"Muss ich jetzt wirklich über die Sex Pistols reden?", sagt die genervte ehemalige Grundschullehrerin. Was für eine Zumutung! Natürlich tut es Vivienne Westwood trotzdem. Schließlich war sie nicht nur hautnah dabei. Die Britin ist der personifizierte Punk. Johnny Rotten? "Er war ein Phänomen", lobt die einstige Weggefährtin. "Leider ist er es immer noch. Er hätte sich weiterentwickeln sollen", so das Urteil einer, die weiß, wovon sie spricht.
"Wir wollten das Establishment schwächen. Wir hassten das System. Irgendwann habe ich gemerkt, dass wir dem System gar nicht geschadet haben. Wir waren eher Werbeträger. Es konnte zeigen, wie liberal es war." Also lieber die legendären "Destroy"-T-Shirts von 1977 mit ihren Hakenkreuzen und auf dem Kopf stehenden Kruzifixen in die Tonne werfen, das System von innen unterwandern, das "Land der Exhibitionisten" mit verspielt monarchistischen Outfits und Kronen-Imitaten aufmischen und selbst zur musealen Größe aufsteigen.
Es ist beinahe rührend, wie ehrfürchtig die Mitarbeiterinnen des Londoner Victoria and Albert Museum heute mit den inzwischen historischen Kleidern des einstigen Bürgerschrecks umgehen, ausgestattet mit weißen Handschuhen und einem Blick, der verrät, hier war wirkliches Können am Werk. Regisseurin Lorna Tucker unterlegt diese Szenen mit klassischer Klaviermusik, man merkt ihrem Ansatz die Bewunderung für das zu porträtierende Objekt an, das es ihr wahrlich nicht leicht macht. Im Gegensatz zu ihrem Ehemann und Arbeitspartner Andreas Kronthaler, der die Anwesenheit der Kamera in Atelier und privatem Wohnhaus zu genießen scheint.
Gleich am Anfang kompiliert sie Westwoods abschätzende Gesprächsverweigerungen über die belanglosen, ewiggleichen Fragen zu einem Best-of. Das entbehrt nicht der Komik, wäre da nicht das sich distanzierende Urteil, das Westwoods Modehaus in einem öffentlichen Statement nach der Sichtung des Films abgegeben hat: "The film is mediocre, and Vivienne and Andreas are not." Es ist wohl kaum anzunehmen, dass jemals eine filmische Annäherung den gigantischen Ansprüchen dieser bis heute ihre Firma vor jedem expansiven Konzernübergriff schützenden Exzentrik-Königin genügen könnte.
Man ist froh, dass sie existiert, dass Tucker die Konfrontation gewagt hat, denn das Vergnügen, dem in den Adelsstand gehobenen Arbeiterkind beim Denken, Schimpfen und Welt retten zuzuschauen, ist gewaltig – die Aktivistin lässt keine Gelegenheit aus, um gegen den Klimawandel zu agitieren, im passenden Widerstandslook, versteht sich. Originalaufnahmen aus den wechselnden Shops, von "Let It Rock" über "SEX" bis zu "World's End" steigern das Vergnügen erheblich, nicht zu vergessen die dokumentierten Dauerverwandlungen der mit trockenem Witz nicht geizenden Anarchie-Ikone, die sich schon mal im Morgenlook gänzlich ungestylt zeigt und gelegentlich auch über sich selbst wundert: "Ich kann mich nicht erinnern das entworfen zu haben. Das ist Mist, ekelhaft. Lasst uns die Firma dichtmachen!"