"Fotografie 2.0"-Kolumne

"Du darfst nicht rein"

Wer darf was? Wie reagieren Männer, wenn Frauen sie auf ihre Privilegien hinweisen? Eine Performance der Künstlerin Fette Sans während des Gallery Weekends in Berlin führte in einer Art Sozialexperiment Exklusion vor

Der klügste künstlerische Kommentar zur Geschlechtergleichheit war in der Ausstellung "Foreign Affairs" an einem Ort anlässlich des Gallery Weekend zu sehen, wo man am wenigsten damit rechnete. In einer Pop-Up Galerie in der Oranienburger Straße, in die sich wohl die wenigsten auf ihrem Weg zu Sprüth Magers hinein verirrt haben. Und dann musste man auch erst noch in den Keller hinuntersteigen und an einer Türsteherin vorbei.

Ich stieg also die Treppen hinunter, die Türsteherin schob für eine Frau vor mir den Vorhang zur Seite. Der Vorhang schloss sich wieder. Ich wartete. Ich tippte auf meinem Smartphone herum. Ab und an schaute ich zur Türsteherin hinüber, keine Regung. Irgendwann wusste ich nicht mehr, warum ich eigentlich auf meinem Smartphone herumtippe und fragte die Türsteherin: "Wie viele Leute dürfen sich die Performance gleichzeitig ansehen?" Sie antwortete bestimmt: "Du kommst hier nicht rein." Da ich gefühlt eine Ewigkeit auf meinem Smartphone herumgetippt und gewartet hatte, wollte ich dann doch den Grund erfahren: "Ist es so voll in der Installation?" Es gab keine lange Schlange hinter mir, vor mir stand auch niemand, ich war die Schlange. "Du kommst hier nicht rein", wiederholte sie. Auf dem Schild neben dem weißen Vorhang stand der Titel der Arbeit: "If I can’t sleep at night is it because I am (excluded)" von Fette Sans, einer in Berlin lebenden Künstlerin.

"Wer kommt denn rein?", wollte ich wissen. Irgendwie musste ich sehr verzweifelt gewirkt haben, ich, die ich so lange geduldig wartend auf meinem Smartphone herumgetippt hatte, jedenfalls sagte sie: "Eigentlich darf ich das nicht, aber Dir sage ich es. Es kommen nur Cis-Männer rein." Ich bin kein Cis-Mann, also komme ich nicht rein. "Aber vor mir ist doch gerade eine Frau an Dir vorbeigekommen?", hörte ich mich sagen. "Ich entscheide, wer reinkommt", antwortete die Türsteherin wieder sehr bestimmt. Ich fühlte mich wie in einem Kafka-Roman. "Wer kommt denn rein?", fragte ich wieder. Die Türsteherin und ich drehten uns im Kreis. "Ich möchte die Performance sehen", ergänzte ich mich selbst. "Ich bin die Performance", antwortete die Türsteherin ungerührt. Ich drehte mich um und stieg die Treppe wieder hinauf.

Auf dem Instagram-Account der Künstlerin hatte ich am selben Tag ein Foto gesehen, das die Arbeit hinter dem Vorhang zeigt. Blumen, ein Bildschirm, da musste also etwas sein. Mehr als der Vorhang.


Oben standen Freunde von mir. Cis-Männer. Ein Fotograf, ein Künstler, noch ein Fotograf. "Geht doch bitte in den Keller hinunter und schaut, ob euch die Türsteherin reinlässt!" Einer wollte sich halbherzig in Bewegung setzen, die anderen folgten ihm nicht, er stellt sich wieder zur Gruppe. Ich versuche sie zu überzeugen, ich werde quengelig. "C’mon, ich komme nicht rein, ich bin kein Cis-Mann. Jetzt geht schon und erzählt mir, was es zu sehen gibt." "Später", sagten sie.

Als ich mich von der Gruppe wegbewegte, stellte sich mir die Künstlerin in den Weg. "Du bist Anika?", fragte Fette Sans. Sie folgt mir auf Instagram, daher erkennt sie mich, dachte ich mir. "Ja", sagte ich.

