Dozie Kanu, Sie zeigen gerade Ihre erste Ausstellung in Deutschland, im Neuen Essener Kunstverein. Haben Sie bei den Vorbereitungen insbesondere auf den Kontext und die Geschichte Deutschlands geachtet?
Ich habe viel Respekt vor der deutschen Kunstgeschichte. Viele Künstlerinnen und Künstler, die mich beeinflusst haben, hatten einige ihrer besten Ausstellungen in deutschen Institutionen. Der Grad an kritischem Denken innerhalb der deutschen Kunstwelt interessiert mich ebenfalls. Für diese spezielle Ausstellung wollte ich daher etwas Scharfsinniges und konzeptuell Fundiertes machen. Es ist die erste Ausstellung, für die ich fast ein ganzes Jahr Vorbereitungszeit hatte. Daher war es mir möglich, eine stärkere narrative Struktur um die Ausstellung zu stricken. Viele Ausstellungen, die ich davor gemacht habe, waren improvisierter. Ich habe ursprünglich sehr intuitiv gearbeitet, wobei diese Ausstellung aus einer hauptsächlich geistigen Perspektive entstanden ist.
Woraus bestehen diese geistige Perspektive und die narrative Struktur, und inwiefern liegt dies einer anderen Arbeitsweise zugrunde als stärker improvisierte Ausstellungen?
Alle Arbeiten dieser Ausstellung wurden sehr langsam gemacht: Nicht in der Herstellung, sondern in Bezug darauf, wie ich über die Arbeiten nachgedacht habe. Viele der Werke standen fast zwei Jahre in meinem Studio, was normalerweise nicht passiert. Die narrative Struktur hat mehrere Schichten, aber ich muss dazu sagen, dass Narrativ für mich nicht Fiktion heißt. Es handelt sich nicht um eine Geschichte mit einer Drei-Akt-Struktur. Ich setzte das Narrativ in Bezug zum Raum und erzähle innerhalb des Materials Geschichten. Es geht viel darum, wie Schwarze Menschen innerhalb einer materiellen Kultur positioniert sind. Außerdem formt der Titel der Ausstellung das Narrativ, das sich darum dreht, eine Plattform zu haben. Die Arbeiten, die wie auf einer Art Bühne präsentiert sind, kämpfen metaphorisch dagegen, wie die Kunstwelt vor allem Schwarze Künstlerinnen und Künstler zwingt, auf eine bestimmte Art und Weise zu performen. Beispielsweise steht die vergrößert dargestellte Ameisenfabrik als Symbol dafür, nicht genauso eine negative Rolle in der Kulturindustrie einzunehmen wie viele Künstler und Kreative zuvor.
Wie läuft die Zusammensetzung der Skulptur? Arbeiten Sie hauptsächlich mit gefundenen Materialien?
Ich spiele viel mit Orientierung. Wenn ich beispielsweise ein Objekt von einem Schrottplatz interessant finde oder ich etwas in einem Geschäft sehe, nehme ich es mit in mein Studio. Dann lege ich es auf den Boden und experimentiere damit, wie das Objekt innerhalb des Raumes existieren kann. Zum Beispiel stelle ich es verkehrt herum oder lege es auf die Seite. Aber ich denke trotzdem nicht, dass es dabei einen wirklichen Prozess gibt. Das Schlüsselwort ist Spiel. Ich denke, dass das auch einer der Gründe war, warum meine Eltern dagegen waren, dass ich als Künstler arbeite. Weil die Kunstwelt eine privilegierte Welt ist, in der Menschen experimentieren und spielen können.
Sie definieren Ihre Skulpturen als funktional. Warum interessieren Sie sich für das Konzept des Funktionalismus und wie vermitteln Sie dadurch Narrative? Werden diese rein durch die Form an den Rezipienten getragen?
Ich beschäftige mich viel damit, was für ein Objekt nach dem Readymade kommt. Sich für eine Readymade-Praxis zu entscheiden, finde ich zu einfach. Für mich geht es darum, ein Objekt zu machen, das funktional ist. Und nicht darum, ein funktionales Objekt in einen Galerieraum zu platzieren und seine Funktion praktisch zunichte zu machen. Meine Intention ist, innovativ über Skulptur nachzudenken und gleichzeitig eine universelle und zugängliche Praxis zu haben. Deswegen ist auch Kontext für mich sehr wichtig. Ich entscheide sehr bewusst, wo ich meine Arbeiten ausstellen will, da jeder Raum, in dem die Arbeit einmal platziert war, eine konzeptuelle Struktur um die Arbeit herum bildet.
