Für ein Stipendium nach Las Vegas gereist, am ersten Abend natürlich gleich ausgegangen, im legendären Golden Nugget Hotel sturzbetrunken in den Pool gefallen: Auch so können Ideen für Kunst entstehen. Was er damals unter Wasser sah oder glaubte zu sehen, das hat Henning Strassburger in einem ganzen Bilderzyklus verarbeitet, und damit eröffnet er jetzt auch seine neueste Ausstellung. Der Blick auf "Boss Mama" geht nach unten, auf den von hinten beleuchteten Boden eines Schwimmbeckens, durch das Luftblasen und allerhand Zeugs zu treiben scheinen. Darunter ein seepferdchenhaft schwankendes Dollarzeichen.
Pool-Bilder kennt die Popkultur von David Hockney, schwimmende Banknoten von Nirvana. 1991 veröffentlichte die Grunge-Band das Album "Nevermind", auf dessen ikonischem Cover ein Baby nach einem Dollarschein zu tauchen scheint, der an einem Angelhaken hängt. Strassburger, 1983 in Meißen geboren, stand kurz vor der Pubertät, als das Album um die Welt ging. Die Mauer war gerade gefallen, Heerscharen von Vertretern zogen durch die neuen Bundesländer, um den Menschen die Segnungen des Kapitalismus aufzuquatschen, neue Fernseher, Versicherungen, Staubsauger. Mutter und Vater Strassburger, beide tagsüber berufstätig außer Haus, verboten ihrem Sohn, die Wohnungstür aufzumachen oder draußen zu spielen – aus Angst, er könnte einem Vertreter in die Hände fallen. Die anderen Eltern machten es genauso. Also saßen die Kinder zu Hause und schauten MTV. Schauten Nirvana-Videos.
Aus Strassburgers Bildern Kunst spricht beides: Die Faszination für das Authentizitätsversprechen der Popkultur und die Skepsis vor ihrem Kalkül, ihren Lügen. Was damals Nirvana und MTV, sind heute Justin Bieber und Instagram, wo täglich Millionen Bilder hochgeladen und gefiltert werden. Wie also positioniert man sich als Künstler in den massenmedialen Bildwelten? "Man sieht nicht mehr unschuldig, also kann ich es als Maler auch nicht", sagt Strassburger. Und: "Ein paar Gemeinheiten müssen sein, damit ein Bild funktioniert."
Nirvanas Gemeinheit war der Dollarschein, Strassburger wirft die Codes der Malerei als Köder für unseren Bilderhunger aus. Seine neuen Arbeiten sind entlang zweier alter Bekannten der Abstraktion aufgebaut: "Splashes", also Spritzer, die das Pool-Motiv aufgreifen und im Sinne Jackson Pollocks freie Gestik und Spontanität verkörpern. Und andererseits ein Raster aus diagonalen und vertikalen Linien als organisierendem Prinzip. Bei Mondrian war das Raster Ausdruck rationaler Perfektion, beim Pop-Künstler Roy Lichtenstein wird es zum medialen Raster der Druckertechnik, Sigmar Polke führt die Idee weiter. Dessen Schüler Albert Oehlen war Strassburgers Lehrer an der Düsseldorfer Kunstakademie.
Der 35-Jährige kommt dabei zu einer eigenen, zeitgemäßen Mischung aus Witz und kühler Analyse. Seine Bilder verbreiten Fake News, die uns zurufen: Schaut verdammt nochmal genauer hin! In fünf mal zwei Paare ist sein Bildzyklus gegliedert, sie spielen seine Motive immer wieder durch, bis nicht mehr sicher ist. Geste wird zu Form. Das strukturierende Raster entpuppt sich als nachträglich aufgemalt. Am Ende eines Pinselschwungs scheint die Farbe ausgegangen – aber wo ist der Anfang? Winzige Farbwellen schwappen als Mini-Relief über die Leinwand, was keine Reproduktion wiedergeben könnte, hier aber in den CMYK-Farben der Drucktechnik ausgeführt ist.
Man könne seine Bilder auch als Szenen eines Roadmovies lesen, sagt Strassburger. Aber wieviel Abenteuerromantik ist noch möglich in unserer postheroischen Gegenwart, wie viele weiße Flecken gibt es noch auf der Leinwand? "Das Dripping in meinen Bildern ist genauso formal wie der Pinselstrich. Es wäre ja furchtbar, wenn es mir aus Versehen passiert wäre."
Die verlorene Unschuld der Malerei ersetzt Strassburger durch Ehrlichkeit. Hauchdünn, fast aquarellartig sind seine Leinwände bemalt, kaum einmal gibt es Überlappungen, niemals dicke Farbschichten. Und damit keine Chance für Übermalungen, keine Möglichkeit, irgendwas zu verstecken. "Hosen-Runter-Malerei" nennt er seinen Stil. Bei aller Selbstgenügsamkeit dieser Bilder liegt darin vielleicht ihre leise Ethik: Für alles was man macht, muss man gerade stehen.