Das Videospiel „Virtual Afghanistan“ simuliert reale Kampfsituationen, Ausbilder können Waffen, Bomben und Feinde je nach Schwierigkeitsgrad und Lernziel platzieren.

Wie sehr auch der echte Krieg umgekehrt nach Videospiel aussehen kann, wissen wir spätestens seit den von WikiLeaks veröffentlichten „Collateral Murder“-Videos: Aufnahmen aus einem Apache-Kampfhubschrauber, dessen Besatzung in Bagdad zwölf  Menschen abschoss und dabei enthusiastische Kommentare tauschte.

Phänomenen wie diesen gehen Harun Farocki und Antje Ehmann in ihrer großartigen Ausstellung „Serious Games. Krieg – Medien – Kunst“ in der Darmstädter Mathildenhöhe nach. Dabei geht es ihnen nicht nur um den Allgemeinplatz, dass jeder Krieg immer auch ein Krieg der Bilder ist, sondern darum, wie Kriegsbilder zu Unterhaltungsbildern werden und damit in unsere Imagination eindringen. Doch exzessiver Medienkonsum stumpft ab, das zeigt der Ägypter Wael Shawky in seinem Video „Larvae Channel 2“. Erst durch zeichnerische Animation überschreitet der tausendfach vorgeführte Augenzeugenbericht palästinensischer Flüchtlinge die Wahrnehmungschwelle westlicher TV-Zuschauer. Ein simpler Verfremdungseffekt, der Ari Folmans Kriegsfilm „Waltz with Bashir“ eine Oscar-Nominierung einbrachte.

Harun Farockis eigene vierteilige Videodokumentation „Serious Games“ geht noch einen Schritt weiter. Neben Watsons virtuellem Tod zeigt sie, wie traumatisierte Veteranen mit ebenjenem Computerprogramm therapiert werden, mit dem sie vorher kämpfen lernten. In der US-Armee wird sogar die Psyche vom Computer reanimiert.

Die radikalste Arbeit der Ausstellung entstand während eines Embedded-Einsatzes der Fotografen Adam Broomberg und Oliver Chanarin in Afghanistan: reine Farbflecken, die die Sonne auf 50 Meter Fotopapier hinterließ. Der Krieg, so scheint es, ist so abstrakt geworden, dass die Medien ihn auf traditionelle Art nicht mehr fassen können.

Mathildenhöhe Darmstadt, bis 24. Juli. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen, auf Deutsch und Englisch, 256 Seiten, 29,80 Euro