Diese räumlichen Narrative, von denen Sie sprechen, werfen die Frage auf, ob die Architektur der Stadt oder des Landes, wo Sie ausstellen, auch Ihre Arbeiten beeinflussen?
Innenräume spielen eine größere Rolle in meiner Praxis als Außenräume. Als ich eingeladen wurde, die Ausstellung in Essen zu machen, wurde mir gesagt, dass Essen eine der wichtigsten industriellen Städte in Deutschland ist. In diesem Zuge habe ich dann auch viel über Arbeit nachgedacht sowie darüber, worauf Industrie basiert: Nämlich auf menschliche Arbeit. Deswegen habe ich beispielsweise für diese Ausstellung aus Paletten eine Art Bühne gebaut. Für eine Ausstellung, die ich 2021 in Los Angeles hatte, habe ich hauptsächlich Materialien verwendet, die ich auf den Straßen von LA gefunden habe. Hier gab es also einen ganz eindeutigen Bezug zwischen den Skulpturen und der Stadt. Momentan lebe ich in Portugal. Meine Eltern kommen aus Nigeria und haben ihre Jugendzeit hauptsächlich in Lagos verbracht. Ich dagegen wurde in den USA geboren. Es gibt daher ein gewisses geografisches Dreieck, das aus Portugal, den USA und Nigeria besteht und das meine Arbeit beeinflusst. Portugal hat als eine der ersten westlichen Kolonialmächte in Westafrika Sklaven nach Lagos in Portugal gebracht. Wenn ich also gefundene Materialien aus Portugal für meine Arbeiten verwende, verstrickt es das Werk in ein historisches Netz, das zunächst vielleicht nicht so einfach zu entziffern ist.
Sind Sie auch wegen der Geschichte Portugals dorthin gezogen?
Der Umzug nach Portugal ist zufällig passiert. Als mir dann aber der ganze geschichtliche Aspekt bewusst geworden ist, dachte ich mir, dass ich das unbedingt für meine Arbeit nutzen muss. Eigentlich bin ich umgezogen, weil ich in New York, wo ich zuletzt gelebt hatte, nicht produktiv genug war. Ich musste irgendwohin ziehen, wo ich niemanden kannte.
Sie meinten, dass Sie sich mehr für Innenräume als für Außenräume interessieren. Beschäftigen Sie sich folglich auch mit Konzepten zu Domestizität?
Innenräume und domestische Räume sind Symbole für Privilegien, agency und soziale Klassen und daher wichtige Träger in meiner Praxis. Ich gestalte Innenräume, die mit der Idee spielen, in ihnen zu existieren, zu leben und zu wohnen. Wenn ich Arbeiten mache, denke ich dabei oft an die Community, in der ich aufgewachsen bin. Es gibt nicht die eine Sprache, um Kunst zu verstehen. Da die Kunstwelt so elitär ist, ist es mir wichtig, durch meine Arbeiten auch mit Menschen zu kommunizieren, die sich erst einmal nicht für Kunst interessieren. Für mich stellt sich dann die Frage, wie ich auf der einen Seite konzeptuell anspruchsvolle Arbeiten machen kann und auf der anderen Seite diese trotzdem zugänglich gestalte. Mit Innenräumen beschäftigen sich die meisten Menschen automatisch in ihrem Leben, weswegen das der Zugang zu meiner Arbeit ist.
Wie materialisiert sich diese Zugänglichkeit in Ihren Arbeiten?
Ich arbeite häufig mit sehr spezifischen Objekten, die dann eine Art ikonischen Status annehmen. Dann denke ich darüber nach, welche Metaphern dieses spezifische Objekt enthält und auf welche Arten es interpretiert werden kann. Zum Beispiel arbeite ich häufig mit "Raptor Spikes", diese komisch aussehenden, scharfen Objekte, die man auf Zäune setzt, um Menschen davon abzuhalten, darüber zu klettern. Der formelle Aspekt der Spikes spielt jedoch auf verschiedene Kulturen an, beispielsweise auf Punkkultur, die japanische Kultur oder auch diverse afrikanische Kulturen. All diese Anspielungen und Metaphern sind in der Form der Spikes materialisiert.