Am Anfang war die Finsternis. Das Klirren von leeren Flaschen hallt durch den Raum, irgendwann erlaubt ein zaghafter Mondschein den Blick auf das schmerzverzerrte Gesicht einer Frau. Ihr Leidensgesang, der immer wieder unterbrochen wird von brachialen Trommelschlägen und ohrenbetäubenden Kompositionen, gibt Einblick in ein dunkles Kapitel einer Liebesgeschichte: Mann und Frau versprechen sich einander für die Ewigkeit, lieben sich bedingungslos und ausgelassen, gemeinsame ausschweifende Nächte sind anfangs noch lustig, irgendwann nimmt der Alkoholkonsum überhand, Leidenschaft schlägt in Aggression um, er betrügt sie mit einer anderen, provoziert und schlägt sie.
Die Situation eskaliert, es wird laut und lauter, dann dreht sie den Spieß um, wird zur Manipulatorin, schlägt zurück. Die Situation dreht sich bildhaft im Kreis. Am Ende hilft nur die tröstende Hand der kleinen Tochter, wenn die völlig entblößte Mutter in einer Gesangstirade zwischen Erregung und Trauer zum verzweifelten Höhepunkt kommt. Erneute Dunkelheit. Ein riesiges Knäuel aus bunten Glühlampen, das an Weihnachtsschmuck erinnert, sinkt auf die Bühne und suggeriert die Hoffnung auf eine heile Welt, zumindest für eine kurze Zeit.
Zum Auftakt der neuen Spielzeit des Hebbel am Ufer präsentiert der Turner-Preisträger Douglas Gordon mit "Bound to Hurt" ein düsteres Drama über häusliche Gewalt und lässt den Zuschauer Zeuge eines Altraums aus Liebe, Hass, Alkohol und Gewalt werden. Als wäre sie in ein Korsett gezwängt, scheint es der Protagonistin, gespielt von der israelischen Schauspielerin und Sängerin Ruth Rosenfeld, unmöglich, ihren Emotionen körperlichen Ausdruck zu verleihen.
Die ungeheure Spannung, die ihr Körper ausstrahlt, kulminiert in einer Art Wahnsinn, der unterstrichen wird durch einen eindrucksvollen Klangteppich aus der Feder des britischen Komponisten Philip Venables. Zusammen mit dem deutsch-isländischen Kammermusikensemble Adapter wandelt Venables populäre Liebeslieder wie "I feel love" von Donna Summer, Frankie Vallis "Can’t take my eyes off you" oder "Almost a kiss" von Throbbing Gristle in verstörend surreale Gewaltfantasien um und schafft es so, die unheimliche Gefühlszerrissenheit, die Douglas Gordons Arbeiten prägen, ins Theater zu übersetzen.
Nach "Neck of the Woods", das mit Charlotte Rampling in der Hauptrolle im Juli beim Manchester International Festival Premiere feierte, ist "Bound to Hurt" Gordons zweites Bühnenstück. Bekannt wurde der schottische Künstler vor allem durch seine Film- und Videoinstallationen, in denen er unter Rückgriff auf Found-Footage die Wahrnehmung des Betrachters auf ungewöhnliche Weise herausfordert. In "24 Hour Psycho" dehnt er eine herkömmliche Videokassette von Alfred Hitchcocks "Psycho" auf eine Länge von 24 Stunden und verzerrt auf diese Weise die dramatische Struktur des Films derart, dass selbst dem noch so großen Hitchcock-Kenner die Erinnerung an den Film nichts bringt. Jeder kann sich das Grauen der Duschszene in Gedächtnis rufen, doch der Schock-Moment bleibt aufgrund der extrem langsamen Abspielzeit aus.
Auf ähnliche Weise verwirrt Gordon in "Bound to hurt" den Zuschauer und seine Gefühlswahrnehmung, indem er bekannte Liebeslieder in verstörend brutale Klangmuster transferiert. Der Text erzählt von Liebe, doch die Musik suggeriert Hass und Gewalt. Die Faszination für das Doppeldeutige, das Spiegelprinzip, den Zwiespalt in uns, für Polaritäten à la Dr. Jekyll und Mr. Hyde ziehen sich wie ein roter Faden durch das Werk des 1966 geborenen Schotten.
Dies kommt nicht zuletzt im Titel des Stücks zu tragen. Wenn die Protagonistin auf der Drehbühne im Hau 1 langsam und leidend ihre Kreise zieht, wird deutlich, wie sehr sie "an den Schmerz gebunden" ist. Immer weiter dreht sich die qualvolle Schraube, bis zum ohrenbetäubenden Höhepunkt, in dem deutlich wird, dass sie gleichzeitig auch "zum Verletzten verurteilt" ist. Es schmerzt. Und tut gut.
Monopol verlost zusammen mit dem Hebbel am Ufer 3x2 Tickets für die Vorstellung von Gordons "Bount tu hurt" am 10. Oktober. Für die Teilnahme an der Verlosung bitte eine E-Mail mit dem Betreff "Douglas Gordon", den Namen und die Postadresse, bis Freitag, 9. Oktober, um 15 Uhr an info(at)monopol-magazin.de schicken. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Die Gewinner werden per E-Mail benachrichtigt. Die Tickets können am Samstag an der Kasse des HAU 1 abgeholt werden.