"Die Türsteherin hat Dich nicht reingelassen?", fragte sie.

"Nein", antwortete ich.

"Viele Frauen lügen mich an. Sie behaupten, sie hätten die Installation gesehen. Ich weiß, dass das nicht sein kann", erzählte sie.

Die Türsteherin, eine richtige Türsteherin von einem Club, habe die Anweisung, nur eine von 20 oder 30 Frauen an sich vorbeizulassen. Sie sei aber strenger, so Fette Sans, sie lasse wohl nur eine von 100 Frauen in die Installation.

"Warum nur Cis-Männer?", fragte ich, "und warum nur so wenige Frauen?" Die Antwort kannte ich längst. Quote. Frauen-Quote, wie im richtigen Leben.

Fette fragte, ob ich mir jetzt mit ihr die Installation ansehen möchte. Ich mochte nicht.

Am Tag zuvor saß der belgische Kurator Chris Dercon, der ehemalige Volksbühnen-Intendant und jetzt Direktor des Pariser Grand-Palais, im Soho-House auf einem von der "New York Times" kuratierten Panel zum Museum der Zukunft. Er redete viel, sehr viel, etwa über das Museum der Zukunft als Erlebnisraum für das Publikum. Aus Geldmangel müsse er, der Museumsmann, manchmal auch woanders hinsehen: "Der Grund, warum wir gerade so viele unbekannte und vor allem weibliche Künstler wiederentdecken, ist auch, dass wir sie uns noch leisten können." Das sowieso schon unruhige und immer mal wieder genervt und verständnislos lachende Publikum wird noch unruhiger. "Darf man das sagen?", fragte sich Boris Pofalla in der "Welt". Für Chris Dercon ist das keine Frage. Er macht es einfach, er ist Chris Dercon.

Wer darf was? Um diese Frage kreiste die Performance "If I can’t sleep at night is it because I am (excluded)"“ von Fette Sans. Wie fühlt es sich an, wenn der eine etwas darf und der andere nicht? Wie reagieren wir? Reden wir darüber? Wie reden wir darüber? Reden Frauen darüber, wenn sie keinen Zugang haben? Keinen Zugang beispielsweise zur Kunstwelt? Wie reagieren Männer, wenn Frauen sie auf ihre Privilegien aufmerksam machen? Unterstützen sie die nicht so privilegierten Frauen?

Bei diesem Gallery Weekend immerhin wurde sehr viel darüber geredet, dass in der Kunstwelt viel zu oft immer noch die Künstler, also Männer, im Vorteil sind, wenn es um Präsenz in Galerien und Ausstellungen geht. 75 Porzent der KünstlerInnen im diesjährigen Programm sind weiße Männer. "Wie viel Weißwurst geht noch?"“, plakatierte on- und offline das gerade erst gegründete intersektionale, feministische Kollektiv Soup du Jour. Für den Berliner Kunstbetrieb ist das keine Frage. Sehr viel. Die Mitglieder des Kollektivs, rund 150 Kulturschaffende, wollen anonym bleiben.


Ich gesellte mich wieder zu meinen Freunden. Mittlerweile war eine Bekannte von einem der Fotografen zur Gruppe gestoßen. Sie erzählte verunsichert und unsicher, ob sie wütend werden soll oder nicht, dass die Türsteherin sie nicht vorbeigelassen habe. "Weil ich eine PoC bin", sagte sie. "Weil Du eine Frau bist", antwortete ich ihr. Die Männer mochten sich immer noch nicht die Installation ansehen, um uns darüber zu berichten. "C’mon, wir kommen nicht rein!", jammerte ich ungeniert. Sie bewegten sich nicht.

Eine mit mir bekannte Künstlerin winkte mir aus der Menschenmenge zu, ich ging zu ihr, begrüßte sie und ihre Begleitung. Ein Mann. PoC. "Habt ihr die Installation gesehen?", fragte ich. "Er ja, ich nicht", erzählte sie. "Und?", schmetterten wir ihm beide entgegen. Er zog sein Smartphone aus der Tasche, drückte bei einem Video auf Play: Wir sahen Blumen und einen Bildschirm.