Als Seydou Keïta in den 90er-Jahren im Westen ein Kunststar wurde, hatte er sein kleines Fotostudio in Malis Hauptstadt Bamako bereits seit 30 Jahren geschlossen. Der Kurator André Magnin, in Afrika unterwegs im Auftrag des Sammlers Jean Pigozzi, hatte ihn 1992 entdeckt und begonnen, aus seinen alten Negativen neue Abzüge zu machen. Keïta selbst stritt sich später mit Magnin und Pigozzi und ließ weitere, noch größere Abzüge machen, die 1997 sogar bei Gagosian in New York landeten. 2001 starb er 80-jährig in Paris. Die Bilder, die jetzt im Grand Palais zu sehen sind, stammen wieder aus Pigozzis Sammlung. Doch jenseits der Streitereien, wer vom Erbe des Autodidakten profitieren darf, macht die Ausstellung klar: Hier ist ein großer Fotograf am Werk.
Natürlich, Keïta eröffnet 1948 sein Studio in einer kolonialistisch geprägten Welt. Doch mit der Inszenierung, mit seinen Hintergründen aus gemusterten Bettüberwürfen und traditionellen Tüchern, Teppichen und Decken, wechselt er den Blickwinkel. Selbstbewusst blicken die Männer und Frauen auf seinen Porträts in die Kamera. Keïta ist ihr Spiegel, und wie in jedem guten Porträt, wirft dieser ihnen ein etwas besseres, schöneres, reicheres Selbst zurück. Keïtas Kunden dürfen sich für den Moment eines Bildes erfinden, er leiht ihnen Kleidung, Schmuck, sein Radio, sein Auto. In einem seiner berühmtesten Porträts sieht man zwei Frauen und ein Mädchen stolz vor einem schwarzen Peugeot 203 stehen, als würden sie sagen: Schaut her, wer wir sind!
Überhaupt die Frauen: Selten wirkten sie so frei, so selbstbewusst wie durch seine Kamera – sie sitzen auf Motorrollern, zeigen sich mit ihren Liebhabern, liegen da wie klassische Odalisken, nur selbstbestimmt.
Der Schriftsteller Teju Cole hat recht, wenn er sagt, Keïta stelle sich ihnen in den Dienst. Durch ihn können sie sich zeigen, wie sie sich selbst sehen wollen: stolz, verführerisch, frech, als Mütter, als Schwestern, nie als exotische Objekte. Da ist zum Beispiel eine ältere Frau, die eingehüllt in ein schwarzes Gewand auf einem Teppich liegt und in die Kamera blickt; der hinter ihr liegende, wesentlich jüngere Mann schaut scheu zu Boden. Oder die "Co-Frauen", die sich zärtlich an den Händen halten, um ihre Harmonie zu bezeugen. Oder die zwei Freundinnen, die cool auf seiner Vespa posieren. Seydou Keïtas Porträts erfassen viel mehr als nur Gesichter. Die Augen, die Posen, das ganze Sein der Menschen erzählt von einem Aufbruch. In Tagen wie diesen, in denen Bamako zum zweiten Mal in kürzester Zeit vom islamistischen Terror heimgesucht wurde, schaut man gerne in diese Zukunft von einst.