Archiv in Marburg

Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte bezieht Neubau

Seit 100 Jahren sammelt ein Archiv in Marburg Bilder von Bau- und Kunstwerken. Nun ziehen Millionen fragile Objekte in einen Neubau um. Was das alles mit George Clooney zu tun hat?

Es ist das Fotogedächtnis der Kunst und Architektur Europas, seine Entstehungsgeschichte hat sogar Hollywood inspiriert: Das Deutsche Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte (DDK), auch Bildarchiv Foto Marburg genannt. Nach rund vier Jahren Bauzeit ist nun der Forschungsneubau zwischen Universitätsviertel und historischer Oberstadt fertig. 

Mit rund 2,6 Millionen Aufnahmen ist Foto Marburg nach Angaben des DDK eines der größten Bildarchive zur europäischen Kunst und Architektur. Sein Auftrag: "kunstgeschichtliche Dokumentarfotografien anzufertigen, zu sammeln, zu pflegen und in möglichst guter Qualität an die Wissenschaft und die breite Öffentlichkeit zu vermitteln". Jährlich wächst der Sammlungsbestand des Bildarchivs um durchschnittlich 30.000 Aufnahmen.

Das DDK wird von der Philipps-Universität Marburg getragen. Bislang waren die Mitarbeiter auf mehrere Standorte über die Stadt verteilt. Jetzt stehen ihnen auf vier Etagen rund 2.500 Quadratmeter zur Verfügung. Bund und Land Hessen haben in den Bau jeweils knapp 10 Millionen Euro investiert. Die Gesamtkosten belaufen sich auf rund 25 Millionen Euro. Von oben sieht das Gebäude aus wie ein Pfeil. 

Das Herz des Neubaus sind 821 Quadratmeter Archivfläche, hermetisch einpackt in 80 Zentimeter dicke Wände. Noch sind die Räume leer - das Archiv von seinem bisherigen Standort hierher umzuziehen, wird noch etwa ein halbes Jahr dauern. Danach sei alles "auf dem neuesten Stand der Technik an einem Ort", freut sich der Direktor des Zentrums, Hubert Locher. 

Ein Kühlschrank für empfindliche Negative

In technischer Hinsicht besonders aufwendig ist der gegliederte Archivbereich: Im "Zugangsarchiv", in dem neue Bestände ankommen, hat es konstant angenehme 20 Grad. Im "ruhenden Archiv" ist es 7 Grad kalt, um die empfindlichen Materialien - vor allem Fotonegative - vor dem chemischen Zerfall zu schützen. Dazwischen liegt das "Arbeitsarchiv" mit 12 Grad. Hier wird mit den Archivmaterialien gearbeitet. Wenn Stücke aus dem Kühlschrank kommen, müssen sie schrittweise einige Zeit akklimatisieren.

Gegründet wurde die Forschungs- und Serviceeinrichtung 1913 von dem Kunsthistoriker Richard Hamann. Eine wichtige Rolle spielte das Archiv im Zweiten Weltkrieg - die Story war spannend genug für einen Hollywoodfilm mit George Clooney und Matt Damon: "Monuments Men" von 2014. In einem Wettlauf gegen die Zeit versucht ein Team von Kunsthistorikern, bedeutende Kunstschätze vor den Nazis in Sicherheit zu bringen. 

Die wahre Geschichte dokumentierte eine Ausstellung, die 2021 im Staatsarchiv Marburg zu sehen war: Der US-amerikanische Kunstschutzoffizier Walker Hancock inspizierte 1945 Marburg auf der Suche nach Nazi-Raubgut. Zur Sicherung dieser Objekte richtete die amerikanische Militärregierung im Marburger Staatsarchiv eine Sammelstelle ein. 

Die "Monuments Men" sollten Kulturgüter, die von deutschen Einheiten aus den besetzten Ländern geraubt worden waren, zusammentragen und sie ihren ursprünglichen Besitzern wieder aushändigen. Im Marburger "Central Collecting Point" wurden die Kunstgegenstände katalogisiert und fotografiert. 

Analoges Material, digitale Arbeit

Heute zählt das DDK etwa 55 Mitarbeiter, die teils in Projekten, teils im Service tätig sind. Sie nehmen Anfragen von Wissenschaftlern oder Verlagen, aber auch von Privatpersonen entgegen, suchen die gewünschten Bilder heraus und lassen Digitalisate anfertigen. In der Dokumentation werden der vorhandene Bestand und Neuzugänge erfasst, das heißt, die Mitarbeiter recherchieren Infos über die Objekte und erfassen die Daten für die Datenbank. 

In der Restaurierung werden historische Abzüge und empfindliche Negative bearbeitet. In der Fotoabteilung werden neue digitale Aufnahmen erstellt sowie bearbeitet und die analogen historischen Bestände digitalisiert. Der größte Teil des Archivs sei bereits digital erfasst und frei online zugänglich, sagt Direktor Locher. Allerdings wachsen auch hier die Ansprüche, sodass früher gescannte Bilder mit besserer Auflösung erneut bearbeitet werden müssen. 

Das findet Locher - Professor für Geschichte und Theorie der Bildmedien an der Philipps-Universität - so spannend am DDK: "Wir haben analoges Material aus mehr als 100 Jahren, agieren aber heute komplett im Digitalen."

Arbeit in der Ukraine

Ein zentraler Arbeitsbereich sind die sogenannten "Fotokampagnen", in denen historisch bedeutende Bauwerke und ihre Ausstattungen von Fotografen systematisch erfasst werden. Ein Langzeitprojekt widmet sich zum Beispiel barocken Deckenmalereien. 

Eine besonders wichtige Kampagne wurde nach dem russischen Angriff auf die Ukraine begonnen: Fotografen aus der Ukraine dokumentieren im Auftrag des DDK in Verbindung mit einem Projektpartner aus Hannover gefährdete und kulturell bedeutende Bauwerke. 

140 Objekte wurden bis Ende 2023 erfasst. "Das ist unser bescheidener Beitrag zur Sicherung von Kulturgut, der aber für die Menschen in der Ukraine und für unsere Erinnerungskultur ganz wesentlich ist", sagt Locher. Einzelne Objekte, die zuvor fotografiert worden sind, wurden tatsächlich bereits zerstört, zum Beispiel die Kathedrale von Odessa. Für Locher ist das ein gutes Beispiel, dass die Arbeit des DDK wichtig ist: "Wir dokumentieren das kulturelle Erbe. Dadurch regen wir an, dass es wertgeschätzt wird."