Dokumentarfilm "Dries"

Reiner Holzemers Filmporträt des Modeschöpfers Dries Van Noten ist ein Glücksfall

Der deutsche Dokumentarfilmer Reiner Holzemer porträtierte bereits William Eggleston, Jürgen Teller oder Anton Corbijn. Jetzt hat er sich des belgischen Modemacher Dries Van Noten angenommen. Ein Glücksfall

Brokat und Blumen, Comic und Barock, Folklore und Pop Art, Leopardenmuster und Karo, Marilyn Monroe und Klassizismus – es gibt kaum ein Gegensatzpaar, an dem Dries Van Noten nicht Gefallen finden könnte. In den Kollektionen des Designers aus Antwerpen wimmelt es von munter gegeneinander gekreuzten Epochen und Stilen. Was ihm dabei stets vorschwebt, ist die perfekte Balance zwischen gutem und schlechtem Geschmack, ganz ohne Schock-Elemente, denn die sind in Zeiten des jede Entgleisung goutierenden Internets omnipräsent und deshalb unbrauchbar.                                                    

Dieses Credo hat sich auch sein Porträtist Reiner Holzemer zu Herzen genommen. Für "Dries" begleitete er den Belgier ein Jahr lang mit seiner Kamera und verzichtete weitgehend auf dramaturgische Effekte. Die Spannung hält er trotzdem, indem er sich dem abwägenden Bildhauer-Modus seines Gegenübers anpasst. Van Noten collagiert Entwurfvarianten an den Modellen, urteilt schnell, nimmt die Meinung seines Arbeits- und Lebenspartners zur Kenntnis und wechselt zur nächsten "Skulptur". Im Kopf hat er dabei nicht die perfekte Form, wie viele seiner Kollegen etwa, wie er meint, sondern eine Geschichte, die es in einer möglichst überraschenden Mischung aus Material und einer fiktiven Persönlichkeit zu erzählen gilt.

Sein Vorgehen tariert auch Holzemer sorgfältig aus. Er kombiniert magische Momente vom Laufsteg mit der routinierten Hektik hinter den Kulissen, erlaubt sich tiefe Einblicke in die hochkonzentrierten Arbeitsprozesse der Stoff- und Musterauswahl und garniert das Ganze mit privaten Szenen eines bis ins Detail ästhetisierten Schlosslebens auf dem Land. Alles bleibt im wohldosierten Gleichgewicht. Keines der Kapitel drängt sich auf. Angenehm auch, dass der bekannteste Vertreter der "Antwerp Six" nicht nur beim Zupfen von Stoffen und Austausch mit seinen unzähligen Mitarbeitern zu sehen ist, sondern auch seine Karriere entlang von vergangenen Kollektionen kommentierend unter die Lupe nehmen darf.        

Etwas über seine Sicht auf den Wandel der von großen Luxuskonzernen bedrängten Mode-Branche zu verraten, scheut er nicht. Er zwinge ihn zwar zu einer Existenz im rasenden Hamsterrad, aber immerhin in einer das Handwerk favorisierenden Firma, die noch immer ihm gehört. Dann hinterfragt Van Noten seine eigenen Konzepte, erinnert sich an schmerzhafte Flops und manch eine geniale Idee, wenn er etwa für die Kollektion "Flowers" sämtliche Seidenkleider in die Waschmaschine warf, damit sie zerknitterter und damit alltagstauglicher wirkten. Während in den 90er-Jahren Jil Sander und viele andere den schwarz-weißen Minimalismus pflegten, setzte Van Noten auf indisch leuchtende Farbpracht und nannte eine Kollektion trotzig "Bollywood".

Dass der Einfluss einer Ausstellung von Francis Bacon auf einen seiner gewagtesten Auftritte desaströse Kommentare von Modekritikern provozierte, kann er rückblickend gut verschmerzen. Soll sich doch Suzy Menkes spottend zu neuen Farbbezeichnungen wie "verfaulte Garnele" inspirieren lassen, wer nichts wagt, der kann auch nicht bei der nächsten Präsentation umso mehr glänzen, wie etwa zuletzt in der Pariser Opéra Garnier, die unter seiner Regie regelrecht abzuheben schien.     

Oder wenn er sich "flamboyante Ladys" wie Peggy Guggenheim zum Vorbild nimmt und für ihre heutigen Wiedergängerinnen übergroße, überzeichnete Outfits aus Tatoo-Attrappen und Blumenröcken ausdenkt. Das kann richtig weh tun oder extravagante Mode-Ikonen wie Iris Apfel begeistern. Im Finale dieses beglückend flamboyanten Porträts steuert die legendäre Brillen-Fetischistin das passende Schlusswort bei: "Die Mode-Industrie hat sich das eigene Grab geschaufelt. Menschen wie Dries halten sie am Leben."