"Contagion", "Outbreak" & Co

Eine kleine Geschichte des Infektions-Kinos

Paranoia in kleinen Dosen, bis die Abwehrkräfte des Unglaubens zusammenbrechen: Warum wir gegen filmische Katastrophenszenarien selten immun sind

Angst ist hochansteckend. "Nothing spreads like fear", der Werbeslogan für Steven Soderberghs Viren-Thriller "Contagion" hat an Aktualität nichts eingebüßt. Von der Massenpanik, wie sie in Soderberghs Film von 2011 um sich greift und die Misere verschärft, sind wir noch weit entfernt. Aber Hamsterkäufe, die menschengemachte Klopapier-Krise und andere Absurditäten sind Wahn-Zeichen, wie man sie sonst nur aus dem Katastrophen-Kino kennt. Oder aus den Nachrichten, denn Erdbeben, Reaktorunfälle oder Seuchen waren für viele Deutsche über einen langen Zeitraum die Krisen der anderen. Stecken wir jetzt mitten in einem Katastrophenfilm – da wir laut dem Virologen Christian Drosten doch mit der Corona-Pandemie eine "Naturkatastrophe in Zeitlupe" erleben?

Nachdem "Contagion" vor neun Jahren ausgerechnet auf den Filmfestival von Venedig uraufgeführt wurde – in Italien, dem momentanen Epizentrum der Covid-19-Seuche – mieden wir noch tagelang die Haltegriffe der Wasserbusse und wichen ängstlich dem Odem fremder Festivalgäste aus. Experiment gelungen, Patient erschüttert. Das Angstkino gleicht einem Labor, in dem die Widerstandsfähigkeit des Publikums ausgetestet wird. In kleinen Dosen wird uns solange Paranoia verabreicht, bis das Immunsystem des "Unglaubens" zusammenbricht.


In seiner "Niegeschichte" nennt Dietmar Dath die "katastrophische Fremdheit der körperlichen Subjektivität", wie sie der "Alien"-Designer HR Giger oder David Cronenberg spürbar machen (dessen Filmschocker "Die Fliege" als Aids-Parabel gelesen werden kann). Der übernatürliche Horror provoziere "Coleridges willentliche Aufhebung des Unglaubens ("Suspension of Disbelief"), "indem sie beim Publikum die vehemente Abwehr von Empfindungen mobilisiert, deren Energie als Kraftquelle für die zweifelnde Abwehr des Unplausiblen am Dargebotenen dann nicht mehr zur Verfügung steht", so Dath.

Ein interessanter Gedanke. Mit Susan Sontags "Krankheit als Metapher" wissen wir, dass sich die Krebs- oder Tuberkolose-Erkrankung einzelner Betroffener gerne als Symptom eines vermeintlich verkehrten Lebenswandels gelesen wird. Krankheit wird zur Projektionsfläche und zugleich Verdrängungsstrategie der Gesunden. Bei Epidemien und ihren großen Opferzahlen funktionieren solche Deutungsmuster aber nicht mehr. Jeder kann sich mit einem grassierenden Virus infizieren. Das Virus, der Keim, der Parasit taugt nicht zur Metapher, der Erreger mutiert zum Agens einer Wirkungsdramaturgie, und erregt allein noch Widerwillen bis Ekel. Mit ihrer Abwehr gegen das Widerliche sind die Leser oder Filmzuschauer derart beschäftigt – so Daths These – dass sie fantastische Handlungsmuster hinnehmen.

Filme mit hohem Ekelfaktor wie die "Alien"-Reihe, wie "Körperfresser"-Filme, Cronenbergs "Die Fliege"-Remake oder George A. Romeros Zombiefilme bilden also ein Kontaminations-Genre, obwohl die Gefahr dort gar nicht durch Kleinsterreger ausgeht. Andersherum fragt sich bei "echten" Viren-Filmen wie "Outbreak – Lautlose Killer" (Wolfgang Petersen, 1995) oder eben "Contagion", warum sie die hervorgerufene "Immunschwäche" ihres Publikums nicht für künstlerische Freiheiten nutzen, solange die Ungläubigkeit ihrer Zuschauer suspendiert ist.

