Twitter-Käufer

Was meint Elon Musk mit Meinungsfreiheit?

Elon Musk will den Nachrichtendienst Twitter kaufen. Der Unternehmer will damit nach eigenem Bekunden auch die Meinungsfreiheit schützen. Doch wie wenig er selbst von einem freien Diskurs hält, zeigt ein Blick in seine Timeline

Nun ist es also doch geschehen. Elon Musk hat Twitter gekauft. Nach einigem Hin und Her besitzt nun der derzeit reichste Mensch der Welt das 2006 gegründete soziale Medium, auf dem er selbst die meiste Zeit verbringt. Die Reaktionen darauf sind gespalten. Ulf Poschardt schmachtet auf Twitter "i <3 @elonmusk". Analysten freuen sich, dass unter der neuen Ägide Twitter endlich profitabel werden könnte. Andere fliehen demonstrativ zum fast vergessenen Service Mastodon, und wieder andere wundern sich ob der Obszönität, dass Milliardäre, die ohnehin schon genug im Mittelpunkt der Welt stehen, sich mediale Aufmerksamkeit mit solchen 44 Millarden Dollar schweren Deals erkaufen wie andere eine Handtasche.

Dass Megareiche Medien und Zeitungen übernehmen, gehört schon lange zum guten Ton. Bernard Arnault kaufte 2007 die Wirtschaftszeitung "Les Echos". Laurene Powell Jobs, die Witwe von Steve Jobs, übernahm die Mehrheitsanteile des Blatts "The Atlantic". Der Gründer der Softwarefirma Salesforce Marc Benioff kaufte das "Time Magazine" und Jeff Bezos 2013 die "Washington Post" – die Liste ließe sich weiterführen. Twitter ist da ganz bestimmt in einer anderen Liga, ist auch wesentlich teurer, aber für den reichsten Mann der Welt scheint das nur standesgemäß.

Elon Musk geht es laut eigenen Schilderungen vor allem um den Fortbestand der Meinungsfreiheit. "Freie Meinungsäußerung ist die Grundlage einer funktionierenden Demokratie, und Twitter ist der digitale Marktplatz, auf dem die für die Zukunft der Menschheit wichtigen Themen diskutiert werden", erklärt er in seiner Pressemitteilung. Das klingt auf dem Papier erstmal gut. Aber wir wissen auch, dass Meinungsfreiheit und Demokratie heute mehr denn je sehr offene und schwammige Begriffe sind. Auch derartige oligarchische Machtkonzentrationen könnte man als mäßig demokratisch auffassen. Aber ohne große Glaskugel-Lesereien zu veranstalten, was durch die Übernahme in Zukunft passieren wird, macht es Sinn, sich anzuschauen, wie in der Vergangenheit Elon Musk und sein Unternehmen Tesla mit dem Begriff der Meinungsfreiheit umgegangen sind. Reden wir überhaupt von der gleichen Sache? Und soll es am Ende nicht eigentlich um Wahrheiten gehen?

Kritsche Fragen zu Tesla werden unterdrückt

Denn wenn es um Elon Musk selbst oder um sein Unternehmen in der Öffentlichkeit geht, dann stellen wir fest, dass der Unternehmer gerne erratisch und suppressiv agiert. Tesla besitzt zum Beispiel anders als andere Autounternehmen keine eigene Presseabteilung. Kritische Fragen werden nicht zugelassen oder gar nicht erst ermöglicht. Journalistinnen und Journalisten versuchen seit Jahren, auf das Tesla-Werk in Grünheide zu kommen und offizielle Statements und Interviews anzufragen – ohne Erfolg.

Stattdessen agiert Musk mit einer starken Supporter-Community und einer Horde von Fan-Blogs, um mediale Repräsentationsnarrative vorzugeben. Was Elon Musk von der Presse hält, wurde auch deutlich, als er im vergangenen Jahr mit dem damaligen CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet das Werk in der Nähe von Berlin besichtigte und auf die Frage einer Reporterin, was er zu der oft kritisierten Wasserproblematik zu sagen hätte, nur ein schmutziges Lachen und höhnischen Spott parat hält.

Im Jahr 2016 äußerte der Blogger und Venture Capitalist Stewart Alsop frustriert seine Unzufriedenheit über ein Tesla-Event im Netz. Was ihn allerdings nicht davon abhielt, dennoch einen Tesla zu bestellen. Allerdings wurde die Bestellung von Elon Musk persönlich storniert. Musks Statement dazu: "Es muss ein Tag mit wenig Nachrichten sein, wenn die Verweigerung von Dienstleistungen für einen unhöflichen Kunden so viel Aufmerksamkeit erhält.Im April 2021 veröffentlichte der chinesische Auto-Influencer Xiaogang Xuezhang Test-Videos, in denen er auf Sicherheitsmängel und Probleme mit den Bremsen beim Tesla Model 3 hinwies. Daraufhin wurde er von Tesla wegen Verleumdung verklagt, auch berichtete der Influencer von einer Schmierkampagne über soziale Medien.

Millardär mit treuer Troll-Gemeinde

Im Juni 2018 leakte der frühere Mitarbeiter der Giga Factory Nevada, Martin Tripp, Dokumente an "Business Insider", aus denen ersichtlich wurde, dass in der Autofabrik so viel Müll produziert wurde, dass die Kosten der Beseitigung in der ersten Jahreshälfte 2018 alleine schon 150 Millionen Dollar betrugen. Tesla verklagte Tripp im gleichem Moment auf 167 Millionen Dollar, und er soll monatelang beschattet und schikaniert worden sein. Auch sein Handy wurde gehackt. Zudem wurde in dem Zeitraum die Polizei anonym informiert, Tripp würde einen Amoklauf in der Fabrik planen. Als die Polizei bei ihm eintraf, konnten weder Waffen oder andere verdächtige Beweise festgestellt werden. Tripp geht davon aus, Elon Musk habe selbst die Polizei informiert.

