Würde man die britische Sufragette Lady Florence Priscilla Norman (1883 - 1964) in einer zeitgenössische Großstadt wiederauferstehen lassen, gäbe es sicher vieles, über das sie sich wundern würde. Die kleinen Elektroroller, die seit einiger Zeit in Rudeln über Geh- und Radwege flitzen und selbst gestandenen Business-Menschen im Kostüm etwas Kindliches verleiht, würden jedoch nicht dazu gehören. Denn motorisierte Roller (zugegeben noch ohne App) gab es schon Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein Foto von 1916 zeigt die Frauenaktivistin Lady Norman in London auf ihrem "Autoped" - einem mit Benzin betriebenen Gefährt ohne Sattel, das ein Geburtstagsgeschenk ihres Mannes Sir Henry Norman war.
Lange bevor das Silicon Valley und seine globalen Exklaven den urbanen Individualverkehr mit ihren Mietrollern "disrupten" wollten, stellte schon der "Autoped" vor 100 Jahren eine kleine Verkehrsrevolution dar. Inklusive Spott wegen des etwas albernen Aussehens, Beschwerden über rollendes Rowdytum und Sorge um die Sicherheit der Fahrenden. Das motorisierte Gefährt war ab 1915 der erste massenproduzierte Roller und hieß in Deutschland nach der Herstellerfirma "Krupp-Roller". In seiner Form war er tatsächlich vom beliebten Kinderspielzeug abgeleitet. Der Antrieb kam von einem Motor über dem Vorderrad (die Höchstgeschwindigkeit bis zu 50 km/h machte die Fahrt ziemlich nervenaufreibend), und später gab es das Fortbewegungsmittel sogar schon mit Batterie.
Fahrzeug für "Freaks"
Die Presse in den USA betitelte das "Autoped" als Fahrzeug für "Freaks", doch der Roller erfreute sich gerade in bürgerlichen Schichten eine Zeit lang größerer Beliebtheit. In der Werbung sind meist extravagant gekleidete Frauen darauf zu sehen, die "Autoped Girls" genannt wurden (damals zählte Hut statt Helm). Das Gefährt versprach eine gewisse Freiheit, blieb aber den Wohlhabenden vorbehalten. Die Flugpionierin Amelia Earhart zeigte sich wiederholt als "Autoped"-Fan und prophezeite: "In der Zukunft muss niemand mehr laufen." Klingt irgendwie nach Silicon-Valley-Slogan. Postboten in den USA benutzten den Scooter zur schnellen, flexiblen Fortbewegung. Und auch in der Unterwelt war der zusammenklappbare Flitzer beliebt: New Yorker Gangs entkamen der Legende nach so der Polizei.
Letztendlich setzte sich der motorisierte Roller laut des "Smithonian Institute" in Washington jedoch nicht durch und war kein kommerzieller Erfolg. Er war teurer als ein Fahrrad, aber weniger bequem und erheblich gefährlicher. Letztendlich machten ihm jedoch strengere Verkehrsregeln den Garaus. Die Infrastruktur wurde immer stärker auf das Auto zugeschnitten und die motorisierten Roller durften nur noch mit Führerschein gefahren werden. 1921 wurde die Produktion in den USA eingestellt, Krupp fertigte seinen Roller bis 1922.
Vielleicht war der "Autoped" seiner Zeit einfach voraus. Der heutige Boom der E-Mobilität birgt zumindest faszinierende Parallelen zur Blütezeit des Scooter-Vorfahren. Wieder gibt es Diskussionen darüber, wem die Straße gehört und wer wie viel Platz braucht. Die meisten Nutzer der Sharing-Roller sind nicht ganz so spektakulär angezogen wie Lady Norman, aber die Versprechen von Freiheit und mühelosem Vorankommen auf Kurzstrecken sind dieselben (heute kommt noch die Nachhaltigkeit hinzu, die auch schon wieder umstritten ist). Diesmal stehen allerdings bei den Anbieterfirmen die Millionen der Start-Up-Investoren im Hintergrund, der wirtschaftliche Atem könnte also länger sein. Vielleicht kann der heutige E-Scooter seinen Urgroßvater "Autoped" endlich stolz machen.