Der Posten mit der Nummer 9B beherrschte schon im Vorfeld die Schlagzeilen. "Salvator Mundi" soll nach Angaben des Auktionshauses Christie's das letzte bekannte Werk des italienischen Künstlers Leonardo Da Vinci (1452-1519) in Privatbesitz sein. Das um 1500 entstandene Porträt von Jesus Christus in Öl hatte zuletzt dem russischen Milliardär Dmitri Rybolowlew gehört, nun soll es - wenn es nach Christie's geht - das Herzstück der alljährlichen New Yorker Herbstauktionen werden. Die Versteigerungen starten am Montag (13. November) vor allem bei Christie's und der Konkurrenz von Sotheby's und sollen vier Tage lang laufen.
Um die 100 Millionen Dollar (etwa 85 Millionen Euro) erwartet das Auktionshaus von der Versteigerung des Da Vinci-Werks, und ein anonymer Käufer hat diesen Preis für die Auktion am 15. November auch schon fest zugesagt. "Die Frage ist jetzt, ob es andere Bieter geben wird, die diesen Preis als Schnäppchen ansehen", sagt die Kunstexpertin Marion Maneker. Wer sich einen Da Vini wohl kaufe? "Die Anziehungskraft geht vor allem von der unbeschreiblichen Verbindung des Werkes zu Geschichte und Nachwelt aus." Das Bild könne beispielsweise von jemandem erworben werden, der ein eigenes Museum aufmachen wolle und ein zentrales Werk suche, das zum Publikumsmagneten tauge.
Aber vieles an der Versteigerung von "Salvator Mundi" verwirrt und verärgert Kunstexperten. Warum bietet Christie's das Gemälde im Rahmen seiner Auktion für "Nachkriegs- und zeitgenössische Kunst" an, obwohl es doch mehr als 500 Jahre alt ist? "Das Werk von Leonardo hat einen genauso großen Einfluss auf die Kunstwelt von heute wie auf die im 15. und 16. Jahrhundert", begründet Loïc Gouzer vom Auktionshaus die Entscheidung. Kritiker monieren, Christie's wolle einfach nur den Preis hochtreiben, indem man das Bild in der traditionell umsatzstärksten Auktion platziere.
Der Preis sorgt aber trotzdem für Verwirrung. 100 Millionen Dollar für das letzte bekannte Da Vinci-Gemälde in Privatbesitz, von dem lange angenommen worden war, dass es zerstört sei - und das, obwohl weltweit überhaupt nur rund 20 Bilder des Italieners bekannt sind? Viele sähen das als "unterbewertet" an, sagt Expertin Maneker - schließlich habe doch erst im Mai ein Werk von Jean-Michel Basquiat (1960-1988), der deutlich mehr Bilder als Da Vinci hinterließ, bei einer Versteigerung mehr als 110 Millionen Dollar eingebracht. Der Markt tendiere eben Richtung moderne Kunst, alte Meister seien out, vermuten Experten. Zudem sei "Salvator Mundi" in einem nicht besonders guten Zustand.
Aber auch abseits des Da Vinci mit der Nummer 9B gibt es für viel Geld einiges zu kaufen bei den diesjährigen Herbstauktionen. "Der Markt hat sich in den vergangenen anderthalb Jahren weg von der Jagd nach den spektakulären Trophäen in zwei- oder dreistelligen Millionenbeträgen entwickelt und hin zu aggressivem Bieten auf hochqualitative Werke von bisher übersehenen modernen oder zeitgenössischen Künstlern", sagt Maneker. Der Kunstmarkt sei also "ungewöhnlich aktiv", aber die Gesamtverkaufszahlen niedriger. Die politische Situation in den USA mit dem umstrittenen Präsidenten Donald Trump habe bislang keinen nennenswerten Einfluss auf den Kunstmarkt gezeigt.
Es sei eine "sehr aufregende Saison" mit einer "guten Balance", sagt auch Kunstexperte Simon Shaw vom Auktionshaus Sotheby's, das unter anderem einen Ferrari anbietet, mit dem Michael Schumacher 2001 den Großen Preis von Monaco gewann. Rund vier Millionen Dollar erwartet Sotheby's dafür. Daneben bietet das Auktionshaus unter anderem Werke von Claude Monet (1840-1926) und Pablo Picasso (1881-1973) an. "Wir haben zahlreiche Werke, die genau zum heutigen Geschmack passen, und ich glaube, dass wir deswegen großartige Ergebnisse sehen werden."
Shaws persönliches Highlight: "Les Amoureux", ein Gemälde des französischen Künstlers Marc Chagall (1887-1985), das bei der Auktion am 14. November bis zu 18 Millionen Dollar einbringen könnte - das wäre Rekord für ein Chagall-Bild. "Les Amoureux" zeigt Chagall und seine Muse Bella Rosenfeld als Liebespaar und befand sich fast 90 Jahre lang in derselben Privatsammlung, nachdem es im Entstehungsjahr 1928 gleich von einer Pariser Galerie verkauft worden war. "Die Möglichkeit, dem Publikum ein Bild zu zeigen, das seit 1928 nicht mehr öffentlich zu sehen war, und zu sehen, wie den Menschen die Kinnladen herunterfallen - das ist für mich der ultimative Nervenkitzel."