Mit seinem vergleichsweise billig produzierten Filmdrama "Die Hamburger Krankheit" ist dem deutschen Regisseur und Drehbuchautor Peter Fleischmann 1979 eben das gelungen: Ein surreales Endzeitdrama, eine "apokalyptische Farce zwischen Reeperbahn und Almhütte" (so "Die Zeit" damals), die ihre Glaubwürdigkeit dank einer triftigen Epidemie-Rahmenhandlung aufrechterhält.


Nach Corona – wann immer die Krise überwunden ist – sind erst recht keine Tatsachen-Thriller oder halbfiktive Pandemie-Dramen zu erwarten. Wer käme nach dem globalen Ernstfall und vielen echten Tragödien noch auf die geschmacklose Idee, einen "Contagion"-Reißer ins Kino zu bringen?

Wenn es nicht in schlechte Docu-Fiction und und Reality-Soap-Formate abgleiten will, hält das Kino besser Abstand zur Wirklichkeit. Andererseits hängt die Fiktion unbestritten vom Weltklima ab. "Die Möglichkeit einer bakteriologischen Kriegführung, genetischer Manipulationen und der Vergiftung oder Verseuchung der Welt war in den siebziger Jahren von einer entfernten Vision zu einer realen Bedrohung geworden, die nahezu die Valenz der Atom-Bedrohung aufzuweisen hatte", schreibt Georg Seeßlen in seinem Standardwerk "Kino des Utopischen". Als zentralen Science-Fiction-Film der 70er im Kontext von Epidemie und Wissenschaft stellt Seeßlen Robert Wises "Andromeda - Tödlicher Staub aus dem All" von 1971 vor. "The Andromeda Strain" nach dem Roman von Michael Crichton siedelt weitgehend in einem unterirdischen Geheimlabor in der Wüste Nevadas, in dem eine Gruppe von Wissenschaftlern einen mikroskopisch kleinen Feind aufzuspüren sucht, der fast sämtliche Bewohner einer Kleinstadt dahingerafft hat.

"Andromeda" ist das extreme Gegenteil eines Ekel-Thrillers. Als lupenreine Science-Fiction packt er den Zuschauer denn auch weniger mit Horror denn mit Faszination und "World Building". Der mysteriöse Erreger pulverisiert das Blut der Opfer zu Sand. Die vermeintliche Mikrobe entpuppt sich als anorganische Struktur, die – offenbar inspiriert von J. G. Ballards "Kristallwelt"-Roman – menschliches Leben in pure Materie erstarren lässt. Die Protagonisten erscheinen eher als Opfer der Technologie, derer sie sich zwecks Schädlingsbekämpfung bedienen. Zudem sieht es zeitweilig so aus, als wäre das mörderisch wachsende Kristall ein Produkt eben jenes Labors, in dem die Wissenschaftler den Erreger unschädlich zu machen versuchen.


Seit "Andromeda" stehen Viren, Bakterien oder chemische Stoffe in Pandemie- oder Umweltkatastrophen-Filmen notorisch in Verdacht, ursprünglich zum Zweck der Kriegsführung entwickelt worden zu sein. In "Outbreak" kämpft Dustin Hoffman tatsächlich mit einem Laborvirus. Inzwischen hat sich die ABC-Waffen-Hypothese als Verschwörungstheorie verselbständigt. Einige Netzwerke befeuern das Gerücht, das Coronavirus stamme aus wahlweise chinesischen, russischen oder amerikanischen Militärlabors. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist es wohl andersherum: Abstruse Ideen und über das Internet verbreitete Desinformation erweisen sich als mindestens so bedrohlich wie ein zu spät in seiner Virulenz erkannter Mikro-Organismus, der die Schwächen fatal unterfinanzierter Gesundheitssysteme bloßlegt.

Großbritannien unter Boris Johnson und die USA unter Donald Trump haben spät auf die Corona-Bedrohung reagiert. In H.G. Wells 1953, 2005 und als Miniserie 2019 verfilmtem Roman "Krieg der Welten" streckt ein winziges Bakterium am Ende die nach Weltherrschaft strebenden Marsianer nieder. Gegen Johnsons bisherige gesundheitspolitische Unfähigkeit regt sich Widerstand, und der in der Corona-Krise heillos überforderte Trump könnte die nächste Präsidentschaftswahl verlieren. Wells’ "minute, invisible bacteria" macht die Marsmenschen unschädlich. Ist es nicht ein tröstlicher Gedanke, dass ein Virus dasselbe mit den Populisten schaffen könnte?