Andere ehemalige Mitarbeiter wie Carlos Ramirez und Steven Henkes wurden nach öffentlicher Kritik wegen mangelnder medizinischer Versorgung und Vertuschungsversuchen bei Verletzungen in den Fabriken oder mangelnden Sicherheits- und Brandschutzvorkehrungen gefeuert. Andere Vorwürfe gegen Tesla umfassen Kinderarbeit in der Zuliefererkette, Ausbeutung der Mitarbeiterinnen und Mitarbieter in China, systematische Gewerkschaftsbekämpfung und ein toxisches, rassistisches wie sexistisches Arbeitsklima im Unternehmen.  

Aber auch, wenn es um die Person Elon Musk selbst geht, reagiert er schnell angefasst und aktiviert seine treue Troll-Gemeinde. Einst bezeichnete er seinen eigenen Wikipedia-Eintrag als "verrückt" und forderte seine Fans auf, etwas dagegen zu tun, woraufhin die Seite derartig durch die Community manipuliert wurde, dass Wikipedia den Eintrag für eine bestimmte Zeit schließen musste. Der 19-jährige Jack Sweeney aus Florida startete den automatisierten Twitter-Account @ElonJet, der die Flugrouten von Elon Musks Privatjet öffentlich machte. Später macht er es auch mit den Jets russischer Oligarchen (@RUOligarchJets) und Wladimir Putin (@PutinJet). Musk bot Sweeney erst 5000 und später 50.000 Dollar, um den Account zu löschen. Sweeney ließ sich davon bislang nicht beeindrucken.

Musk verbreitete zahlreiche Falschinformationen auf Twitter

In Medienberichten wird Elon Musks Verhalten als pathologisch soziopathisch beschrieben. Er handle paranoid, würde Mobbing betreiben und, wie "Wired" berichtet, sei er berüchtigt für seine Wutanfälle. Mitarbeitende würden davor gewarnt, nicht an seinem Schreibtisch vorbeizugehen, da sie gerne sofort gefeuert würden. Ob dieses narzisstische Verhalten mit seiner gutbetuchten Kindheit zu tun hat, ist spekulativ. Er selbst sagte in einem Interview: "Wir hatten so viel Geld, dass wir teilweise unsere Tresortür nicht mehr zu kriegten."

Viele dieser Berichte zeigen Parallelen mit Donald Trump auf. Auch der ehemalige US-Präsident wusste, wie man manipulativ mit Twitter umgeht. Stellte von heute auf morgen stets im Eigensinn die Welt auf den Kopf und nahm es mit der Wahrheit häufig auch nicht so ernst, solange es Bestätigung aus der eigenen Blase gab. Elon Musk behauptete zum Beispiel im August 2020, die Pyramiden in Ägypten seien durch Aliens gebaut worden. Im Frühjahr 2022 unterstützte er die Trucker-Proteste in Kanada und verglich Justin Trudeau in einem Meme-Tweet mit Adolf Hitler.

Während der Covid-Pandemie verbreitete Musk zahlreiche Falschinformationen. Er befürwortete den Einsatz das Mittels Chloroquin. Behauptete, dass Kinder im Grunde genommen immun gegen die Krankheit seien und wetterte gegen die Effektivität von Corona-Tests. Auch behauptete er, dass in den USA bis April 2020 die Fallzahlen auf Null gehen würden und nannte die Panik um den Virus "dumm". Auch öffnete er sein Tesla-Werk in Fremont 2020 trotz Lockdown und Verbot eigenhändig.

Meinungsbildung hat auch mit Moderation zu tun

Meinungsfreiheit und Redefreiheit sind in der Tat ein wichtiges Gut in einer funktionierenden Demokratie. Welche Konsequenzen nun die anstehende Privatisierung von Twitter und der Weggang des Unternehmens von der Börse haben werden, bleibt offen. Ob Elon Musk weiß, dass Meinungsbildung auch mit Moderation zu tun hat, wird schwer zu glauben, wenn man sein Gebaren in der Vergangenheit beobachtet. Zumal er immer wieder Twitter dazu nutzt, Hypes um Kryptowährungen wie Dogecoin und Bitcoin zu schaffen, die in seine eigene Tasche wirtschaften. Oder um öffentlich gegen die Börsenaufsicht SEC zu wettern, zum Beispiel als er fälschlicherweise ankündigte, Tesla würde privatisiert – und die aufgebrummte Strafzahlung von 40 Millionen Dollar nur lax kommentierte, das hätte sich auf jeden Fall gelohnt.

Einige befürchten nun auch, dass Donald Trump wieder zu Twitter zurückkehren könnte. Aber auch terroristische und extremistische Inhalte könnten unter seiner Regentschaft einen guten Nährboden finden. Machtkonzentrationen in dieser Form machen wohl immer etwas mit einem Menschen. Die Eitelkeit einzelner mächtiger Personen darf niemals unterschätzt werden, was im derzeitigen Krieg in der Ukraine erschreckend transparent sichtbar gemacht wird. Man könnte also sagen: Meinungsfreiheit und offene Diskurse könnte es unter Elon Musk auch in Zukunft geben, so lange sie denn in seinen Kram passen.