Das neue Museum Mathaf und die arabische Moderne

Entriegelte Zeit

Touristen mit der fragwürdigen Hoffnung auf „Flair“ und „Ursprünglichkeit“ wird Doha enttäuschen: In der vor Aufstiegswillen strotzenden Hauptstadt des Emirats Katar findet sich wenig „versiegelte Zeit“, wie Dan Diner vor einigen Jahren in seinem gleichnamigen, viel diskutierten Essay die angebliche Stagnation der arabisch-islamischen Welt nannte. Der Historiker machte die fehlende Säkularisierung dafür verantwortlich. In Katar ist zwar Islam Staatsreligion, doch Doha wirft sich inbrünstig Richtung Zukunft: Wo jetzt noch Wüste ist, werden bald Stadien stehen (2022 zur Fußball-WM), weitere Hochhäuser und noch das ein oder andere Universitäts­gebäude. Und Museen wie das Mathaf.

Nachdem vor zwei Jahren das neue Museum für Islamische Kunst ein internationales Publikum begeisterte und noch bevor Jean Nouvel das riesige Nationalmuseum fertigstellt, feierte Katar Ende Dezember die Eröffnung des Arabischen Museums für moderne Kunst, kurz Mathaf genannt. Untergebracht ist es vorerst in einem ehemaligen Schulgebäude. Dort ist die Eröffnungsausstellung „Sajjil – ein Jahrhundert der modernen Kunst“ zu sehen.

Und schon ist man wieder bei der „versiegelten Zeit“. Denn seit der Westen verschärft über Islamismus nachdenken muss, treibt nicht nur Dan Diner die Frage um, ob in der arabischen Welt je so etwas wie „Moderne“ stattfand.

Eine industrielle Revolution, Religionskritik, eine nennenswerte Neuordnung von Geschlechterbeziehungen oder moderne Nationalstaatlichkeit gab es kaum in Casa­blanca, Kairo oder Kabul im 19. Jahrhundert. Im Mathaf aber spricht man mit größter Selbstverständlichkeit von „arabischer Moderne“, und der Beweislast entledigen sich die Kuratoren durch einen Kniff: Man wolle, so heißt es im Katalog, keine großen Erzählungen auftischen, sondern diese Epoche als fragmentiertes, hybrides Etwas zeigen. Mit postmodernen Mitteln wird also die Moderne rückwirkend konstituiert – ein heikles, aber interessantes Unterfangen.

Was also ist zu sehen? Arbeiten von 1900 bis zur Gegenwart, vor allem Malerei, wenig Abstraktes, geordnet nach Komplexen wie „Familie“, „Stadt“ oder „Natur“. Diese etwas ungelenke Gliederung ergibt hier durchaus Sinn, sind damit doch vage die Angelpunkte der modernen Umwälzung benannt. Überraschenderweise wirken diese „Kampfzonen“ hier seltsam befriedet. Bilder zum Thema „Stadt“ zeigen keinen Moloch, in dem wie bei den Expressionisten Schattengestalten mit spitzem Hut herumhuschen. Auch Landschaft sieht bei den arabischen Künstlern meist sehr heil aus –  und europäisch.

Wenig mitgenommen wirken die kleinsten Zellen von den großen Verwerfungen, die Familie und das Individuum. So zeigt das Bild „Relationship“ (1989) des irakischen Malers Faisal Laibi einen selbstgefälligen Mann (einen echten „Pascha“, wie deutsche Old-School-Feministinnen sagen würden), vor dem sich eine Frau krümmt, die seine Schuhe wegstellt. Der Sprengstoff – für westliche Augen zumindest – liegt manchmal eben auch im Realismus.

Es bleibt fraglich, ob Araber in den Arbeiten tatsächlich eine eigene Kulturtradition erkennen werden. Vieles erinnert an europäische Stilrichtungen, und was die klassische Avantgarde im Westen ausmachte, das Denken in Schulen, Manifesten, totalen Brüchen – in dieser Ausstellung erfährt man davon wenig. Zentren lassen sich ausmachen, etwa Beirut und Bagdad. Aber das kann auch mit Vorlieben des Sammlers Scheich Hassan zu tun haben.

Ausgestellt ist hier die ehemalige Privatsammlung des Mitglieds der königlichen Familie; er hat die Werke einer staatlichen Stiftung und der Museumsbehörde überlassen („von der Intuition zur Institution“, wie es so schön im Katalog heißt). Hier sieht man auch Arbeiten wieder, die kürzlich durch hohe Preise auf dem wachsenden Markt für arabische Kunst aufgefallen sind, etwa „Les Chadoufs“ (1934) von Mahmoud Said. Es ist erfreulich, dass die beeindruckende Sammlung nun der Öffentlichkeit zugänglich wird. Mit „Sajjil“ ist trotz der Schwächen ein guter Auftakt gelungen, von dem aus in folgenden Ausstellungen gezieltere Fragestellungen verfolgt werden können.

Und zu welchen Höhenflügen arabische Kunst heute fähig ist, zeigt die grandiose Gruppenausstellung „told/untold/retold“ in einem Ableger des Mathaf im Zentrum Dohas: 23 Auftragswerke von internationalen Gegenwartskünstlern wie Youssef Nabil, Kader Attia oder Walid Raad beweisen, dass die Mittel der modernen Kunst mit der Globalisierung längst weltweit verfügbar sind – egal, welcher Tradition man entstammt.

Arabisches Museum für Moderne Kunst (Mathaf), Doha. "Sajjil" bis 1. Oktober, "told/untold/retold" bis 28. Mai