Frau Ehrenstein, auf einer Skala von eins bis zehn, wie wichtig ist Instagram für Ihre künstlerische Arbeit?
Acht. Meine Präsenz auf der Plattform ist für mich allerdings nicht so wichtig. Wichtig sind aber die Möglichkeiten, die mir das soziale Fotonetzwerk bietet mit Blick auf Themen wie Authentizität und Partizipation.
Sie sind also nicht abhängig?
Auf keinen Fall. Anfangs war es für mich nur ein weiteres soziales Medium, das ich genutzt habe, um mit Freunden in Kontakt zu bleiben und mich visuell inspirieren zu lassen. Ich war dort also zuerst semi-professionell unterwegs.
Was hat sich dann für Sie geändert?
Vor fünf Jahren habe ich die Arbeit an meinem Projekt "Tales of Lipstick and Virtue" aufgenommen. In meinem Heimatland Albanien habe ich knapp 80 Frauen getroffen, weil mich die Schnittstelle von Authentizität und Hyperfemininität beschäftigt. Ich habe ihnen erzählt, dass ich Künstlerin bin und Fotografie in Deutschland studiert habe. Die Reaktionen waren meist: "Äh, Du hast 300 Follower auf Instagram? Was ist los bei dir? Jedes Nagelstudio hat hier 20.000 Follower!"
Heute haben Sie immer noch nicht mehr Follower als ein Nagelstudio. Was ist los?
(lacht) Damals habe ich mir erst einmal 500 Follower gekauft und bin etwas aktiver geworden, bis ich 2.000 Follower hatte. Der Insta-Fame kam nicht über Nacht. So eine Online-Identität sorgt für mehr Glaubwürdigkeit, erstaunlich. 2.000 Follower haben mir bei meinem Projekt dabei geholfen, dass mich meine Gesprächspartnerinnen nicht für völlig wahnsinnig gehalten haben.
Ist das nicht deprimierend?
Auf jeden Fall. Nicht ernst genommen zu werden, weil Nagelstudios mehr Follower haben als ich ...
Verfolgen Sie jetzt eine Brand-Building-Strategie, um erfolgreicher als Nagelstudios zu werden auf Instagram? Oder sind Sie authentisch, weil das Thema Ihrer künstlerischen Arbeit ist?
Ohne Persona geht es nicht, Instagram ist ein kuratiertes Medium. Ich selbst nutze die Plattform nicht per se performativ. Einen Content-Plan für meinen Account habe ich auch nicht. Ich zeige mich im Alltag, meine Ausstellungen sind zu sehen, ich poste Arbeiten von mir, die außerhalb der Plattform entstanden sind. Arbeiten, die ich auf Instagram poste, werden zu Arbeiten, die ich in Ausstellungen zeige.
Und Sie geben sich als Entertainerin?
Das bin ich auch offline. Entertaining straight out of Muttern. Wir alle sind soziale Wesen und wollen geliebt werden.
Wenn Frauen sich in den sozialen Medien so zeigen, wie sie geliebt werden wollen, ist das Ergebnis Hass, sobald sie nicht den gängigen Schönheitsidealen entsprechen. Leah Schrager und Arvida Byström sind gute Beispiele. Die eine vertritt eine sex-positive Haltung, die andere irritiert nach all den Jahren immer noch mit Haaren an Beinen und im Intimbereich.
Das stimmt. Sobald sich Frauen beispielsweise zu feminin zeigen, ist die Kritik: Sie wollen einmal mehr den männlichen Blick befriedigen. Das ist eine sexistische und patriarchalische Sichtweise. Der Kunstbetrieb ist wie jeder andere Betrieb ein patriarchales System, als junge Frau muss man sich hinterfragen lassen. In unserer Gesellschaft wird der Körper extrem binär betrachtet. Der Körper ist entweder ein Schatz, den es zu schützen gilt. Oder er ist ein Hindernis, das es zu korrigieren gilt. Selten wird der Körper als Werkzeug gesehen. Rebecca Solnit schreibt in "Wanderlust" wunderbar darüber.
Welche Erfahrungen haben die Frauen gemacht, die Sie in Albanien für Ihr Projekt "Tales of Lipstick and Virtue" getroffen haben?
Durch die stalinistische Diktatur hatten Frauen in Albanien schon vor den Frauen in vielen westlichen Ländern die Gleichberechtigung vor dem Gesetz - jegliche Form von Individualität galt allerdings als westlich und war deshalb nicht möglich. Solch lokale Besonderheiten sind wichtig zu berücksichtigen, des einen Unterdrückung kann des anderen Privileg sein. Das alles ist jetzt fast 30 Jahre her und hat nicht mehr viel mit der zeitgenössischen Realität der Frauen zu tun.
Und heute?
Heute machen Frauen dort ähnlich widersprüchliche Erfahrungen wie überall anders auch. Ihre Hyperfemininität ist ein Akt der Rebellion, es ist ein Spagat zwischen Selbst- und Fremdbestimmung.
Wie nutzen die Frauen in Albanien die sozialen Medien?
Wenn das Leben in der Realität prekär ist, ist es natürlich sehr attraktiv, sich online neu zu erfinden. Wenn die Löhne gering sind, der Studienabschluss dir auch keine Arbeitsstelle sichert und deine Menschlichkeit im internationalen Kontext ständig hinterfragt wird, ist ein soziales Medium das bevorzugte Spielfeld.
Öffnen die sozialen Medien ihnen Türen, durch die sie sonst nicht gehen könnten?
Ja, viele haben sich so gleichzeitig ihr digitales und analoges Leben neu aufgebaut – oder sie haben es verändert. Einige Frauen haben es geschafft, Unternehmerinnen zu werden.
Welche drei Accounts auf Instagram empfehlen Sie den Monopol-LeserInnen?
Für Memes empfehle ich @ripannanicolesmith, der Account kombiniert Baudrillard mit der Doku-Soap "The Simple Life". Sie erinnern sich, Paris Hilton und Nicole Richie lernten das einfache Leben kennen.
@hydraulic_press_best, der Name sagt es, eine Hydraulikpresse zerstört Gegenstände, aber in Slow Motion.
Will Fredos Auswahl für @contemporaryand beeindruckt mich, hier geht es um afrikanische und afrikanische Diaspora-Kunst.