Ob es mit dem Fotoinstitut nun klappt oder nicht, sei dahingestellt, Düsseldorf bekommt jedenfalls seine erste eigene Medienkunst-Biennale. Bevor es 2022 mit der Düsseldorf Biennial for Sonic and Visual Media losgeht, wirkt aktuell schonmal das Festival Photo+ als Impulsgeber. Düsseldorf ist Fotostadt, das verdeutlicht Photo+ mit Positionen von Peter Lindberghs Lehrmeister Hans Lux in der Galerie Noirblanche bis hin zur Gursky-Schülerin Louisa Clement, die gemeinsam mit Banz & Bowinkel und Felicitas Rohden in der Gruppenausstellung "Sad Bot True" bei Kunst & Denker Contemporary vertreten ist. Das Festival, erklärt Initiatorin Pola Sieverding, legt einen besonderen Fokus auf erweiterte Formen der Fotografie – kameralos, computergeneriert oder bewegt, wie der sich kaum merklich hebende und senkende Oberkörper in Wolfgang Tillmans' "Heartbeat / Armpit."
Sieverding selbst hat eine der beiden eigens für das Festival realisierten Ausstellungen kuratiert, die sich mit den Einschreibungen queerer Körper auseinandersetzt. Aufgrund der Covid-19-Krise bleibt "Bodies That Matter" aktuell jedoch unzugänglich. Das NRW-Forum, in der die Schau zu sehen ist, hat wie alle öffentlichen Museen der Stadt geschlossen. Doch das Spiel mit den Grenzen der Fotografie lässt sich auch in den teilnehmenden Galerien beobachten. Bei Rupert Pfad zeigt Mr. Pippin manipulierte, zersägte, brennende und auf ihr eigenes Innenleben gerichtete Fotoapparate und die mit ihnen geschossenen Bilder; bei Konrad Fischer sind Thomas Ruffs digitale Solarisationen und die Photogramme seines ehemaligen Schülers Juergen Staack zu sehen, der die Schatten nur selten erblühender Wüstenblumen in der Mongolei eingefangen hat.
McMansions und schwächliche Trockenbauwände
Zwischen Fotografie und Malerei bewegen sich auch die Arbeiten von Paula Förster, die in einer Doppelausstellung mit Nai Nun Yang im Antichambre Hotel Friends zu sehen sind. Grundlage der fünf Malereien sind Fotografien, die die De-Ateliers-Stipendiatin als Teenager im Eagle Canyon am Stadtrand von Las Vegas geschossen hat. Bilder von wüstengelben, von Leitungsrohren durchbrochenen Felslandschaften, von McMansions und dem über einen veralteten Fernseher flimmernden Reality-TV-Programm sind auf jene schwächlichen Trockenbauwände tapeziert, die so fest in der amerikanischen Konsumkultur verankert sind.
Bei Förster sind die Drywalls von innen neonfarben und von außen schlampig mit Gips verputzt. Von weitem erinnern sie zunächst an die Kulisse eines Ryan-Trecartin-Videos, von nahem werden dann die Weiterführungen der fotografischen Details und die feinen kompositorischen Setzungen erkennbar. Damals, erzählt die Künstlerin, hatte sie das Gefühl, die feindselig scheinende Berglandschaft vor ihrem Fenster sei eine Attrappe aus Pappmaché, die sie mit ihrem Finger durchbohren könnte, so artifiziell wirkte alles um sie herum.
Desinfektionsstiefel im Studio
Der Eröffnungsabend der Photo+ fällt auf einen Freitag, den 13. Es ist zwei Tage her, dass die WHO den Corona-Virus als Pandemie deklariert hat. Es herrschen Verunsicherung, nervöses Lachen und unbeholfene Ellbogen-Checks bei der Begrüßung. Im künstlergeführten Projektraum Am Ende des Tages bleibt Rebecca Grundmanns skulpturaler Croque-en-Bouche-Turm beinah unberührt. Im Center for Artistic Research zeigt Lukas Heerich eine Installation, die den Anflug von Weltuntergangsstimmung mit beinah beunruhigenden Treffsicherheit verdichtet.
Die Wände und der Boden des fensterlosen Raums sind in ein tiefes Fuchsia getaucht. Mit expressiven Sprühbewegungen hat der in Düsseldorf geborene Künstler hier Phos-Chek versprüht, ein Flammschutzmittel, das zur Bekämpfung von großflächigen Bränden eingesetzt wird. Wenn die Flammen erloschen sind, hinterlässt die meist von Flugzeugen versprühte Substanz eine Szenerie aus magentafarbenen Häusern, Autos und Landstrichen, die an megalomanisches Action Painting erinnert.
Im Verlauf der Ausstellung wird die Substanz ihre Farbe nach und nach verlieren, bis der Raum in einem behutsamen Zartrosa verbleibt. Von dem Farbmassaker unberührt stehen in der Mitte des Raum zwölf paar schwarzer Gummistiefel. Es handelt sich um standardisierte, in industriellen Fertigungsverläufen eingesetzte Desinfektionsschuhe, deren Herstellungsprozess Heerich durchbrochen hat, sodass entlang des Saums Gummireste hervorquellen. Inmitten der Formation markieren Fußabdruck-Negative aus unberührtem Betonboden die Abwesenheit von drei weiteren Paaren.
Am nächsten Morgen appelliert Jens Spahn an Reiserückkehrende aus Österreich, Italien und der Schweiz, Kontakte zu vermeiden und fortan zwei Wochen zuhause zu bleiben. Vor drei Tagen führte Direktor Klaus Albrecht Schröder mich als Teil einer kleinen Gruppe internationaler Journalisten, die bereits vor dem Beschluss einer sofortigen Museumsschließung Österreichs angereist waren, durch die erste Ausstellung der nun doch nicht neueröffneten Albertina Modern. Am Rest des Eröffnungswochenendes werde ich nicht mehr guten Gewissens teilnehmen können.
Stattdessen stöbere ich durch den Online-Handapparat der Ausstellung "Geheime Agenten", die im Künstlerverein Malkasten fotografische Auseinandersetzungen mit dem Thema Überwachung zeigt, und blättere durch das Magazin "Fifty-Five Photographers", in dem das feministische Kollektiv And She Was Like Bäm! Fotografinnen aus dem Dunstgebiet Düsseldorfs von jungen Positionen wie Pepper Levain, Mia Boysen und Morgaine Schäfer bis hin zu etablierten Größen wie Katharina Sieverding zeigt. Anschließend gehe ich im benachbarten Wald spazieren und stoße zwischen den noch kargen, blätterlosen Bäumen auf die ersten grünen Knospen. Wenn Phos-Chek seine beißende Farbe verloren hat und langsam beginnt, in die verbrannte Erde einzusickern, fungiert es als Düngemittel. Auch wenn Kultur in Katastrophenzeiten völlig fehl am Platz wirken mag, kann sie eine regenerative Wirkung entfalten.